Die Verhandlungsgruppe aus Union und SPD

Die Eckpunkte kamen schnell, bis zum kompletten Abschluss dauerte es: Nun haben sich CDU und SPD in Hessen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Minister sollen aber erst Anfang 2024 feststehen.

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Regierungsbündnis – CDU und SPD einigen sich auf Koalitionsvertrag

Text auf einem Tablet: "Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD für die 21. Legislaturperiode 2024-2029
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Mehr als zwei Monate nach der Landtagswahl vom 8. Oktober haben sich CDU und SPD auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag verständigt. Der rund 190 Seiten umfassende Entwurf, der dem hr am Mittwochabend vorlag, steht unter dem Motto "Eine für alle".

Es ist das Programm der künftigen schwarz-roten Landesregierung unter Führung von CDU-Ministerpräsident Boris Rhein für die kommenden fünf Jahre. Zu Beginn werden zahlreiche Herausforderungen wie Ukraine-Krieg, "Wirtschafts- und Migrationskrise", digitale Transformation und Klimawandel aufgezählt. Da es nie so viele Herausforderungen auf einmal gegeben habe, gelte: Diese "bewältigen wir gemeinsam - oder gar nicht".

Die meisten wesentlichen Vereinbarungen des ausführlichen Vertragsentwurfs entsprechen einem Eckpunktepapier, auf das sich beide Parteien bereits Mitte November geeinigt hatten. Dazu zählen unter anderem ein Investitionsprogramm für Kitas und eine restriktivere Migrationspolitik. Auch die Ankündigung wurde aus dem Papier übernommen, den Verzicht aufs Gendern mit sprachlichen Sonderzeichen in Schulen, Unis, der öffentlichen Verwaltung und auch dem Rundfunk "festlegen" zu wollen.

Am Samstag stimmen die Parteigremien ab

Das von einer Verhandlungskommission ausgehandelte Papier braucht noch die Zustimmung beider Landesparteien. Dazu treffen sich die Mitglieder des CDU-Landesausschusses am Samstag zu einem kleinen Parteitag in Frankfurt. In Groß-Umstadt (Darmstadt-Dieburg) kommt die SPD zur gleichen Zeit zu einem außerordentlichen Landesparteitag zusammen.

Die Zustimmung beider Parteitage gilt als gewiss. Am Montag könnte der Vertrag unterzeichnet werden. Der neue Landtag konstituiert sich am 18. Januar des kommenden Jahres und wählt dann auch den Ministerpräsidenten. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Bundeslandes, dass es zu einer unionsgeführten CDU/SPD-Koalition kommt.

Anfangs hatte Ministerpräsident Rhein von einer "christlich-sozialen Koalition" gesprochen, die Union und SPD bilden wollten. Die Grünen, mit denen Rhein nicht weiterregieren will, spotteten daher über eine "CSU"-Koalition. Im Vertragsentwurf wird nun eine "demokratisch-christlich-soziale Koalition" postuliert, die Gräben überwinden und einen neuen Konsens bilden wolle.

Bildung an erster Stelle

Rhein betonte am Donnerstag nach Bekanntwerden des Vertrags, die Union habe "sehr klare Punkte gesetzt" bei Themen wie innerer Sicherheit, Landwirtschaft oder Gendern. "Das ist bei uns Realpolitik und wir freuen uns, dass das Bedürfnis der Bürger für diese Realpolitik sehr groß ist", sagte er.

SPD-Generalsekretär Christoph Degen unterstrich, was seine Partei unter anderem in der Bildungspolitik eingebracht habe. Der Bedarf an Personal sei dort "riesig".

Im ersten von zwölf Kapiteln widmet sich der Vertragsentwurf der Bildungspolitik. Es soll bei dem mehrgliedrigen Schulsystem bleiben, auch bei Notenvergabe samt Nicht-Versetzungen. Es werden neue Lehrerstellen versprochen.

"Rückführungszentren" und Bezahlkarten

Besonders ausführlich geht der Entwurf auch auf die Migrationspolitik ein. Da man die "Belastungsgrenze" kenne, solle die irreguläre Migration deutlich begrenzt und die Integration von Menschen mit Bleiberecht gestärkt werden. Unter anderem wird eine "Rückführungsoffensive" beabsichtigt, die Einrichtung von Rückführungszentren für ausreisepflichtige Menschen sowie eine "Ausweitung der Abschiebehaft".

Asylsuchende sollen nur noch dann in Kommunen verteilt werden, wenn sie eine Bleibeperspektive haben. Ziel sei es außerdem, Geflüchteten kein Bargeld mehr auszuzahlen. In der Erstaufnahme des Landes solle "konsequent auf Bezahlkarten zum Bezug von Sachleistungen und Taschengeld" umgestellt werden.

Bekenntnis zur Schuldenbremse, mehr geförderter Wohnungsbau

Im Kapitel zur Finanzpolitik wird die Konsolidierung des Haushalts in den Vordergrund gerückt, kombiniert mit einem Bekenntnis zur Schuldenbremse. Deren Auswirkungen sollen allerdings auf den Prüfstand. Angesichts "massiver Herausforderungen" für den Landesetat wird bei den Ausgaben gleichzeitig eine "klare Prioritätensetzung" angekündigt. Zur Bekämpfung des Wohnungsmangels sollen die Investitionen in Fördergelder erhöht werden. Auch die Gewinnung von Bauland werde intensiviert, das von Rhein versprochene "Hessengeld" für das erste selbstgenutzte Eigenheim kommt ebenfalls.

Das Ziel des Ausbaus des ÖPNV wird mit der Klarstellung verbunden: "Wir sehen alle Verkehrsträger gleichberechtigt." Beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit wird zudem betont, man wolle Ökologie mit Ökonomie nicht gegeneinander ausspielen.

In der Innenpolitik wird die Ausweitung von Fahndungsmöglichkeiten verfolgt. Es geht dabei unter anderem um die umstrittene Analysesoftware HessenData und den verstärkten Einsatz anderer KI-Instrumente sowie eine Initiative auf Bundesebene zur Nutzung der ebenfalls umstrittenen Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen. Außerdem wolle man "klare Schwerpunkte auf die Bekämpfung der Drogenkriminalität und die Kriminalität in Innenstädten sowie auf die Sicherheit von Frauen" setzen.

Sozialministerium aufgeteilt, Landwirtschaft steht vorne

Auch darauf, welche Partei welches Ministerium führen soll, verständigten sich CDU und SPD. Dazu wurde der Zuschnitt in einigen Fällen verändert. Die Union wird acht Ressorts führen, die SPD drei.

Auf die CDU als den deutlich größeren Koalitionspartner entfallen demnach weitgehend die bisherigen Ressorts: die Leitung der Staatskanzlei mit dem Chef im Rang eines Staatssekretärs sowie das dort angesiedelte Ministerium für Bund und Europa. Letzteres wird unter anderem um die Aufgabe "Entbürokratisierung" erweitert. Hinzu kommen für die Union Finanzministerium, Innenministerium, Justizministerium, Kultusministerium (Bildung und Chancen), Digitalisierungsministerium sowie ein Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege aus bisherigen Teilen des Sozial- sowie des Innenministeriums.

An die Stelle des "Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz" tritt nun eines mit anderer Gewichtung und dem Namen "Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Wein, Forsten, Jagd und Heimat".

Regierungschef Rhein hatte im Wahlkampf versprochen, ein eigenständiges Landwirtschaftsministerium zu schaffen. Davon, dass das Umweltressort dabeibleibt, war nicht die Rede. Im Entwurf des Koalitionsvertrags heißt es nun, man schaffe "für die Landwirtschaft einen festen Platz am Kabinettstisch dieser Koalition".

Personalfrage klärt sich erst nach Neujahr

Vor allem einhergehend mit der Neuaufteilung von Aufgaben des bisherigen Sozialministeriums entfallen auf die SPD drei Ministerien. Am größten ist das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, das obendrein um die Zuständigkeit für den ländlichen Raum wächst. Hinzu kommen das Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales sowie das Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur.

Namen der zukünftigen Ministerinnen und Minister wurden noch nicht bekanntgegeben. Ein komplettes Personaltableau gebe es auch noch nicht, sagte Rhein dazu. Neben Empfehlungen habe er auch Initiativbewerbungen erhalten. Wer welches Ressort übernimmt, soll demnach erst Anfang 2024 feststehen.

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Meinung: Stolpern zum schwarz-roten Traualtar

Boris Rhein, Ines Claus und Manfred Pentz
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CDU mehr als doppelt so stark

Aus der Landtagswahl war die CDU als deutliche Siegerin mit starken Zugewinnen hervorgegangen. Sie landete bei 34,6 Prozent und wurde damit mehr als doppelt so stark wie die Grünen als ihr alter und die SPD als ihr neuer Juniorpartner.

Die SPD wurde nach starken Verlusten hinter der AfD (18,4 Prozent) mit 15,1 Prozent drittstärkste Kraft. Dahinter kamen auf Platz vier die Grünen mit 14,8 Prozent. Sie regieren derzeit noch mit der Union in einer Koalition, die Anfang 2014 begann und in einem Monat endet.

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