Eine Gruppe erzürnter Bürger trifft sich am Geilebach auf dem Grundstück, das bebaut werden soll

Die letzten Tage in der Natur verbringen: Das soll ein neu geplantes Hospiz in Kassel sterbenden Menschen bald ermöglichen. Doch es regt sich Widerstand. Naturschützer sehen durch den Neubau ein Idyll in Gefahr.

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Streit um Hochwasserschutz in Kassel

hs 22.01.2024
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Plätscherndes Wasser, junge Bäume und eine große Wiese direkt neben einer Pferdekoppel. Das Kasseler Geilebachtal ist ein kleines Natur-Idyll inmitten des Stadtteils Harleshausen. Erst vor wenigen Jahren wurde es aufwendig und für viel Geld renaturiert.

Jetzt soll auf der Wiese direkt neben dem Geilebach ein neues Hospiz gebaut werden. Zehn Bewohner könnten darin nach der Fertigstellung untergebracht werden, erklärt Christiane Gahr von der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen in Hofgeismar (Kassel).

Die Sprecherin des Betreibers sagt: "Der Neubau ist nötig, weil das bisherige Gebäude den heutigen Vorgaben, zum Beispiel bezüglich Quadratmetergröße und Platzanzahl, nicht mehr entspricht." Den vorhandenen Bau könne man nicht mehr erweitern.

"Das passt natürlich überhaupt gar nicht zusammen"

Eine Bürgerinitiative sieht durch die Bebauungspläne allerdings das Idyll am Geilebach in Gefahr. "Das passt natürlich überhaupt gar nicht zusammen", sagt Protestlerin Sabine Giesa: "Man kann nicht auf der einen Seite Renaturierungsmaßnahmen mit einer Million Euro durchführen und sechs Jahre später sagen: April, April - wir bebauen jetzt doch."

Doch nicht nur die Bürger machten sich Sorgen um die Natur vor Ort. Auch Naturschützer hätten große Bedenken geäußert und vom Bauvorhaben aus Umwelt-, Natur- und Hochwasserschutzgründen abgeraten, sagt Giesa.

Sabine Geisa auf dem Grundstück, das bebaut werden soll

Stadt widerspricht Kritik

Für die im Januar neu vereidigte Kasseler Stadtbaurätin Simone Fedderke (Grüne) gilt dieses Argument nicht. Denn mit dem Bauantrag sei eine Flächennutzungsplanänderung eingereicht worden.

Deshalb seien all die Bedenken genau überprüft worden. "Wir sind hier außerhalb dieses Renaturierungsgebietes. Wir sind nicht in einer Hochwasserlage, all das wurde detailliert angeschaut", erklärt Fedderke. Der Bach solle außerdem erhalten bleiben.

Stadtbaurätin Simone Fedderke sitzt im Stadtbauamt vor einer großen Karte von Kassel

Container und Verkehr im Wohngebiet

Für die Betreiber des Kasseler Hospizes, das sich derzeit noch in einer Mietimmobilie am Brasselsberg befindet, sei gerade die Idylle ein gutes Argument für den neuen Standort. Die Bewohner könnten so ihre letzten Tage in der Natur verbringen und von ihrer Terrasse über die Wiese direkt auf den Bach schauen, so Gesundbrunnen-Sprecherin Gahr.

So ruhig wie gewünscht sei es hier allerdings gar nicht, entgegnen Mitglieder der Bürgerinitiative. Bei einer Sanitärfirma in der Nachbarschaft würden jeden Morgen neue Container angeliefert. Auch die Hospiz-Bauherren wünschen sich eine beruhigte Verkehrssituation in der Straße.

Ein LKW liefert einen Container bei einem Unternehmen auf dem Nachbargrundstück an

Alternativen in Kassel geprüft, aber verworfen

Doch gäbe es andere Standorte, die bereits ruhig wären und keine Flächenversiegelung zur Folge hätten? "Genau das ist unsere Bitte: Dass die politischen Entscheider sich zusammensetzen und mit den Entscheidern der Kirche nach einem Plan B gucken", fordert Sabine Giesa von der Bürgerinitiative. Leerstehende Häuser habe die Kirche schließlich genug.

Dem widerspricht wiederum der Betreiber: Die Alternativen hätten sowohl Stadt als auch die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen eingehend geprüft, aber alle verworfen. Es habe bereits Jahre gedauert, einen passenden Standort für die Einrichtung zu finden. Die Anforderungen für Hospize seien groß.

Das Diakonissenkrankenhaus im Kasseler Vorderen Westen

(Keine) Bedenken wegen Stadtklima

Ein Favorit sei lange das ehemalige Kasseler Diakonissenkrankenhaus im Vorderen Westen gewesen. Die Kostenträger hätten es laut Gesundbrunnen allerdings nicht erlaubt, ein Hospiz direkt neben dem heutigen Krankenhaus zu bauen. "Andere Standorte sind im Moment nicht im Gespräch", sagt auch Stadtbaurätin Fedderke. Es gäbe keine weitere Fläche in Kassel, die den Anforderungen eines Hospizes genüge.

Auch Bedenken der Gegner, das Areal am Geilebach sei als Kaltluftschneise für die Innenstadt bedeutsam, kann die Stadt nicht nachvollziehen. "Wir befinden uns innerhalb von einem bebauten Gebiet, und wir haben jetzt ein Grundstück, was diese Bebauung komplimentiert“, sagt Fedderke. Das Gebäude sei sogar niedriger als die Nachbarbauten.

Streit über eine Grundsatzfrage

Es scheint, als entscheide sich an dem Grundstück in der Harleshausener Bergstraße bald eine Grundsatzfrage der Kasseler Stadtpolitik. "Wenn wir Hecken und die Lebensräume zerstören, befördern wir das Artensterben", sagt Neubau-Kritikerin Giesa. "Das können wir doch als gesamte Gesellschaft nicht wollen."

Deshalb möchte auch Stadtbaurätin Fedderke über das Thema diskutieren. Noch gebe es keinen Beschluss der Stadt Kassel, nirgendwo mehr Flächen zu versiegeln. "Die Debatten, die wir jetzt hier an diesem Beispiel führen, müssen wir generell für alle künftigen Bauvorhaben führen", sagt sie.

Die finale Entscheidung über den Standort des neuen Hospizes sei noch nicht getroffen. Dennoch sehe sie derzeit keine andere Möglichkeit, als die Wiese zu versiegeln und das Projekt im Geilebachtal zu realisieren. Mit nachhaltigen Baustoffen und Dach- und Fassadenbegrünung könnte es für die Stadt Kassel letztlich sogar zu einem Vorbildvorhaben werden.

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