Nahaufnahme: Eine Frau mit einem Kopftuch steht an einem Fenster vor einem Vorhang und schaut mit leicht gesenktem Blick raus.

Die Genitalien von Mädchen zu verstümmeln, ist eine brutale und lebensgefährliche Prozedur mit schweren Folgen. Amina Sharif Mahamed wurde als Kind beschnitten. Heute kämpft die Frau aus Darmstadt für Aufklärung, damit andere verschont bleiben.

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Als Amina die Genitalien verstümmelt wurden, war sie ein Kind, etwa sieben oder acht Jahre alt. Sie erinnert sich an den Tag in ihrer Heimat Somalia: Zwei Frauen hielten sie fest, verbanden ihr die Augen, drückten ihre Beine auf den Boden, damit sie sich nicht wehren konnte. Dann benutzte eine der Frauen eine Rasierklinge und verletzte Amina schwer.

Sie weinte, schrie, hatte Schmerzen

"Wenn man nicht weint, bekommt man ein Geschenk, Kleider oder Geld", sagt Amina, aber sie weinte und schrie und bekam nichts. Nachdem sie im Intimbereich mit der Rasierklinge verstümmelt worden war, habe man ihr die Beine zusammengebunden, erzählt sie in der hr-Dokumentation "Close Up: Amina bricht ihr Schweigen".

Erst nach zwei Wochen habe sie wieder laufen dürfen, vorsichtig, damit die Nähte nicht reißen. "Die Familie hat gesagt, du musst das machen, sonst bekommst du keinen Ehemann, das ist eine Schande", erinnert sich Amina Sharif Mahamed.

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Auszeichnung für Amina

Amina Sharif Mahamed erhält für ihre Aufklärungsarbeit die Auszeichnung "Soziales Bürgerengagement für besonderes, ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement" des Landes Hessen. Sozialminister Kai Klose (Grüne) überreicht ihr und weiteren fünf Personen und fünf Gruppen die Auszeichnung am 21. November.

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Heute ist sie 41 Jahre alt, sie flüchtete aus Somalia nach Darmstadt und versucht mittlerweile, anderen Frauen mit dem gleichen Schicksal zu helfen - und junge Mädchen davor zu bewahren.

Verstümmelung der Klitoris

In der hr-Dokumentation gibt Amina Einblick in ihr Leben. Die Folgen der Genitalverstümmelung sind dabei nur eine Hürde: Amina betreut alleine ihre sechs Kinder, wohnt mit ihnen in einer Obdachlosenunterkunft in Darmstadt. Sie lebte lange mit der Angst, dass sie und ihre Kinder abgeschoben werden.

Sie machte einen Hauptschulabschluss und hat Deutsch gelernt. Nun will sie Altenpflegerin werden.

Eine Person hält den Arm eines Kindes am Boden fest

Gleichzeitig hilft sie ihrer Freundin Sarah, deren junge Töchter ebenfalls beschnitten wurden durch ihre Großmutter, als Sarah nicht vor Ort war - und ohne ihre Erlaubnis.

Beschneidung ist ein Wort, das das Grauen der Genitalverstümmelung noch verschleiert: Bei der Prozedur werden den Frauen die Haut über der äußerst empfindlichen Klitoris oder Teile der Klitoris und die Schamlippen abgeschnitten oder verletzt.

"Eingriff gleicht einer Eichelamputation"

Medizinische Gründe gibt es dafür keine. In der EU ist die Beschneidung eine Straftat. Oft werden in Ländern, in denen die Genitalverstümmelung Tradition hat, Religion oder Traditionen als Begründung angeführt oder falsche Vorstellungen von angeblicher weiblicher Reinheit. Am Ende zielt das brutale Verfahren darauf, dass Frauen sexuell keine Lust empfinden können.

"Es geht um sexuelle Kontrolle. Die Klitorisbeschneidung einer Frau würde einer Eichelamputation beim Mann entsprechen", sagt der Arzt Dan mon O'Dey, der in Aachen das Zentrum für Rekonstruktive Chirurgie leitet. Dort wird betroffenen Frauen mit Operationen geholfen, die Folgen der Verletzungen rückgängig zu machen und die äußeren Genitalien wiederherzustellen.

Sozialer Druck auf Mütter

Charlotte Njikoufon betreut Amina und Sarah. Sie ist Geschäftsführerin des Frankfurter Vereins Kone Netzwerk, der Frauen beim Thema Genitalbeschneidung berät. Der soziale Druck sei beim Thema Beschneidung hoch, sagt sie, es drohe der Ausschluss aus der Gemeinschaft, wenn ein Mädchen nicht beschnitten sei oder die Mutter versuche, den Eingriff zu verhindern.

Ihre Arbeit ziele deswegen darauf, dass Mütter sich von diesem Druck lösen, um am Ende ihre Töchter vor dem Schicksal zu bewahren. "Wir müssen auf Augenhöhe auf sie zugehen", sagt Njikoufon: "Es geht um den Schutz der Mädchen."

Bei Kone Netzwerk untersucht die Gynäkologin Angelika Barth die Töchter von Sarah, um herauszufinden, was bei ihnen verletzt wurde. Dann kann sie die Mädchen nach Aachen überweisen, wo das Ärzteteam von Dan mon O'Dey versucht, ihre Genitalien so weit wie möglich zu rekonstruieren. Die Nachfrage nach solchen Eingriffen sei hoch, die Wartezeiten seien lang, sagt Njikoufon.

Lebensgefährliche Tradition

"Für eine Frau ist es ein lebensgefährlicher Eingriff", sagt Barth über die Verstümmelung. Oft geschehe sie unter unhygienischen Bedingungen durch Personen ohne medizinische Ausbildung. Die Gefahr starker Blutungen sei hoch. "Oder ein Kind wehrt sich stark, und es kommt zu Knochenbrüchen, die dann auch zu inneren Blutungen führen können", sagt die Gynäkologin. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stirbt jede vierte Betroffene während des Eingriffs oder an den Folgen.

Die Folgen des Eingriffs seien ebenso gefährlich: Amina erzählt, dass Urin und Periodenblut oft nur tröpchenweise und schmerzhaft austrete. Manche Frauen würden zum Pinkeln eine Stunde auf der Toilette verbringen oder versuchen, den Urin einzuhalten, um die Schmerzen zu vermeiden. Wenn sich Blut und Urin stauen, könne das zu Infektionen führen, erklärt Barth.

Amina: Der Mann hat Spaß, die Frau Schmerzen

Amina hat entschieden, über die Folgen der Verstümmelung aufzuklären und mit anderen Frauen darüber zu sprechen. Dazu gehört das Thema Sexualität. Amina erzählt, wie ihr Ehemann sie in der ersten Nacht mit Kraft regelrecht "öffnen" musste. Sie habe geweint, geblutet, unter Schmerzen gelitten. "Der Mann hat Spaß, allein. Für die Frauen ist es kein Spaß, nur Schmerzen. Jedes Mal tut es weh."

Die Wiederherstellung der weiblichen Genitalien soll den Frauen die Schmerzen nehmen und auch wieder Lust ermöglichen. Für Sarahs Tochter Sumaya ist die Operation in Aachen deswegen mit großen Hoffnungen verbunden. "Er wird uns die wichtigen Teile unseres Körpers wiedergeben und unseren Selbstwert, unsere Gefühle", sagt sie: "Wir müssen kämpfen und uns gegen diejenigen wehren, die der jungen Generation das antun."

Das bedeutet für Sumaya auch, mit alten Vorstellungen von Ehe zu brechen und sich gegen die Gewalt an Mädchen zu wehren: "Wenn mein zukünftiger Ehemann das nicht akzeptiert, kann er gehen."

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Weibliche Genitalverstümmelung (FGM/C)

In Deutschland sind etwa 17.000 Mädchen potenziell gefährdet, Opfer von Genitalverstümmelungen (FGM/C, Female Genital Mutilation) zu werden. Nach Zahlen der Vereinten Nationen sind etwa 200 Millionen Frauen weltweit betroffen, auch in Deutschland nimmt die Zahl zu.
In der EU ist die Verstümmelung eine Straftat. FGM/C wird als Menschenrechtsverletzung eingestuft und kann lebenslanges körperliches und seelisches Leid verursachen.
FGM/C wird in Teilen Afrikas, in Ägypten sowie im Jemen, im Oman, in Saudi-Arabien, Dubai, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Indonesien und einigen anderen Ländern praktiziert. Meist wird der brutale Eingriff an Mädchen im Alter unter 14 Jahren durchgeführt.

Informationen über FGM/C und Hilfe für Betroffene gibt es auf der Internetseite FGM Hessen. Der Verein Kone Netzwerk in Frankfurt ist eine Anlaufstelle für betroffene Frauen.

Die Dokumentation "Genitalverstümmelung - Amina bricht das Schweigen" läuft am 9. November im hr-fernsehen und steht ab 2. November online in der ARD-Mediathek.

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