Foxtrott bis Hip-Hop In Deutschlands ältester Tanzschule steigt seit 240 Jahren das Night Fever

Seit sechs Generationen bringt Familie Bäulke anderen das Tanzen bei: ob Walzer für den Abschlussball oder Tango fürs Tanzabzeichen. Wie schafft sie es, junge Leute heute noch für Standardtänze zu begeistern? Und hat sie selbst überhaupt noch Spaß daran?

Ein Mann mit grauer Hose und Pullover und eine Frau im kurzen türkisen Kleid tanzen im Tanzsaal, halten sich an den Händen. Sie schauen in die Kamera.
Claudia und Axel Bäulke sind seit drei Jahrzehnten Tanzschulleiter. Bild © hr
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Älteste Tanzschule Deutschlands

Tanzende Jugendliche
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Eins, zwei - Seitschluss.

Axel Bäulke ist mit diesem Rhythmus aufgewachsen. Sein Kinderzimmer lag direkt über dem Saal der elterlichen Tanzschule. Viele Abende hieß das: oben im Bett der kleine Axel, unten die klackernden Absätze der Tanzschüler und die Anweisungen des Vaters im Takt.

Heute ist es Axel Bäulke selbst, der hier Schülerinnen und Schülern Haltung und Schrittfolgen beibringt. Gemeinsam mit seiner Frau Claudia leitet er in Gießen die älteste Tanzschule Deutschlands. Seit 1787 ist die Schule in Familienhand, mittlerweile in der sechsten Generation.

Jugend tanzt wieder mehr

Ob Walzer, Quickstep oder Rumba - tatsächlich ist Standardtanzen bis heute beliebt, auch bei der jungen Generation. Eine Umfrage von YouGov zeigt etwa: Jeder Dritte hat in seiner Jugend mal einen Tanzkurs in der Tanzschule belegt.

Bei den 18- bis 25-Jährigen war der Prozentsatz nur etwas geringer als bei den über 55-Jährigen und sogar höher als bei den Generationen dazwischen.

Auch andere Umfragen zeigen: Viele Menschen tanzen regelmäßig - und das nicht nur im Club vor sich hin, sondern auch Paartänze wie Salsa oder Foxtrott.

Night Fever in Gruppenformation

In der Tanzschule Bäulke wird mittlerweile auch Hip-Hop unterrichtet, vor allem aber weiterhin der Standardtanz, bei dem man in der Schule auch Tanzabzeichen in verschiedenen Kategorien ablegen kann. Junge Menschen sind dabei immer noch die Hauptzielgruppe.

Mit dabei sind beispielsweise die 15-jährigen Naima und Fiete. Sie sind bereits im Fortgeschrittenenkurs und lernen dieses Mal einen Tanz in der Gruppenformation.

Junge und Mädchen
Naima und Fiete sind bereits im Fortgeschrittenenkurs Bild © hr

"Hoch - tief, hoch - tief", ruft Axel Bäulke und zeigt ein paar Bewegungen, die durchaus Erinnerungen an die siebziger Jahre wecken. Oft wird hier zu aktuellen Songs getanzt, aber jetzt spielt Bäulke einen echten Disco-Klassiker: "Night Fever" von den Bee Gees.

Ein paar Jugendliche kichern, während sie die Retro-Moves zur Retro-Musik machen, aber alle ziehen durch - und haben offenbar Spaß dabei.

Von den Eltern gezwungen und dann Spaß gehabt

Fiete erzählt lachend: Zum ersten Kurs sei er von den Eltern noch gezwungen worden. "Aber dann hat es mir so viel Spaß gemacht, dass ich weitergemacht habe."

In seinem Freundeskreis tanzten einige, erzählt er. "Aus meiner Klasse sind wir ungefähr zehn." Mittlerweile habe er schon einige Kurse in der Tanzschule Bäulke besucht, zum Teil mehrfach.

Naimas Vater hat als Jugendlicher ebenfalls bei den Bäulkes tanzen gelernt. Sie sei trotzdem nicht von den Eltern zum Einsteigerkurs überredet worden, sondern von Freunden, die schon einen Kurs besucht hatten. "Man kommt raus, trifft Freunde, und auch der Abschlussball ist echt cool", sagt sie.

Bei den Bäulkes fliegen auch die Funken

Discoabend, Abschlussball - in der Tanzschule Bäulke hat vieles Tradition. Sogar das Gerücht, dass auf der Tanzfläche nicht nur Schuhe klackern, sondern auch mal Funken fliegen können. Standesgemäß haben sich auch die Bäulkes selbst beim Tanzen kennen gelernt.

Claudia war damals 15 und selbst Tanzschülerin, der 19-jährige Axel angehender Tanzlehrer. Die Bäulkes erzählen: Beim Discoabend habe Axel eine Partnerin gesucht, und sein Vater habe ihm Claudia vorgeschlagen. Die setze keinen Tanz aus und sei immer nassgeschwitzt, habe der Vater gesagt. "Und das war dann auch gut", sagt Axel Bäulke.

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Gegründet im 18. Jahrhundert

Mittlerweile liegt hinter den beiden eine erfolgreiche Karriere als Turniertänzer. Vor rund drei Jahrzehnten übernahmen sie dann die Tanzschule.

Die Geschichte der Schule reicht zurück in das Jahr 1787. In Biedenkopf machte damals ein Vorfahre der Bäulkes sein Hobby zum Beruf. Anfangs reiste er noch mit einer Art mobilen Tanzschule von Ort zu Ort.

Wegen der guten Eisenbahnverbindung landete die Familie dann in Gießen, wo Axel Bäulkes Urgroßvater 1919 in der Wolfstraße den ersten festen Sitz aufbaute. Die Tanzschule Bäulke in Darmstadt geht ebenfalls auf die Ahnen der mittelhessischen Bäulkes zurück.

Schwarz-weiß-Fotografie aus dem Archiv mit festlich angezogenen Tanzpaaren und einem Mann in der Mitte.
Urgroßvater Bäulke (Mitte) mit Abschlussklasse. Bild © hr

1944 wurde das Gebäude in der Gießener Wolfstraße allerdings zerbombt. Davor hatten die Nationalsozialisten die Tanzschule bereits geschlossen: mit der Begründung, dass dort auch "artfremde Tänze" wie Rumba unterrichtet würden.

Tanzfreude bis heute ungebrochen

Heute ist das traditionsreiche Haus wohl auch aufgrund seiner ungewöhnlichen Fassadengestaltung in Gießen gut bekannt. Das Gebäude der Tanzschule erinnert optisch ein bisschen an einen riesigen Cartoon: Die Bäulkes haben tanzende Menschen, Noten und übergroße Fensterrahmen an die knallblauen Außenwände malen lassen.

Wer die Tanzschule irgendwann mal übernimmt und ob sie weiter in der Familie bleibt - noch winken die Bäulkes bei dieser Frage ab. In 20 Jahren solle man noch mal nachfragen, sagen sie. Tanzen, das sei einfach pure Freude für sie und halte körperlich fit.

Gebäude mit blauer und bemalter Fassade und Schriftzug Tanzschule Bäulke
Die heutige Tanzschule in der Wolfstraße Bild © hr

Fordernd ist der Job natürlich auch. An Sonntagen seien sie manchmal zwölf Stunden am Stück im Einsatz, erzählen Claudia und Axel Bäulke. Und ein gemeinsames Abendbrot gebe es in Tanzschulfamilien nur in den Ferien.

Aber die Tanzfreude, die sei tatsächlich bis heute ungebrochen, sagen sie, sogar dann, wenn gerade kein Unterricht ist. Die Bäulkes erzählen: Wenn beim Mittagstisch das Gespräch auf eine neue Formation oder Schrittkombination komme, dann werde das einfach mal schnell ausprobiert: zwischen Esstisch und Wohnzimmer und zur Not auch mit vollem Mund.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de