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Hessische Linke will Parteispitze neu aufstellen

Ein roter Wimpel mit der Aufschrift "Die Linke", aufgenommen auf einem Parteitag der Linken.

Die Umfragewerte im Keller, die Bundespartei zerstritten und die #MeToo-Affäre noch nicht ausgestanden: Ein Jahr vor der Hessen-Wahl will sich die Linke auf dem Parteitag am Wochenende in Dietzenbach sortieren.

Die Entwicklung sei so stabil, dass man "auch schwierige Zeiten durchstehen kann". Das werden die Delegierten des Landesparteitags der hessischen Linken am Wochenende in Dietzenbach (Offenbach) gerne lesen. Allerdings beschreibt da der Lagebericht der Führung vor dem Treffen am Samstag und Sonntag lediglich die Finanzen.

Von Januar bis August dieses Jahres wird dagegen ein "erheblicher Einbruch" bei der Mitgliederentwicklung konstatiert. In dem Zeitraum, in der die Sexismus-Affäre #MeToo ausgerechnet den bis dahin für Linken-Verhältnisse so geschlossenen hessischen Landesverband erschütterte, traten erstmals seit 2015 mehr Menschen aus als ein.

Noch bedenklicher: Auf drei Prozent kam die Linke beim jüngsten hr-hessentrend. So beängstigend schlecht stand es in Wahlumfragen zuletzt vor mehr als einem Jahrzehnt um die Partei. Um das Schlimmste zu verhindern, das drohende Ausscheiden aus dem Landtag, will sie jetzt alle Register ziehen.

Beschwörungsformeln am Feuer

Dazu zählt beim Parteitag der selbstbeschwörend anmutende programmatische Leitantrag über "Linkes Feuer der Solidarität“, das in der aktuellen Energie- und Preiskrise gegen die "soziale Kälte der Regierenden" entfacht werden soll. Hinzu kommen geplante Konsequenzen aus der #MeToo-Affäre um innerparteilichen Sexismus. Und das alles mit einem neuen Führungsduo.

Die bisherigen Landeschefs Jan Schalauske und Petra Heimer legen die Posten nieder. Er ist bereits acht Jahre im Amt und hatte den Schritt schon früher angekündigt, nachdem er Co-Chef der Landtagsfraktion wurde. Sie ist seit 2018 an der Parteispitze und vor kurzem erst als Nachrückerin von Hermann Schaus Landtagsabgeordnete geworden. Keine Flucht also, aber von den Nachfolgen erhoffen sich viele in der Partei neuen Drive für den Weg aus dem Tief.

Abgeordnete und Attac-Campaigner treten an

Um die frei werdenden, gleichberechtigten Posten an der Spitze bewerben sich Christiane Böhm und Jakob Migenda. Gegenkandidaten, noch dazu mit Erfolgsaussichten, waren nicht in Sicht. Als "gute Mischung" bewertet Böhm selbst das geplante Tandem.

Die 61 Jahre alte Sozialpädagogin aus Trebur (Groß-Gerau) ist sozial- und gesundheitspolitische Sprecherin der Landtagfraktion. Über DKP und PDS kam Böhm einst zur Linken, rechnet sich aber keinen der vielen organisierten Strömungen der Partei zu. Da passt es, dass der mit 28 Jahren deutlich jüngere Migenda vom Kreisverband Darmstadt zwar zu einer Parteigruppierung zählt. Aber es handelt sich um die Bewegungslinke, die gerade die bisherigen Strömungen überwinden will.

Jakob Migenda / Christiane Böhm

Die Gruppierung, der auch die Frankfurter Bundesvorsitzende Janine Wissler nahesteht und die nicht zuletzt gegen den umstrittenen Partei-Promi Sarah Wagenknecht gegründet wurde, stellt inzwischen fast die Hälfte der Mitglieder im Vorstand der Bundespartei. Vor allem Aktionen und Druck aus der Gesellschaft sollen Veränderungen bewirken.

Der hessische Co-Landesvorsitzende in spe hat auf diesem Gebiet hauptberufliche Erfahrung: Migenda organisiert Kampagnen für Attac, die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation. Zu den Serien-Wahlniederlagen der Linken bundesweit und dem Umfrage-Tief in Hessen sagt er: "Wenn wir auf der Straße sind und zeigen, wofür wir stehen, können wir die Menschen auch motivieren.“ Böhm klingt ganz ähnlich: Es gelte jetzt, "Energie von unten aufzubauen".

Parteinachwuchs fordert #MeToo-Opferfonds

Den im Gründungsmanifest artikulierten Wunsch der Bewegungslinken, die Partei möge sich weniger mit sich selbst beschäftigen, kann die Hessen-Linke auf ihrem Parteitag allerdings nicht wirklich erfüllen. Es ist der erste Parteitag nach der #Metoo-Affäre. Die Frage, welche weiteren Konsequenzen zu ziehen sind, kam für Samstag nicht zufällig als erstes Thema nach der Begrüßung auf der Tagesordnung.

Und das noch vor der Ansprache Wisslers, die selbst von einem Teil des Parteinachwuchses Linksjugend Solid wegen angeblicher Untätigkeit angegriffen wurde. Die Frankfurterin hat das sofort bestritten. Unterstützer sehen sie als Opfer der Affäre. Ermittlungen gegen Verdächtigte wurden eingestellt.

Kritiker ausgetreten

Mit langen, kritischen Debatten ist auf dem Parteitag zu rechnen - mit einem Aufflammen der monatelang heftigsten, emotionalen Auseinandersetzungen nicht unbedingt. Zumal scharfe Kritiker die Linke aus Protest längst verlassen haben. Mit Riley Dubiel aus Wetzlar und Jay Hammes aus Offenbach, vormals Sarah Dubiel und Jakob Hammes, sind zwei Mitglieder des Bundesvorstands von Solid aus der Mutterpartei ausgetreten. Schon im April warf die damalige Vize-Landesvorsitzende Marijana Schott hin.

Dass der innerparteiliche Zoff damit nicht beendet sein muss, zeigt ein Parteitagsantrag von Solid: Gefordert wird ein Fonds von 10.000 Euro, um Opfer sexualisierter Gewalt in der Partei zu unterstützen. Dabei wird ausdrücklich beklagt: Bislang sei solche Solidarität des Landesverbands ausgeblieben.

"Wir sind nicht im freien Fall"

Die Linken-Führung will das Gegenteil beweisen. Sie schlägt den Mitgliedern zahlreiche Konsequenzen aus der Affäre vor, nachdem bereits im April eine Vertrauensgruppe eingerichtet wurde. Das reicht von einem Leitfaden gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt über Bildungsangebote bis zu einem Strafkatalog bei Verstößen. Dieser sieht Sanktionen vom befristeten Redeverbot bis zur Amtsenthebung vor.

Dass der Parteitag bis zu seinem Ende am Sonntagnachmittag trotz der tiefen Krise der Linken mit Geschlossenheit den Grundstein für ein doch noch erfolgreiches Wahljahr 2023 legt – davon ist die designierte Vorsitzende Christiane Böhm nach eigenen Angaben überzeugt. "Ich würde es nicht machen, wenn wir im freien Fall wären." Die Landtagsfraktion beweise stetig, wie sehr sie gebraucht werde. Und anders als im Bund sowie in manchen Bundesländern hätten in der hessischen Linken auch unterschiedliche Positionen Platz gefunden. Streit hab es nie geben - bis zur #MeToo-Affäre.

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