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Ukrainische Schülerinnen in einer Frankfurter Intensivklasse

Schülerinnen der Intensivklasse der Kerschensteinerschule

Rund 12.000 ukrainische Kinder und Jugendliche gehen in Hessen zur Schule. Das ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Zu Besuch in einer Frankfurter Intensivklasse, wo Kriegsflüchtlinge möglichst schnell Deutsch lernen sollen.

"Guten Morgen, liebe Frau Guzik", tönt es im Chor. 13 Kinder der Kerschensteinerschule in Frankfurt-Hausen begrüßen ihre Klassenlehrerin Beata Guzik, die Grundschüler sitzen an Holztischen in einem mit bunten Buchstaben geschmückten Klassenzimmer. So weit, so gewöhnlich - scheinbar. Ist es aber nicht. Denn das hier ist Intensivklasse.

So ein Satz auf Deutsch ist eine ziemliche Errungenschaft für diese Schülerinnen und Schüler. Bis vor wenigen Wochen sprachen sie noch kein Wort Deutsch - zum Beispiel Ksenia, Nicole und Yelizavieta aus der Ukraine. Sie sind mit ihren Müttern vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflohen. Nun lernen sie mit den anderen Mädchen und Jungen aus der Intensivklasse jeden Tag neue Wörter und Sätze.

Möglichst schnell Deutsch lernen

In der Klasse sitzen Sechs- bis Elfjährige aus allen möglichen Ländern, manche mit Tschetschenisch als Muttersprache, manche mit Englisch. Die Kinder der Intensivklasse sollen so schnell wie möglich in die Regelklassen, also den regulären Unterricht wechseln. Aber vorher müssen sie eben Deutsch verstehen und sprechen können.

Tafel mit bunten Buchstaben des Alphabets in der Intensivklasse der Frankfurter Kerschensteinerschule

Auch für die Zehnjährigen Nicole und Yelizavieta steht deswegen wieder das Alphabet mit den bunten Buchstaben auf dem Lernplan. Wie in der ersten Klasse pauken sie Wochentage und Tageszeiten - nur eben auf Deutsch.

"Die ersten drei bis vier Monate sind besonders schwierig", sagt Klassenlehrerin Beata Guzik: "Für mich und für die Kinder. Sie verstehen gar nichts." Nach vier Monaten werde es dann leichter.

Seit drei Wochen in der Intensivklasse

Aber so lange sind die drei Mädchen aus der Ukraine noch nicht hier. Die sechs Jahre alte Ksenia geht seit drei Wochen in die Klasse. Verständigen kann sie sich bislang mit Händen und Füßen. Oder sie fragt "Maybe in English?" und grinst, während ihre langen Zöpfe hin- und herwackeln.

Doch der Unterricht in den Intensivklassen ist ausschließlich auf Deutsch. Grundschullehrerin Guzik ist eigentlich gegen das Konzept der Intensivklassen, in denen die Kinder maximal zwei Jahre bleiben. "Ich fände es besser, wenn sie sofort in eine deutschsprachige Regelklasse gehen", sagt sie. Obwohl das für die Kinder erst mal hart sei. "Da müssen sie dann direkt im tiefen Wasser schwimmen, aber das ist gut."

Schülerinnen der Intensivklasse der Kerscheinsteinerschule mit der Lehrerin vor der Tafel

Mehr als 12.000 ukrainische Kinder und Jugendliche besuchen derzeit hessische Schulen. Die meisten lernen erst einmal in Intensivklassen Deutsch, von denen es nach Auskunft des Kultusministeriums rund 1.600 gibt. Die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer machen mehr als ein Drittel der Intensivschüler aus. Viele von ihnen haben im Krieg und auf der Flucht traumatische Erfahrungen gemacht.

So viele neue Schüler wie noch nie in Hessen

Jetzt in Deutschland zur Schule zu gehen, ist eine riesige Herausforderung für die ukrainischen Schülerinnen und Schüler. Und die hessischen Schulen stehen vor der großen Aufgabe, die zusätzlichen 12.000 Kinder und Jugendlichen zu unterrichten. "Noch nie in der Geschichte Hessens wurden in so kurzer Zeit so viele Kinder in den Schulen aufgenommen", sagt ein Sprecher des Kultusministeriums dem hr.

Eine zusätzliche Herausforderung sei, dass anders als bei der Flüchtlingsbewegung 2015 und 2016 viele der ukrainischen Kinder und Jugendlichen nicht dauerhaft in Hessen und Deutschland bleiben, sondern in ihr Heimatland zurückkehren wollten, sagt der Ministeriumssprecher. Auch wenn sich dies zuletzt teilweise geändert habe, weil sich zeige, dass das Ende des Kriegs in der Ukraine nicht absehbar sei. Die Integration in Hessen werde dadurch doch wieder wichtiger.

Die Jungs nerven, das Vermissen ist schlimmer

In der Pause auf dem Schulhof erzählen Ksenia, Nicole und Yelizavieta von der Intensivklasse - mit Hilfe der Lehrerin Olga Strack, die Russisch spricht. Die drei Mädchen sitzen auf einer Bank am Spielplatz. Es gefalle ihnen gut in der Kerschensteinerschule, sagen sie. Sie wollten schnell Deutsch lernen, um die anderen Kinder zu verstehen und sich mit ihnen unterhalten zu können.

"Und ich will meinen Eltern helfen zu übersetzen", ergänzt die sechsjährige Ksenia. Das Wort "schnell" habe sie schon gelernt. Nur die Jungs, die nerven, sagt sie.

Viel schlimmer sei aber das Vermissen, erzählen die drei. Ihnen fehlt alles, was sie in ihrer Heimat zurücklassen mussten. Nur ein Teil ihrer Familien kam nach Deutschland. Bei der zehnjährigen Yelizavieta mussten ihr Bruder und ihr Vater in der Ukraine bleiben, weil sie als mögliche Kämpfer im Krieg gebraucht werden.

ukrainische Schülerinnen an der Kerscheinsteinerschule

"Ich vermisse meine Hamster", sagt die Nicole. Um die Hamster kümmere sich jetzt ihr Opa, der noch in der Ukraine lebe. Ihre Uroma sei auch noch dort. "Ich träume davon, sie diesen Sommer wieder besuchen zu können", sagt die Zehnjährige leise. Immerhin seien sie hier zusammen in der Lerngruppe und könnten sich gegenseitig unterstützen. Das helfe auch im Unterricht.

Der Bedarf an Lehrkräften ist groß

Diesen Unterricht aufrechtzuerhalten, ist jedoch schwierig. Durch die vielen zusätzlichen Schülerinnen und Schüler werden lange bestehende Mängel an den Schulen umso deutlicher. Der Bedarf an Lehrkräften ist an den Grundschulen besonders groß.

Das Kultusministerium unternehme seit Jahren vielfältige Bemühungen, dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken, beteuert der Ministeriumssprecher. Dazu zählten der Ausbau von Studienplätzen, Weiterbildungs- und Quereinsteigerprogramme sowie Angebote für Pensionärinnen und Pensionäre, länger zu arbeiten. Um Schulen dabei zu unterstützen, ukrainische Kinder und Jugendliche zu integrieren, habe das Land bislang mehr als 150 Lehrkräfte aus der Ukraine eingestellt.

Kritik von Lehrergewerkschaft und Schülervertretung

Die Lehrergewerkschaft GEW und die Landesschüler*innenvertretung sehen die Landesregierung wegen des fehlenden Lehrpersonals in der Pflicht. "Die Situation an vielen Schulen ist schon lange desolat", sagt der hessische GEW-Vorsitzende Thilo Hartmann. Im Vergleich zu 2015 und 2016 habe sich der Lehrkräftemangel auch an Grundschulen weiter verstärkt, und es fehlten Räume für zusätzliche Lerngruppen.

Gerade jetzt, da viele ukrainische Schülerinnen und Schüler kommen, brauche es "mehr geschultes Personal, das die Betroffenen individuell unterstützt und ihnen den Schulalltag in Deutschland erleichtert", schreibt die Schülervertretung in einer Mitteilung.

Kerschensteinerschule im Vorteil

Die Kerschensteinerschule hat Erfahrungen mit Intensivklassen. Sie gibt es an der Schule, die 340 Kinder aus 34 Nationen besuchen, schon mehrere Jahre lang. "Hätten wir diese Erfahrungen nicht, wäre es jetzt schwieriger", sagt Schulleiterin Kornelia Girg. Doch es fehle an Platz und Lehrkräften. "Ohne Frau Guzik wäre es auch für uns schwierig gewesen, jemanden für die Intensivklasse zu finden", sagt Girg.

Beata Guzik, die selbst aus Polen kommt, macht ihren Job gerne, wie sie sagt: "Für mich war das selbstverständlich. Die Kinder müssen sich in einem fremden Land wohl fühlen und schnell Deutsch lernen."

Arbeitsblatt der Intensivklasse an der Kerschensteinerschule

In ihrer Intensivklasse versucht Guzik, ihre Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern. Ihr Rezept zum Deutschlernen: Bilder und ganz viel Musik.

In ihrer Intensivklasse schaltet Guzik einen CD-Player an und drückt auf die Play-Taste. Eine fröhliche Melodie erklingt. "Und jetzt", sagt sie, "wiederholen wir unser Lied fürs Sommerfest." Ksenia, Nicole, Yelizavieta und die anderen Kinder singen fleißig mit, von Käfern, die im Gras auf und ab krabbeln, und von summenden Bienen. Und das alles auf Deutsch, der Sprache ihrer neuen Welt.

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