"Kleine Riesen Haus" in Kassel Wo Eltern lernen, ihr krankes Kind zu pflegen
Ein Haus für Hoffnung – und bisher einzigartig in Hessen: In Kassel entsteht das "Kleine Riesen Haus" für Familien mit schwerstkranken Kindern. Hier sollen Eltern lernen, wie Pflege im Alltag gelingt. Möglich wird das nur durch Millionen an Spendengeldern.
Ein Kind kommt mit einer schweren Erkrankung zur Welt, benötigt rund um die Uhr intensive Pflege. Statt unbeschwertem Familienglück heißt das für Eltern: Sorgen, Angst, Ungewissheit und viele Fragen: Wie legt man eine Nasensonde? Wie bedient man ein Sauerstoffgerät? Wie geht man mit einem schwerkranken Kind im Reha-Buggy einkaufen?
Familien in solchen Ausnahmesituationen sollen künftig eine Anlaufstelle bekommen: das "Kleine Riesen Haus". Es entsteht in direkter Nachbarschaft zum Klinikum Kassel. Am Montag wurde feierlich der Grundstein gelegt. Einige Mauern stehen bereits. Ende 2026 soll der Betrieb aufgenommen werden.
"Kleine Riesen Haus" soll Familien beim Start in neuen Alltag helfen
Das Konzept: Eltern können hier für mehrere Wochen mit ihren Kindern einziehen. Vor Ort sollen sie dann in einem geschützten Raum von Ärzten, Pflegekräften, Therapeuten oder Psychologen ganz praktisch lernen, wie sie ihr Kind später zu Hause richtig pflegen und den Alltag bewältigen können.
"Das ist ein Meilenstein für die Versorgung von schwerkranken Kindern und ihren Familien", sagt Michaela Nathrath. Sie gehört zu den Gesellschaftern der Kleine Riesen Nordhessen gGmbH, die die neue Einrichtung betreiben wird. Das Haus sei eine Antwort auf den bundesweiten Mangel an Pflegediensten für Kinder.
"Es soll Hoffnung in schwierigen Zeiten für Familien geben. Wir betreiben hier Parent Empowerment", so Nathrath, die auch Chefärztin der Klinik für Kinderonkologie in Kassel ist. Eltern und damit Familien stark machen – darum geht es den Kleinen Riesen.
Kritik an Unterversorgung bei Pflege von Kindern
"Es gibt eine Versorgungslücke", sagt Thomas Voelker, ebenfalls Gesellschafter bei den Kleinen Riesen. Zwar gebe es laut Sozialgesetzbuch ein Recht für Familien auf Pflegekurse, die von der Pflegekasse auch bezahlt werden. Doch Angebote gebe es bislang kaum.
"Wir erleben zum einen, dass es immer weniger ambulante Pflege gibt, besonders für Kinder und Jugendliche, weil spezialisierte Fachkräfte fehlen." Zugleich gebe es laut Voelker eine steigende Zahl an chronisch kranken Kindern von Geburt an, die dank der guten medizinischen und pflegerischen Unterstützung heute länger lebten als früher.
Ähnliche Einrichtung gibt es bisher nur in Hamburg
Eine ähnliche Einrichtung wie in Kassel gibt es laut den Kleinen Riesen nur in Hamburg, dort heißt sie Ülenkinder. Entsprechend richtet sich das "Kleine Riesen Haus" auch an Familien nicht nur aus Hessen, sondern weit darüber hinaus.
Der Hospiz- und Palliativverband Hessen begrüßt das Projekt in Kassel. "Das Haus wird einen ganz großen Beitrag für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Hessen darstellen", sagt Bettina Mathes, Referentin für Hospizarbeit.
"Uns eint die Tatsache, dass wir nicht ausreichend Fachkräfte haben, um die Bedarfe der Familien vor Ort decken zu können." Vor diesem Hintergrund bleibe den Familien kaum etwas anderes übrig, als Experten für die Versorgung ihres Kindes zu werden.
Uns eint die Tatsache, dass wir nicht ausreichend Fachkräfte haben, um die Bedarfe der Familien vor Ort decken zu können. Zitat von Bettina Mathes, Hospiz- und Palliativverband HessenZitat Ende
Dem hessischen Gesundheitsministerium liegen nach eigenen Angaben hingegen keine Hinweise zu einem Fachkräftemangel im spezifischen Bereich der Kinder- und Jugendpalliativversorgung vor.
Großteil der Finanzierung kommt aus Spenden
"Das ist ein einmaliges und besonderes Projekt", sagt die hessische Gesundheits-, Pflege- und Familienministerin Diana Stolz (CDU). "Das wird Nachahmer finden." Rund acht Millionen Euro kostet der Bau insgesamt, zwei Millionen Euro kommen vom Land, die Stadt Kassel gibt einen Baukosten-Zuschuss von 500.000 Euro.
Der größte Batzen von rund 5,6 Millionen Euro wird aber über Kredite finanziert, die später durch Spendengelder bedient werden sollen. Eine große Stiftung, die anonym bleiben möchte, habe jetzt 1,5 Millionen Euro für das Projekt gegeben, so Katharina Griesel, Sprecherin der Kleinen Riesen.
Zweites Childhood-Haus Hessens entsteht ebenfalls in Kassel
Neben der Pflege-Hilfe für Familien soll in dem Neubau auf dem Klinik-Gelände auch noch ein so genanntes Childhood-Haus untergebracht werden. Hier sollen Kinder, die körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben, beraten und versorgt werden. Zudem sollen hier in einem geschützten Rahmen etwa polizeiliche Vernehmungen während eines Ermittlungsverfahrens stattfinden können. Das Kasseler Childhood-Haus wird das zweite in Hessen, in Frankfurt gibt es bereits eine solche Einrichtung.
In rund eineinhalb Jahren sollen die ersten Familien in das "Kleine Riesen Haus" am Klinikum in Kassel einziehen können, um sich hier auf ihren neuen und herausfordernden Alltag vorzubereiten. "Die Eltern sind die wirklichen Helden", sagte der Kasseler Regierungspräsident Mark Weinmeister (CDU) am Montag. "Sie übernehmen die Pflege ihrer Kinder zu Hause, für sie ist dieses Haus."