Virologe Drostens Corona-Rückblick in Frankfurt "Ignorierte Fakten", "viele Trugschlüsse", "unselige Debatten"
Welche Lehren können wir aus der Corona-Pandemie und unserem Umgang mit ihr ziehen? Bei einem Experten-Symposium in Frankfurt hat Virologe Christian Drosten für Rationalität plädiert - bei Politikern, Journalisten und einigen Kollegen.
Selbstverständlich lief die Veranstaltung in Präsenz und nicht virtuell, der Hörsaal 22 war voll besetzt - und einen Impfnachweis oder Mund-Nase-Schutz brauchte niemand. Die Corona-Pandemie ist beendet. Dass wir nicht mit ihr abgeschlossen haben, machten Titel und Stargast des Symposiums deutlich, das am Montag an der Frankfurter Uni-Klinik über die Bühne ging.
"Herausforderungen und Lehren aus der Pandemie" waren Thema. In Vorträgen und Diskussionen ging es um Infektionswellen, Virusvarianten und darum, wie die Pandemie eingedämmt und Erkrankte behandelt wurden. "Wir haben in diesen drei Jahren viel gelernt", sagte als Gastgeber Hessens Sozialminister Kai Klose (Grüne) zur Begrüßung.
Der bekannteste Experte auf der Gästeliste machte klar, dass er sich gewünscht hätte, die eine oder andere Lehre wäre ihm und uns erspart worden. "Ganz viele Trugschlüsse", "entsetzlich viele logische Fehler", "unselige Debatten", "ignorierte Fakten", "traurige Entwicklung für unsere Gesellschaft" - Stichworte aus seiner Rede zeigten, wie sehr seine Erfahrungen noch am Virologen Christian Drosten nagen.
Lieblingsfeind der Querdenker
Es waren Erfahrungen mit der Politik, mit Medien, mit konkurrierenden Wissenschaftlern, die aus Drosten sprachen. "Wir müssen noch lange daran arbeiten, dass wir wieder zusammenfinden können", prognostizierte er mit Blick auf den noch heute andauernden Streit über das Virus und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
Die Folgen hatte er selbst zu spüren bekommen: Um Drosten gruppierte sich in der Pandemie in der Bevölkerung das "Team Vorsicht". Er war der Erklärer der Pandemie und ein Ratgeber der Regierung. So wurde er Lieblingsfeind von Querdenkern und Objekt einer Kampagne der Bild-Zeitung, die in einem Fall auch der Presserat rügte. Morddrohungen erhielt er auch.
Das sagte der Wissenschaftler der Berliner Charité in Frankfurt über:
- Lockdown und Wissenschaft als Lebensretter: Durch frühe Erfolge in der Diagnostik und Maßnahmen wie den Lockdown seien im Frühjahr 2020 in Deutschland rund 60.000 Menschenleben gerettet worden. Das zeige ein Vergleich mit England. "Wir haben unsere erste Welle im Labor bemerkt und nicht auf der Intensivstation."
- vermeidbare Todesfälle: Im Winter 2020/21 stiegen die Todesfälle in Deutschland und Hessen wieder. Die sogenannte "Übersterblichkeit" sei Folge einer "unseligen Debatte" gewesen, ob es überhaupt eine neue Winterwelle geben würde und ob die Impfung funktioniere. Dabei hätte man laut Drosten mit Lockerungen nur kurz warten müssen, "den Impfstoff gab es ja bereits".
- den "Keim des Wissenschaftszweifels": Er wurde laut Drosten nicht zuletzt "in den Medien" gesät: in Talkshows oder im Internet, auch von Politikern und Kollegen. Der Virologe sprach von "eitlen Selbstdarstellern". Journalisten hätten die wenigen verlässlichen Daten mit Begriffen wie "Modellierer des Grauens" auch noch "durch den Kakao gezogen". Er erinnerte auch an Angriffe unter Kollegen: "Das war sehr schlecht für den Glauben der Bevölkerung an der Wissenschaft."
- angeblich lange Schulschließungen: Sehr früh habe sich gezeigt, dass Kinder sehr wohl ansteckend sind, auch ohne Symptome. Im internationalen Vergleich seien die Schulschließungen hierzulande auch nicht überdurchschnittlich lang gewesen. Auch hier habe gegolten: "In der politisch-medialen Diskussion zählen Daten leider wenig - bis heute."
- Durchseuchungs-Mythos und Impferfolg: Während andere Zweifel gestreut hätten, "wussten die Insider, wie gut die Impfung ist". Hier habe die Politik klug agiert. Beendet worden sei die Pandemie durch eine "Hybridimmunität der Bevölkerung", also durch Impfung und Erkrankungen. Trotzdem halte sich die irrige Vorstellung, das Durchseuchen "wie bei einer milden Grippe" wäre tragbar gewesen - und zwar bei Leuten, die nicht wüssten, wie genetisch einzigartig das Coronavirus ist.
- Lehren aus der Pandemie: Sie müssten für die Politik und Kommunikation gezogen werden. Virologisch-medizinisch sei dies schwer, weil das nächste Virus ganz andere Folgen haben könne.
Virologin Ciesek für Verbesserungen der Infrastruktur
Auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek erinnerte sich an "Tiefpunkte in der Kommunikation". Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik in Hessen erlebte die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie aber als gut und transparent. Sie plädierte aber für Verbesserungen in der Infrastruktur der Forschung, "weil wir einfach nicht so einsatzbereit waren, wie wir gerne gewesen wären".
Das betreffe die Gestaltung von Hochsicherheitslaboren, aber auch Möglichkeiten zu klinischen Studien und den Zugriff auf ausreichende Datensammlungen. "Da haben wir ziemliche Lücken“, sagte Ciesek. Sie und ihr Team waren maßgeblich an der Erforschung von SARS-CoV-2 beteiligt. Sie hatten unter anderem als erste nachgewiesen, dass auch symptomfreie Menschen Corona positiv sein und das Virus übertragen können.
Ex-Senckenberg-Chef: "Es war nicht schlecht"
Einen anderen Akzent bei der Pandemiebetrachtung als Drosten setzte Volker Mosbrugger, Paläontologe und Ex-Generaldirektor des Senckenberg-Forschungsinstituts und Naturkundemuseums in Frankfurt. "Ich finde, es war erwartbar und nicht schlecht", sagte er generell zur Bewältigung mit der Pandemie.
Als grundlegendes Problem habe sich allerdings herausgestellt, dass nicht in Systemen gedacht worden sei, sondern sektoral. Dabei werde übersehen, "dass schon kleine Veränderungen riesige Unruhe in der Gesellschaft erzeugen".
Die kontroverse Debatte über wissenschaftliche Schlussfolgerungen sah Mosbrugger weniger negativ: "Ein gesundes Misstrauen gegenüber der Wissenschaft ist auch immer angebracht." Damit müsse man in einer Demokratie leben.
Fauci und Drosten
Das Problem der Vermittlung wissenschaftlich geleiteter Beschlüsse der Politik sieht freilich auch Mosbrugger. Er schlug vor, nach dem Vorbild des US-amerikanischen Immunologen und Präsidentenberater Anthony Fauci einen "Wissenschaftssprecher nahe an der Politik" zu installieren. Der könne dann "mit politischer Autorität" kommunizieren.
Es ist unwahrscheinlich, dass Christian Drosten sich um einen solchen Posten reißen würde. Ob er eine nächste Pandemie lieber mehr als Kommunikator oder als Wissenschaftler begleiten würde, wurde er gefragt. "Lieber mehr im Labor!" - die Antwort kam ohne Zögern.
Sendung: hr-iNFO, 10.07.2023, 14.20 Uhr
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