Unternehmen baut Insekten-Cyborgs Mit Kasseler Kakerlaken in den Krieg
Mit Drohnenabwehr hat sich das Kasseler Unternehmen Dedrone einen Namen gemacht. Nun plant sein Gründer einen neuen Start-up-Coup: ferngesteuerte Kakerlaken für Einsätze in Kriegs- und Krisengebieten.
Von einer Drohne werden die Kakerlaken in einem Köfferchen mitten im Kriegsgebiet abgesetzt - und schwärmen aus. Im Schwarm krabbeln sie durch eine zerbombte Stadt, gesteuert von Menschen in einem abgedunkelten Kontrollzentrum.
Mit Kameras auf ihrem Rücken dringen die Kakerlaken in Gebiete vor, die für Menschen unwegbar geworden sind. Eine von ihnen findet eine menschliche Hand, die aus einem Trümmerhaufen ragt. Vorsichtig tastet sie mit den Vorderbeinen einen Finger ab.
"Rettungsteam unterwegs", vermeldet daraufhin eine Computerstimme.
Cyborg-Kakerlaken als Bio-Roboter
Was im neuen Imagefilm des Kasseler Unternehmen Swarm Biotactics wie Science Fiction aussieht, könnte schon bald Realität werden.
Denn laut seinem LinkedIn-Profil möchte Swarm Biotactics sogenannte Bio-Roboter entwickeln: lebende Kakerlaken, die mithilfe von Elektrochips, Künstlicher Intelligenz und Schwarmkoordination in Verteidigungs-, Such- und Rettungsmissionen eingesetzt werden. So wolle es Leben retten.
Defence-Tech-Gründer: erst Dedrone, nun Swarm
Zuerst hatte das Manager Magazin über die Pläne des Unternehmens berichtet. Den Gründer Jörg Lamprecht handelt es als den "erfolgreichsten Defence-Tech-Gründer Deutschlands". Seine Firma Dedrone wurde vergangenes Jahr für etwa eine halbe Milliarde Dollar an das US-Unternehmen Axon verkauft.
Seit 2024 versucht Swarm Biotactics nun mit den Kakerlaken-Cyborgs einen neuen Markt zu erschließen. Das könnte funktionieren, sagt auch Konfliktforscher Niklas Schörnig vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Er forscht zur Zukunft der Kriegsführung.
Konfliktforscher: "Nicht-militärische wie militärische Missionen denkbar"
Die Idee, Tiere über eine Fernbedienung und Chips im Gehirn zu steuern, sei zwar nicht neu, doch habe sie bisher kein anderes Unternehmen auf den Markt gebracht, sagt Schörnig. Obwohl die Einsatzmöglichkeiten vielfältig seien.
Vor allem für nicht-militärische Aufklärungsmissionen, wie die Opfersuche in Erdbebengebieten oder das Einholen von Lagebildern wären die Kakerlaken hilfreich. Auch ein Einsatz als Waffe wäre denkbar:
"Man könnte sich im Extremfall auch vorstellen, dass solche Tiere mit kleinen Sprengladungen versehen und in ein Lager eingeschleust werden", beschreibt der Experte. Dort würden sie dann schlafende Soldatinnen oder Soldaten angreifen.
Produkterfahrung an der Front und gute Kontakte hilfreich
Die Voraussetzungen für den Start von Swarm Biotactics sind vielversprechend: Der Kopf hinter dem Unternehmen hat mit dem Einsatz der Dedrone-Produkte an der ukrainischen Front bereits erste Erfahrungen in der Kriegsaufklärung gesammelt.
Durch seine gute Vernetzung in der Branche hatte Swarm außerdem Gelegenheit auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu werben. "Es handelt sich eben nicht um ein Garagen-Start-up", sagt Niklas Schörnig. Lamprechts Pläne einer "neuen Ära der lebenden Maschinen" seien durchaus ernst zu nehmen.
Kakerlakenschwarm erstmals 2024 kontrolliert ferngesteuert
Wie wahrscheinlich ein Durchbruch tatsächlich ist, kann aber derzeit noch nicht abgesehen werden. Die Forschung an der Fernsteuerung von Tieren laufe bereits seit den 1970ern, schon zu Beginn der 2000er Jahre seien Ratten erfolgreich durch Labyrinthe gesteuert worden, sagt der Experte.
2024 schafften es Forscher in Singapur schließlich erstmals, auch Kakerlaken über Elektroimpulse koordiniert zu bewegen. Aufgrund der langen Historie der Forschung vermutet Schörnig, dass inzwischen in allen größeren Militärnationen der Welt daran gearbeitet wird.
Dass solche mit Maschinen verschmolzenen Lebewesen bereits auf dem Schlachtfeld zum Einsatz gekommen seien, darauf gebe es bisher aber keine Hinweise.
Kakerlaken tragen bis zu 20 Gramm auf ihrem Rücken
Bei Swarm Biotactics scheinen die Pläne mit den Krabbeltierchen schon recht konkret zu werden. Demnach gebe es bereits ein Labor, in dem sich potenzielle Investoren die ersten Tests mit den Krabbeltierchen anschauen können, wie das Manager Magazin aus einer Investorenpräsentation zitiert.
Unter das deutsche Tierschutzgesetz fallen solche versuche an Insekten nicht. Deshalb sind sie auch nicht genehmigungspflichtig.
Die Kakerlaken könnten in ihren Rucksäcken bis zu 20 Gramm tragen. Luft- und Marineeinheiten mit Tauben und Haien seien ebenfalls denkbar. Laut Konfliktforscher Schörnig habe es in der Vergangenheit auch schon Experimente gegeben, in denen Haie mithilfe von Elektroden gesteuert wurden.
Diese hätten den Blutinstinkt der Fische stimuliert, sich also technisch ihre tierischen Eigenschaften zunutze gemacht. "Das ist viel interessanter als eine rein technische Nutzung, denn sonst könnte man das ja auch alles mit robotischen Systemen machen", sagt er.
Swarm noch auf Investoren- und Personalsuche
Derzeit ist das Projekt noch in der Anfangsphase. Auf der Website sucht das Unternehmen gerade einen Insekten-Neurowissenschaftler, mit CEO Stefan Wilhelm hat es aber bereits einen erfahrenen Tech-Chef an Land gezogen.
Wilhelm war zuletzt als Geschäftsführer bei den kalifornischen Bell Laboratories tätig, die für ihre Forschung zehn Nobelpreise gewannen. Laut Wirtschaftswoche plant das Unternehmen derzeit zudem eine Kooperation mit der Bundeswehr.
Schörnig: "Die Kriegsführung wird durch die Technologie nicht revolutioniert"
Konfliktforscher Niklas Schörnig ist noch nicht ganz überzeugt: "Momentan fehlt mir noch ein wenig die Fantasie, dass die Kakerlaken einen extremen Unterschied auf dem Schlachtfeld machen würden", sagt er.
Bestimmte Themen wie Aufklärungsmissionen oder gezielte Angriffe gegen einzelne Soldaten würden mit der Technologie präzisiert. Die Kriegsführung per se würde sie aber nicht revolutionieren.