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Was bringen Demos?

Demonstration gegen rechts in Frankfurt am Fuß der Paulskirche

Hunderttausende haben in den vergangenen Tagen bundesweit gegen die AfD und Rechtsradikalismus demonstriert. Welche Wirkungen haben die Massenproteste? Was folgt daraus? Antworten vom Frankfurter Protestforscher Daniel Mullis.

Großdemonstrationen in Frankfurt, Kassel, Limburg, Gießen, Darmstadt und anderen Städten in Hessen und ganz Deutschland - die Menschen stehen auf gegen die AfD und Rechtsradikalismus. Was bewirken solche Proteste? Und wie geht es weiter? Ein Interview mit dem Protestforscher Daniel Mullis vom Peace Research Institut Frankfurt (PRIF).

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hessenschau.de: Zehntausende Menschen in Hessen, Hunderttausende bundesweit gehen auf die Straße gegen rechts. Was bedeutet das für die demokratische Kultur?

Daniel Mullis: Ich glaube, dass diese Demonstrationen auf jeden Fall einen ganz unmittelbaren Effekt auf die vielen Menschen haben, die daran teilgenommen haben, die ein Interesse daran haben, diese Demokratie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine pluralistische, bunte Gesellschaft zu stärken. Diese Menschen fühlen sich nun quasi bestätigt und ermutigt. Sie ziehen Energie und Kraft aus den Demos, um sich in alltäglichen Auseinandersetzungen oder Diskussionen in der Familie, am Arbeitsplatz oder anderswo, einzusetzen und einzubringen. Das ist der unmittelbare Effekt.

Porträtfoto Daniel Mullis

hessenschau.de: Viele Menschen waren nach eigenen Angaben "froh" oder "erleichtert", in großer Masse ihren Unmut gegen rechts ausdrücken zu können.

Daniel Mullis: Ich glaube, das ist zentral. Wenn wir auf die Entwicklungen der letzten zehn Jahre schauen, Pegida, Corona-Proteste, heißer Herbst, also das massive Erstarken der AfD und dann die Reaktionen der anderen Parteien und der Regierung darauf… Ich glaube, ein progressives Millieu hat sich dabei doch sehr an die Wand gedrängt gefühlt mit seiner Haltung für eine offene Gesellschaft.

Gleichzeitig wunderten sich viele, wie es sein konnte, dass da kaum mehr Widerspruch gegen rechts kam. Und das ist jetzt aufgerissen, und zwar vehement. Es sind die größten Demonstrationen in Westdeutschland seit dem Irakkrieg und in Ostdeutschland sind es wahrscheinlich die größten Demonstrationen seit den Wendejahren 1989/90. Das ist ein massives Aufstehen aus der Zivilgesellschaft heraus, was man erst mal wirklich auch nicht hoch genug bewerten kann.

hessenschau.de: Welche nächsten Schritte wären jetzt denkbar?

Daniel Mullis: Rechte Parteien sind gut darin, Emotionen zu mobilisieren: Enttäuschung, Wut, ein Gefühl von Exklusion. Da stehen wir als Gesamtgesellschaft vor der Herausforderung, den Menschen - und das bezieht sich nicht nur auf Wähler rechter Parteien – positive Zukunftsvorstellungen anzubieten. Ihnen ein positives Erfahren von Demokratie und sozialer Teilhabe zu ermöglichen. Dabei kommt es aber eben auch stark auf politische Entscheidungen an. Die Zivilgesellschaft kann das Problem, vor dem wir stehen, nicht alleine lösen.

hessenschau.de: Welche zivilgesellschaftlichen Wirkungsfelder sehen Sie?

Daniel Mullis: Man kann ganz klein anfangen, unmittelbar am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis und sich klar und deutlich widersetzen, wenn sich jemand ausschließend oder rassistisch äußert oder Wahlwerbung für die AfD oder andere rechte Parteien macht.

Und dann gibt es wirklich viele zivilgesellschaftliche Projekte quasi zur Demokratieförderung, wie Antirassismusarbeit, Unterstützungsnetzwerke für geflüchtete Menschen, Bildungsangebote, die Möglichkeit mit Schülerinnen und Schülern zu arbeiten, gewerkschaftliche Angebote, das ist alles da und bietet Möglichkeiten, etwas zu verändern.

hessenschau.de: Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Daniel Mullis: Die Medien müssen sehr vorsichtig sein, welche Framings sie übernehmen und reproduzieren und was sie in der Berichterstattung aufnehmen. Und sie müssen sich vor allem fragen, ob es wirklich nötig ist, rechtsextremen Politikerinnen und Politikern eine Bühne zu geben, auf der sie ständig wieder ihre eigenen Botschaften präsentieren und in die Welt hinaus senden können.

Selbst nach den großen Protesten jetzt haben Politikerinnen und Politiker der AfD zur besten Sendezeit die Möglichkeit bekommen, sich zu rechtfertigen. Da müssten die Medien überlegen, ob sie nicht einen anderen Umgang finden können, gerade mit der AfD.

hessenschau.de: Also weniger mit Rechten sprechen, sondern besser mit den Unzufriedenen und die Menschen und ihre Nöte zu Wort kommen lassen?

Daniel Mullis: Ja, und nein. Wir haben die Erzählung der besorgten Bürgerinnen und Bürger schon seit Pegida. Wir hören die Sorgen der Menschen an, die die Rechten wählen. Nur hat das letztlich dazu geführt, dass wir eine unsägliche Migrationsdebatte mittlerweile führen, die in weiten Teilen Züge einer entgleisten Debatte hat.

Vielleicht ist es jetzt nach den Massenprotesten aber mal an der Zeit, Hunderttausende, die jetzt auf den Straßen sind und waren, genauso als besorgte Bürger ernst zu nehmen. Deren Ängste und Sorgen sich anzuhören und sie zu fragen: Was für eine Gesellschaft wünschen sie sich eigentlich, wovon träumen sie? Das würde die Möglichkeit öffnen, die Mitte der Gesellschaft neu zu verorten und die Eckpfeiler neu zu bestimmen. Wenn man nur immer auf diejenigen hört, die rechts wählen, dann ist das am Ende der Maßstab, an dem Politik sich orientiert. Das hat jetzt lange nicht gut funktioniert.

hessenschau.de: Eine Möglichkeit der politischen Willensbildung sind Wahlen. Doch viele gehen gar nicht zur Urne.

Daniel Mullis: Neben der Wahlbeteiligung stellt sich doch auch die Frage nach den Menschen, die gar nicht wählen dürfen. In Frankfurt etwa haben wir in manchen Stadtteilen einen Ausländeranteil von 30 oder 35 Prozent. Wenn man die zu denen addiert, die nicht wählen wollen, dann kommt man auf eine sehr hohe Zahl an Menschen, die nicht beteiligt sind. Also lautet die Frage: Wie kriegen wir mehr Menschen in diese Demokratie integriert.

Hinzu kommt, dass eine Demokratieskepsis sehr weit verbreitet ist – nicht nur bei potenziell rechten Wählern. Das Gefühl zieht sich ja quer durch die Gesellschaft, dass die Demokratie Mängel hat und anders laufen sollte. Auch hier ist es Aufgabe der Politik, wieder mehr Menschen in die repräsentative Demokratie reinzuholen, ihnen zu zeigen: Engagement lohnt sich! Immer weniger Menschen engagieren sich nämlich in Parteien, Gewerkschaften oder auch Kirchen.

hessenschau.de: Woher kommt denn diese Demokratieverdrossenheit?

Daniel Mullis: Die Antworten sind vielfältig. Zunächst interessiert es viele Menschen gar nicht. Die kommen gut zurecht und Politik ist für sie gar keine Kategorie, solange es ihnen gut genug geht. Es gibt aber auch einen großen Anteil an Menschen, die das Gefühl haben, dass es sich einfach nicht lohnt, sich zu engagieren, weil man nicht gehört wird. Dass sie mit ihrem Engagement gar nicht durchkommen. Die denken: Wir hier unten profitieren doch eh nicht, die Demokratie bringt mir selbst ja nichts.

Und sie erleben ja auch vor Ort, dass etwa die Schulen marode sind, dass der öffentliche Nahverkehr nicht richtig funktioniert, die Krankenhäuser überfordert sind, dass Sperrmüll nicht mehr abgeholt wird und so weiter… Alle diese kleinen Erfahrungen verbinden die Menschen mit einer Dysfunktionalität ihrer Demokratie. Sie erleben nicht, dass die drängenden kleinen und großen Probleme angepackt werden. Das ist der Teil, wo die Politik ran muss.

hessenschau.de: Was würden Sie Menschen raten, die sich weiter engagieren wollen?

Daniel Mullis: Erst mal würde ich raten, den Schwung und die Euphorie der Demos mitzunehmen und daraus die Lust zu entwickeln, mit Gesellschaft etwas zu tun zu haben und sich einzubringen und sich demokratisch zu engagieren. Sich Zeit freizuschaufeln, um irgendwo zivilgesellschaftlich aktiv zu sein. Und ich würde raten, weiter zu demonstrieren und im Alltag Position zu beziehen und auch wählen zu gehen. Aber es ist und bleibt komplex und die Zivilgesellschaft kann das eben nicht alleine stemmen.

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