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Urologe? Was ist das? Viele Männer und speziell junge Männer waren noch nie beim "Männerarzt" - Mädchen beim Frauenarzt hingegen viele. Aber alle Jugendlichen sollten sich mit Verhütung und Gesundheit und Vorsorge auseinandersetzen, sagen Ärzte beider Geschlechter.

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Urologe: "Auch junge Männer brauchen Vorsorge und Beratung."

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"Brauch ich nicht", "kam mir nicht in den Sinn", "für Mädchen ist das ja auch normaler": das sind Antworten, gesammelt bei einer spontanen hr-Straßenumfrage zum Thema intime Gesundheitsvorsorge für junge Männer. "Braucht man schon", sagt der Urologe Christian Ratz aus Groß-Gerau. Er versucht mit "Jungensprechstunden" auch junge Patienten in seine Praxis zu locken.

In Sachen Körperkunde, stehen die Männer den Frauen häufig um einiges nach, sagt Ratz. Dass wenige den Weg in die Urologie finden, liege aber auch an den Klischees und Horrorstorys über den Besuch beim Facharzt: "Alte Männer, Prostata und Rektaluntersuchung, das ist das, was viele Menschen mit dem Urologen verbinden und wovor viele furchtbare Angst haben". Allerdings sei das völlig unbegründet, denn der Gang zum Urologen bedeute gerade in jungen Jahren meist nur ein Gespräch und vielleicht einen harmlosen Hoden-Ultraschall. Er biete aber eben auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen, auf die junge Männer sonst kaum Antworten fänden.

Christian Ratz sitzt in einem Bahnadlungsraum vor einem Ultraschallgerät auf einer Liege und schaut in die Kamera.

Auch im höheren Erwachsenenalter gibt es offenbar Vorbehalte gegen Vorsorgeuntersuchungen. Ab 45 Jahren können Männer zur Prostatauntersuchung, sie wird dann als gesetzliche Krebsvorsorgeleistung von den Krankenkassen übernommen. Aber nur etwa zwölf Prozent der berechtigten Männer gehen nehmen dieses Angebot wahr, sagen die Prostata-Hilfe Deutschland und der Barmer Arztreport. In Hessen liegen die Zahlen demnach sogar noch niedriger.

Jugendliche wollen mit intimen Themen nicht zum Kinderarzt

Für alle Teenager gibt es zwar die J2-Untersuchung, bei der allerdings nicht primär die Geschlechtsorgane gecheckt werden und die von Kinderärztinnen und -ärzten durchgeführt wird. "Mein Eindruck ist, dass die sich mit 16 oder 17 Jahren erwachsen fühlen", sagt Ratz. Deswegen wollten die Jugendlichen dann eher nicht zum Kinderarzt, die jungen Männer hätten aber eben auch Hemmungen vor der Urologie.

Einen plötzlichen Andrang im Wartezimmer spüre der Urologe immer nur dann, wenn prominente Sportler wie etwa die Profi-Fußballer Marco Russ (Eintracht Frankfurt) oder Sébastien Haller (Borussia Dortmund) an Hodenkrebs erkrankten. "Dann tasten die Jungs sich das erste Mal selbst ab, finden den Nebenhoden und denken sie haben Krebs".

Faustregel und Spritze gegen Krebs

Statt Finger in den Po und der gefürchteten Prostatauntersuchung lernten besonders junge Männer in der Praxis erstmal Nützliches zur Selbstvorsorge. Wie etwa eine wortwörtliche Faustregel, an der der Urologe erklärt, wie man sich selbst abtastet. "Der muskuläre, weiche, aber pralle Teil zwischen Daumen und Zeigefinger, so sollte sich ein gesunder Hoden anfühlen." Sei es dagegen an einer Stelle eher hart, wie am Fingerknöchel, dann sollte man lieber zum Arzt gehen. "Wenn man so etwas einmal gezeigt bekommt, weiß man das fürs Leben." Auch die HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs gibt es für Jungs beim Urologen. Bisher seien nur fünf Prozent der 15-jährigen Jungen geimpft, obwohl die Impfung dringend für beide Geschlechter empfohlen wird.

Für junge Frauen ist der Intim-Check Routine

Ganz anders ist die Vorsorgedichte dagegen bei den Mädchen. Ab 20 Jahren wird von der Kasse der Pap-Abstrich zum Erkennen von Gebärmutterhalskrebs bezahlt, bis 25 Jahren ein Chlamydien-Test und die Brüste werden zur Krebsvorsorge auch abgetastet. Zum Frauenarzt oder der Frauenärztin zu gehen, ist für viele Mädchen Routine. 84 Prozent der 14 bis 25-Jährigen waren schon mindestens ein Mal dort, sagt die Repräsentativumfrage "Jugendsexualität" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2022. Viele kommen demnach schon nach der ersten Periode, wegen der Pille oder einfach so zum Check-up.

Sheila de Liz ist Gynäkologin in Wiesbaden und hat sich zur Aufgabe gemacht, auch neben ihrem Praxisalltag junge Frauen auf TikTok, Instagram und YouTube aufzuklären. Zum Thema Pubertät hat sie auch gerade das Buch "Girl on Fire" veröffentlicht. Die Gynäkologin hofft, dass der Ratgeber zu einer Art "Pubertäts-Bibel" werden kann. Einen solchen Ratgeber bräuchten junge Männer auch dringend, sagt de Liz. "Die haben eigentlich noch schwieriger Zugang zu den Themen, finde ich. Die informieren sich dann über das Internet oder gucken am Ende Pornografie und denken, sie haben dort die Wahrheit über die Sexualität gesehen."

Pornos sind als Informationsquelle ungeeignet

Dass Jungs Pornos erstmal für realistisch halten, sieht auch Urologe Christian Ratz als Problem. Viele seien einfach total verunsichert, bei seiner Jungensprechstunde in einer Schule sei es bei den meisten Fragen um die Penisgröße gegangen. Generell gäbe es viele Fragen, aber noch zu wenig Bewusstsein darüber, an wen man sich wenden kann. Auch Scham sei ein großes Thema.

Auch Gynäkologin de Liz würde das gerne ändern: "Es wäre schön, wenn wir so eine Kultur pflegen würden, in der eine Aufklärung von Jungs und Männern normal wäre. Eine Kultur, in der Männer auch über sexuelle Themen und Probleme reden und darüber sprechen, dass ein Mann oder ein Junge nicht nur zu funktionieren hat, sondern dass es da auch jede Menge zu wissen und zu lernen gibt." Zum Beispiel beim Urologen - auch und gerade für junge Männer.

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