Personalmangel an Schulen Studierende wie Alena springen immer häufiger als Lehrer ein

Alena ist 22 und bereits Klassenlehrerin an einer Grundschule. Dabei hat sie ihr Lehramtstudium noch nicht abgeschlossen. Zunehmend füllen Studierende und Quereinsteiger Lücken an Schulen.

Eine junge Frau mit streng zurückgebundenen blonden Haaren, rosa Hemdchen und olivgrüner Hose steht vor einer grünen Tafel in einem Schulraum.
Lehramtsstudentin Alena unterrichtet in Bad Vilbel eine Schulklasse. Bild © privat
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Studierende wie Alena springen immer häufiger als Lehrer ein

Eine Frau im Interview.
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Es ist Montagmorgen in einer Grundschule in Bad Vilbel (Wetterau). Die Kinder der Klasse 2e wuseln in den Raum, Stifte klackern, Rucksäcke fliegen unter die Tische. Vor der Klasse steht Alena Dittrich. Sie ist 22 Jahre alt, Studentin - und seit Februar Klassenlehrerin.

"Montags ist es immer noch ein bisschen wuselig, weil nach dem Wochenende jeder viel zu erzählen hat", berichtet Alena. "Aber wenn die Kinder alle erzählt haben, was sie gemacht haben, sind sie auch wieder arbeitsbereit."

Die junge Frau unterrichtet an vier Vormittagen in der Woche die Fächer Mathe, Musik, Kunst und Sachunterricht. Dabei steckt sie eigentlich noch mitten im Studium, hat noch nicht ihr Staatsexamen geschrieben.

Eingesprungen ist sie als Vertretungslehrerin. Die eigentliche Klassenleitung fällt noch bis Oktober aus - und Ersatz im Schulbetrieb ist schwer zu finden. "Gäbe es den Lehrermangel nicht, wäre ich vermutlich nicht die erste Wahl gewesen", sagt Alena. Und so steht sie an fast jedem Morgen vor ihrer Klasse und freut sich nach eigener Aussage, dass sie unterrichten darf.

Weniger verfügbare Lehrer

Dass Studierende wie Alena als Vertretungslehrkräfte den Schulalltag stemmen, obwohl ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist, ist längst keine Ausnahme mehr. Wie viele Lehramtsstudierende neben ihren Vorlesungen und Seminaren an Schulen arbeiten, wird vom Kultusministerium nicht zentral erfasst. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) geht jedoch davon aus, dass ihre Zahl allein in Hessen schätzungsweise 5.000 beträgt.

"Das liegt vor allem daran, dass es eben nicht genug ausgebildete Lehrkräfte gibt", sagt Thilo Hartmann, Geschäftsführer der GEW Hessen: "Die Anforderungen an Schulen steigen, aber die Zahl verfügbarer Lehrkräfte nimmt ab."

GEW-Vorsitzender Thilo Hartmann
GEW-Vorsitzender Thilo Hartmann Bild © privat

Im laufenden Schuljahr sind laut Kultusministerium 7.795 Stellen an hessischen Schulen mit Personen besetzt, die kein abgeschlossenes Lehramtsstudium vorweisen. Das können Studierende sein oder auch Quereinsteiger. Das geht aus einer Antwort des Kultusministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Landtag hervor.

Im vorigen Schuljahr waren laut Statistischem Landesamt rund 67.400 Lehrerinnen und Lehrer hauptamtlich an allgemeinbildenden oder beruflichen Schulen in Hessen beschäftigt. In ihren Prognosen geht die GEW davon aus, dass bald 10.000 ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer fehlen werden.

Vormittags Lehrerin, nachmittags lernen in der Uni

Nach vier Schulstunden ist für die Kinder der 2e der Unterricht vorbei. Auch Alena packt ihre Sachen. Doch Feierabend ist für die Studentin noch lange nicht. Sie muss weiter nach Marburg, denn am Nachmittag hat sie eine Vorlesung in der Uni.

Ihr Alltag ist ein ständiger Spagat zwischen Klassenraum und Hörsaal - der nicht immer gelingt, wie sie erzählt. Nicht selten überschneiden sich ihre Schulzeiten mit dem Uni-Stundenplan.

"Ich gehe dann tatsächlich eher nicht in die Uni", gesteht die Studentin: "In der Schule kann ich ja schlecht sagen, heute komme ich, morgen komme ich nicht." Den verpassten Stoff holt sie in ihrer Freizeit nach.

Auch wenn die Belastung hoch ist, liebt Alena ihren Nebenjob als Lehrerin. Schon zu Beginn des Studiums war ihr klar, dass sie möglichst früh praktische Erfahrung sammeln möchte, um nicht erst nach dem Examen zum ersten Mal vor einer Klasse zu stehen.

Praxiserfahrung neben oder im Studium

"Das würde ich jedem empfehlen, der Lehramt studiert", sagt sie. Die Inhalte im Studium hätten sie nicht wirklich auf den Schulalltag vorbereitet.

Im Lehramtsstudium an den hessischen Universitäten sind zwei Schulpraktika verpflichtend: ein Orientierungspraktikum und ein Praxissemester. Aus Sicht von Alena ist das zu wenig, um realistisch einschätzen zu können, was der Beruf tatsächlich bedeutet. Am meisten habe sie nun durch die Arbeit an der Schule gelernt, sagt sie. Dort habe sie sich viel von Kolleginnen und Kollegen abgeschaut.

GEW-Geschäftsführer Thilo Hartmann befürwortet grundsätzlich praktische Einblicke neben dem Studium. Er warnt jedoch davor, dass Studierende zu früh zu viel schulische Verantwortung übernehmen: "Das sind junge Menschen in ihrer Ausbildung", betont er: "Sie sollen Praxiserfahrung sammeln können, aber angeleitet, mit einem Mentor oder einer Mentorin, die sie begleiten."

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Hohe Abbrecherquote nach Praktikum

Stattdessen beobachte er, dass viele Studierende zu wenig Unterstützung erfahren, berichtet der Gewerkschafter: "Sie müssen sich vor einer Klasse behaupten, ohne dass sie zwangsläufig alle Dinge gelernt haben, die helfen, um guten Unterricht zu machen." Die Folge: Rund 40 Prozent der Lehramtsstudierenden brechen laut Hartmann ihr Studium nach den ersten Praxiserfahrungen ab.

Für Alena ist trotz aller Herausforderungen klar: Sie möchte Lehrerin werden und ihr Examen machen. Besonders die kleinen, persönlichen Momente mit den Kindern in der Schule bestärken sie in diesem Wunsch, wie sie sagt: "Man bekommt schon sehr viel zurück."

Oft seien es gemalte Bilder oder kleine Nachrichten, die ihr die Kinder schenken, erzählt die studierende Klassenlehrerin: "Das ist deren Art zu zeigen: danke schön."

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de