Ein Kettenkarussell im Betrieb, dahinter Wolken und Sonnenschein.

Schausteller machen Jahrmärkte voll und bringen Kinderaugen zum Leuchten. Eine hr-Doku blickt hinter die Kulissen der Karussells und Essensstände - auf einem der großen Rummelplätze in Hessen.

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Am Vortag wusste Santino Thelen noch nichts von seinem Glück. Eigentlich war das Karussell des 27 Jahre alten Schaustellers aus Karlsruhe schon eingemottet und bereit für die Winterpause. Dann kam der spontane Anruf aus Hochheim (Main-Taunus), ein anderer habe abgesagt - ob Thelen kommen könne? Er kann, und alles musste extrem schnell gehen.

Jetzt läuft der junge Schausteller mit brauner Arbeitsjacke etwas müde über das noch matschige Festgelände des Hochheimer Markts, der in zwei Tagen beginnen soll. Er hat eine alte Berg- und Tal-Bahn dabei, den Olympia-Express.

Für Thelen ist das die letzte Gelegenheit in diesem Jahr mit seinem Karussell Geld einzuspielen und so den Winter besser zu überbrücken - und das auch noch auf dem Hochheimer Markt, einem der größten Volksfeste in Hessen mit über einer halben Million Besucher. Eine große Chance. Aber in 48 Stunden muss das Karussell stehen.

Der Olympia Express, eine Berg- und Tal-Bahn, alles blinkt, vorne stehen Menschen.

Leute hat Thelen nicht genug: drei feste Mitarbeiter - Luca und Timo, beide in ihren Zwanzigern und aus dem süddeutschen Raum, und den 37-jährigen Remus aus Rumänien, der als fester Saisonarbeiter dabei ist.

Beschäftigte fehlen massiv. Das Problem zieht sich durch die ganze Branche. Fachkräftemangel also auch hier. Bloß scheint das abseits des Rummels kaum jemanden zu interessieren. Schausteller wissen, dass sie nicht als systemrelevant gelten - sie sind ja nur Spaßmacher.

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Kein Ganzjahresjob

Schausteller reisen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt - oftmals leben sie in dieser Zeit im Wohnwagen. Viele betreiben neben Fahrgeschäften Imbissbuden, haben mehrere Stände - auch solche, die optisch auf einen Weihnachtsmarkt passen.
Ganzjährig zu arbeiten, geht in der Branche nicht: Nach den Weihnachtsmärkten gibt es bis ins späte Frühjahr hinein kaum Geld zu verdienen.

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Der Olympia-Express ist eine Berg- und Tal-Bahn. Nicht die schönste, sagt ein Schausteller, der gerade vorbei läuft, aber die mit der besten Fahrt: Sie habe einen der größten Berg-Tal-Unterschiede, die es gebe, mit bis zu viereinhalb Metern in der Spitze. Gebaut wurde der Express im hessischen Bad Wildungen (Waldeck-Frankenberg) im Jahr 1960. Ein echter Hesse also.

Zwei Männer lehnen an der Rampe eines Lkws und unterhalten sich.

Damit hören die Probleme nicht auf. Die Spritpreise für ihre großen Lkw machen der jungen Schausteller-Familie Thelen zu schaffen: "2,20 Euro für den Liter Diesel, da müssen wir unsere Fahrpreise irgendwann anpassen", sagt Thelens 25 Jahre alte Lebensgefährtin Ursula, die hier jeder nur Lala nennt.

Olympia-Express ist über 60 Jahre alt

Mitarbeiter Timo ist der Dienstälteste hier - obwohl er erst seit einem Jahr dabei ist. Die Fluktuation ist hoch. Nach seinem Hauptschulabschluss war Timo lange auf der Suche, probierte vier Jobs aus, darunter Schreiner und Landschaftsgärtner.

Jetzt schleppt er mit leuchtend orangefarbener Arbeitskleidung Eisenstangen aus dem Schausteller-Lkw und strahlt dabei. "Das Gesäge in der Schreinerei war nichts für mich. Hier zimmere ich geschwind' was hoch und kann einen ganzen Ort glücklich machen", sagt er mit leichtem Karlsruher Dialekt.

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Doku "7 Tage ... unter Schaustellern" in der ARD-Mediathek

Schausteller sind die Spaßmacher der Städte und Dörfer, kämpfen aber immer wieder mit Problemen. Die Corona-Zeit, in der ihre millionenteuren Fahrgeschäfte und Buden plötzlich nichts mehr wert waren, steckt vielen noch tief in den Knochen.
hr-Reporter Simon Rustler hat eine Woche mit Schaustellern verbracht, mitgearbeitet und in einem Wohnwagen am Festgelände übernachtet. Die Dokumentation aus der Reihe "7 Tage" läuft am Donnerstag, 7. Dezember, um 21.45 Uhr im hr-fernsehen und ist schon in der ARD-Mediathek zu sehen.

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Timo schwärmt von der Arbeit: So lange habe er noch keinen anderen Job durchgezogen, obwohl es "chilligere Tätigkeiten" gab, wie er sagt. Das Schausteller-Leben scheint ihm tatsächlich zu gefallen - gerade die teils alte Technik fasziniere ihn. "Das Fahrgeschäft, der Olympia-Express, ist 63 Jahre alt. Hier ist keinerlei Hydraulik verbaut, nichts geht automatisch beim Aufbau, alles muss per Hand verschraubt und verkeilt werden", erklärt er. Ziemliche Knochenarbeit.

Ein junger Mann steht an einem Karussell und hebt die Hand als Zeichen, dass alle Personen fest sitzen. Im Hintergrund leuchtet es blau, ein Schneemann ist in der Mitte zu sehen.

Warum der Job Spaß macht

"Wenn wir später die Fahrchips einsammeln, glaubt keiner, dass wir auch diejenigen sind, die das Karussell aufgebaut haben", sagt der schmächtig wirkende Timo lachend. Der Job mache ihm Spaß - er sei oft draußen, sehe viele Orte, bekomme als Schausteller-Mitarbeiter vergünstigte Preise auf dem Rummel und könne gratis mit den Attraktionen fahren.

Außerdem sei der Lohn gut, versichert Timo: Weil seine Fixkosten gegen Null gingen, die Kosten fürs Heizen und Wohnen seine Chefs übernähmen und er kaum Ausgaben fürs Essen habe, bleibe vom Nettolohn viel übrig. In anderen Betrieben sei das nicht immer so üblich. Laut Chefin Lala, der Partnerin von Santino Thelen, fangen Mitarbeiter beim Mindestlohn an und bekommen, je länger sie dabei sind und je besser sie werden, dann etwas mehr.

Über Geld spricht keiner gern

Doch über Geld spricht auf dem Rummel keiner gern, vor allem nicht diejenigen mit den besonders großen Fahrgeschäften. Die kosten in der Anschaffung oft Millionen, für den Transport von einer Veranstaltung zur anderen werden schon mal mehrere tausend Euro fällig - allerdings können auch die Umsätze an einem guten Festtag in die Zehntausende gehen.

Und das muss auch so sein: Mit dem Einnahmen müssen die Wartungskosten für das Fahrgeschäft und alle Personalausgaben gedeckt werden - auch in der Zeit, wenn überhaupt kein Geld in die Kassen kommt.

Schausteller wird, wer Schausteller-Kind ist

Wer überhaupt den Beruf ergreift, ist mehr oder weniger klar geregelt. Quereinsteiger sind in der Branche selten, obwohl es sie gibt. Seit durchschnittlich fünf Generationen arbeitet ein jeder der über 5.000 Schaustellerbetriebe in Deutschland bereits, wie der Verband der Schausteller in Deutschland mitteilt, also seit rund 100 Jahren. Die Tradition steckt tief. Ist der Vater oder die Mutter Schaustellerin oder Schausteller, so wird es der Sohn oder die Tochter wahrscheinlich auch.

Dabei herrsche kein Erwartungsdruck, versichern mehrere Schausteller auf dem Hochheimer Markt dem hr. Sollten die Kinder etwas anderes machen wollen, dürften sie das auch.

In einem Kassenhäuschen sitzt eine Frau mit rötlichen Haaren und verkauft Fahrchips.

Die Kinder aber wachsen bereits damit auf und können sich ein anderes Leben meist kaum vorstellen. So erklärt es auch der 17-jährige Ricardo Schramm aus Frankfurt, dessen Vater Alexander Schramm direkt neben dem Olympia-Express seinen Break Dancer aufgebaut hat.

Ricardo hat bereits im Babybett in der Steuerkabine des Break Dancers geschlafen, wie er erzählt. "Meine Mutter sagte, dass ich da viel besser geschlafen habe als im Wohnwagen, wo es ruhig war", sagt der Nachwuchs-Schausteller. Die Prägung seit frühester Kindheit hinterlässt Spuren und hält die Tradition aufrecht.

Schokofrüchte statt Autoscooter

Auf dem Hochheimer Markt gibt es auf über 70.000 Quadratmetern alles, was das Herz begehrt, aber der Verstand nicht zwingend braucht. Und das ohne Ramsch - ganz viel ist Handarbeit. Taschen, Bürsten, Kleidung, auch abseits der Fahrgeschäfte gibt es viel zu entdecken.

In der Nähe dieser Händler hat auch der Hanauer Schausteller Wolfgang Eiserloh seinen Stand mit Schokofrüchten - gemeinsam mit seinem Sohn, der auch Wolfgang heißt. Früher hatten die Eiserlohs einen Autoscooter, jetzt verkaufen sie jede erdenkliche Kombination aus Apfel, Banane, Erdbeere, Himbeere und diversen Schokoladensorten.

Den Namen Eiserloh kennt im Rhein-Main-Gebiet vermutlich jeder, der mal auf einem Jahrmarkt war. Von Hanau aus fahren sie auf die Märkte. Nicht nur auf den Hochheimer Markt, vorher waren sie etwa in Ortenberg (Wetterau). Auf der Dippemess in Frankfurt gehören sie auch als Institution dazu.

Sorgen um die Zukunft

Wer glaubt, es seien nur Fertigprodukte, die auf Jahrmärkten verarbeitet werden, der irrt - zumindest bei Eiserlohs. Frisches Obst wird geputzt, aufgespießt, gekühlt, schokoliert und dann in der leuchtend-grünen Verkaufstheke angeboten.

Ein bunter Stand mit Schokofrüchten

Doch die Zukunft macht auch Schausteller Eiserloh Bauchschmerzen: Einerseits erlebe er, dass Standplätze wegbrechen - wie etwa beim Schloßfest in Frankfurt-Höchst, bei dem wegen hoher Energiekosten der Rummel-Anteil vom Veranstalter auf ein Minimum geschrumpft wurde.

Die Dippemess hingegen soll ihren angestammten Festplatz am Ratsweg ganz verlieren. Weil auf dem Gelände eine Schule gebaut werden soll und ein anderer Platz gesucht werde, sagt Eiserloh, machten sich viele Schausteller Sorgen. Bei solch großen Festen verdienen sie einen großen Teil ihres Jahresumsatzes. Kommen plötzlich deutlich weniger Menschen, etwa weil sie ein neues Gelände noch nicht kennen, kann das schnell die Existenz kosten.

Ohne Rummel ist es doch doof

Beim Olympia-Express ist derweil viel Andrang. Eine Fahrt folgt der anderen - Santino Thelen steuert das Karussell und heizt die Fahrgäste mit den jahrmarkttypischen Sprüchen ("Los Freunde, geben wir Gas. Achtung, Action, Baby!") an. Seine Partnerin Lala sitzt an der Kasse und verkauft Fahrchip um Fahrchip.

Für die Thelens hat sich der spontane Abstecher zum Hochheimer Markt gelohnt. Besonders weil das vergangene Jahr, mit den Corona-Nachwirkungen und vielen teuren Reparaturen und Ausfällen am Karussell, finanziell extrem hart war, wie sie schildern.

Lala will den Job niemals aufgeben, wie sie beteuert: "Komm' ich nicht auf eine Veranstaltung, ist es doch auch doof. Dann fehlt was für die Jugend und das Familienpublikum."

Dennoch werde es in vielerlei Hinsicht sehr schwierig, sagt Lala und zählt auf: Personalkosten, Auslagen, Reparaturen, Standgebühren, Bewerbungen für die Festplätze - und das nach den rigorosen Corona-Lockdowns, in denen Jahrmärkte undenkbar waren und die Branche jahrelang kein Geld verdienen konnte. Doch auch das habe man geschafft. "Wir Schausteller sind alle Überlebenskünstler", sagt Lala nachdenklich und verkauft dabei den nächsten Chip.

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