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Koordinierungsrat gegen Queer-Feindlichkeit zieht positive Bilanz

Der Römer spiegelt sich in der Sonnenbrille eines CSD-Teilnehmers in Frankfurt.

Nach gewalttätigen Übergriffen gegen queere Menschen hat die Stadt Frankfurt im vergangenen Jahr eine Koordinierungsstelle mit Vertretern der Community und der Polizei eingerichtet. Die Beteiligten mussten erst einmal Vertrauen fassen. Jetzt ziehen sie eine durchweg positive Bilanz.

Der Angriff kam schnell und unerwartet: Electra Pain hatte sich an der Konstablerwache in ein Gespräch verwickeln lassen. Eigentlich versucht die Drag Queen diesen Ort in der Frankfurter Innenstadt zu meiden, wenn sie in ihrem Kostüm unterwegs ist. "Doch ich dachte mir: Die hundert Meter, was soll da schon passieren?" Eine Fehleinschätzung.

Mitten im Gespräch sei plötzlich ein Person von der Seite herangetreten und habe ihr Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht. Sie habe noch versucht, den Angreifer zu verfolgen, sei dann aber zusammengebrochen, erinnert sich Pain fast ein Jahr später. Die queerfeindliche Attacke auf sie machte im Sommer 2022 Schlagzeilen. Es blieb nicht die einzige.

Koordinierungsrat nach Angriffen gegründet

Gleich mehrere homophobe beziehungsweise queerfeindliche Gewalttaten ließen im Sommer 2022 die Öffentlichkeit in Frankfurt aufhorchen. Beim jährlichen Christopher Street Day wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.

Im Herbst dann wurde als Reaktion beim städtischen Diversitätsdezernat ein LSBTIQ-Koordinierungskreis eingerichtet - ein Gremium, in dem Stadt, Polizei und Vertreter der Community beratschlagen, wie sich die Sicherheitssituation für queere Menschen verbessern lassen könnte. Sechs Monate später ziehen alle Beteiligten an diesem Montag eine positive Bilanz.

Pressekonferenz zur ersten Zwischen Bilanz des Koordinierungsrats LSBTQ+ in Frankfurt

Mehr Vertrauen führt zu mehr Anzeigen

Laut dem Frankfurter Polizeipräsidenten Stefan Müller habe die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehödern und der queeren Szene bereits Früchte getragen. Infolge der verstärkten Polizeipräsenz im sogenannten Regenbogenviertel entlang der Großen Friedberger Straße sei die Zahl gewalttätiger Übergriffe zurückgegangen - auch wenn weiterhin von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden müsse.

Gleichzeitig steige die Zahl der angezeigten Übergriffe, erklärt Müller. In den Jahren 2017 bis 2019 seien jeweils 18 Taten angezeigt worden. 2022 sei die Zahl auf 38 gestiegen. Im laufenden Jahre seien bereits 15 Strafanzeigen eingegangen.

Müller führt dies vor allem auf die gestiegene Anzeige-Bereitschaft der Betroffenen zurück. Auch dies sei ein Erfolg des Koordinierungskreises. Zu Beginn habe es innerhalb der Szene "teils erhebliche Vorbehalte" gegen die Polizei gegeben. Opfer von Gewalttaten hätten aus Angst, "nicht ernstgenommen zu werden oder weitere Diskriminierung zu erfahren", oftmals keine Anzeige gestellt. Durch Gespräche, sei es jedoch inzwischen gelungen, eine Vertrauensbasis zu etablieren, so Müller.

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Was ist das Regenbogenviertel?

Die Bezeichnung bezieht sich auf ein kleines Viertel in der Frankfurter Innenstadt, das zwischen Bleichstraße und Konstablerwache gelegen ist. Entlang der von Norden nach Süden verlaufenden Großen Friedberger Straße hat sich dort in den vergangenen Jahrzehnten ein Mittelpunkt queeren Lebens etabliert. Dazu gehören zahlreiche Kneipen, kleinere Clubs sowie eine schwule Sauna. Das Regenbogenviertel ist auch Mittelpunkt des jährlich stattfinden "Christopher Street Day" in Frankfurt.

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Angreifer aus allen Bevölkerungsschichten

Dass sich das Sicherheitsgefühl vor allem im Regenbogenviertel verbessert habe, bestätigt auch Electra Pain. "Wir befinden uns auf einem sehr guten Weg", so ihr Fazit. Der Ernst der Lage sei erkannt und Gegenmaßnahmen seien ergriffen worden. Anfeindungen gehörten dennoch weiterhin zum Alltag der queeren Community in Frankfurt.

Dabei lasse sich Hass auf queere Menschen keinen bestimmten Bevölkerungsgruppen zuordnen, betont Müller. Von den 24 Beschuldigten im Jahr 2022 habe die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit, ein Fünftel seien Frauen, das Alter sei bunt gemischt.

Hilfe für die Opfer sollen sogenannte "Safe Spaces" bieten. Gaststätten und Einzelhändler im Regenbogenviertel stellen dabei ihre Geschäfte als Anlaufstellen für Opfer von Gewalt zur Verfügung, was sie durch entsprechende Sticker an der Ladentür kenntlich machen.

Auf diesen Aufklebern sollen zusätzlich QR-Codes abgebildet sein, die - wenn sie mit einem Smartphone eingelesen werden - die Betroffenen zur Online-Wache der Polizei beziehungsweise zu Opferberatungsstellen weiterleiten. Die Polizei erhofft sich davon, dass noch mehr Übergriffe angezeigt werden.

Aktionstage und Pride Month

Die Stadt will zudem mit Aktionstagen am 16. und 17. Juni unter dem Motto "Vielfalt ohne Gewalt" für mehr Akzeptanz werben. Die Aktionstage sollen zugleich als Auftakt für den ersten "Frankfurter Pride Month" fungieren, der eine ganze Reihe von Veranstaltungen umfassen soll. "Die queere Szene ist integraler Bestandteil unserer Stadt", betont Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne).

"Es hat sich einiges getan", resümiert Electra Pain, "da wo wir hin wollen, sind wir aber noch nicht." Und in voller Drag-Montur über die Konstablerwache zu laufen, das traue sie sich immer noch nicht.

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LSBTIQ*-Community

"LSBTIQ* steht für die Gemeinschaft schwuler, lesbischer, bi-, trans- und intersexueller Menschen sowie weitere nicht-heterosexuelle Identitäten, die mit einem * zusammengefasst werden.

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