Ungewöhnliche Familienmodelle "Wir machen, was wir uns jahrelang wünschten: eine Familie sein"

Familien sind vielfältig. Manche finden eine Alternative zum üblichen Modell "Mama, Papa, Kind". Zum Beispiel Chris und Martin, die mithilfe der besten Freundin ein Kind bekamen. Oder Sarah, die als Single Mutter wurde und trotzdem nicht alleinerziehend ist.

Zwei Familien - jeweils 2 bzw. 3 Erwachsene mit einem Kind auf dem Arm - ausgeschnitten auf Farbflächen angeordnet.
Lewins Familie (links) und das Ehepaar Schulte mit seinem Kind. Bild © privat, hessenschau.de
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Vier Menschen umarmen sich auf einem Spielplatz
Co-Parenting: Die Familie von Sarah und Lewin Dionisius Bild © hessenschau.de
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Sarah Dionisius legt auf dem Parkettboden in ihrer Frankfurter Wohnung ein Puzzle. Genauer gesagt, hilft sie ihrem fast dreijährigen Sohn Lewin dabei. Es geht darum, mehrere verschiedene Tiere zusammenzusetzen. Lewin ist gerade dabei, dem Krokodil einen Giraffenkopf zu verpassen. Das Puzzleteil passt zwar nicht ganz, lässt sich aber reindrücken. "Ein Giraffodil", einigen sich Sarah und Lewin auf einen Namen.

Auch Lewins Familie gleicht einem Puzzle. Es ist eine ungewöhnliche Konstellation: Außer von seiner Mama Sarah wird er von ihrem Bruder Alexander, ihrer Mitbewohnerin Nina und ihrer besten Freundin Kira großgezogen. Einen Papa im traditionellen Sinne gibt es nicht, dafür aber eben drei so genannte Co-Parents, also Mit-Eltern.

So kam es zu Lewins Familie

Sarah war mit 30 in keiner festen Partnerschaft, wollte aber unbedingt eine Familie gründen. "Seit meinem Outing mit 20 hatte ich schon immer die Idee, das eventuell außerhalb einer Paar-Beziehung zu machen", erinnert sich Sarah.

Drei Erwachsene stehen um eine Frau herum, die ein Baby auf dem Arm hat
Mini-Lewin und seine Familie (v.l.n.r.): Beste Freundin Kira, Mitbewohnerin Nina, Sarah Dionisius, Bruder Alexander. Bild © hessenschau.de

Als ihr Kinderwunsch immer stärker wurde, fasste Sarah den Entschluss, per Samenspende und künstlicher Befruchtung Mutter zu werden. "Ich stand erst mal alleine da. Dann bin ich mit meiner Familie und meinem Umfeld in Gespräche gegangen, um verbindliche Bezugspersonen für das Kind zu finden."

Noch vor der Schwangerschaft fragte sie ihren Bruder Alexander, ob er Co-Parent werden will. Alexander, der selbst keine Kinder hat, war begeistert: "Da war erst mal einfach nur Freude. Natürlich überlegt man auch, was das alles bedeutet, aber ich hatte die ganze Zeit ein Glücksgefühl."

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Weltfamilientag

Die Vereinten Nationen haben den 15. Mai zum Weltfamilientag ausgerufen. In einer dreiteiligen Miniserie blickt die hessenschau im hr-fernsehen vom 13. bis 15. Mai jeweils um 19.30 Uhr auf ungewöhnliche Familienmodelle in Hessen.

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Auch beste Freundin Kira musste nicht lange überlegen. Sie sagte zu Sarah damals: "So sehr wie ich Teil in deinem Leben bin, werde ich natürlich auch Teil im Leben des Kindes sein." Lewins Familie komplettiert noch Sarahs Mitbewohnerin Nina.

Viel Vertrauen zu den Co-Parents

Die drei Co-Eltern verbringen im Schnitt einen Tag pro Woche mit Lewin. Dazu gehören Elternabende in der Kita oder Besuche beim Kinderarzt. Doch gerade solche Termine können zum Problem werden. Denn nur Sarah ist ein rechtlich anerkanntes Elternteil: "Ich trage da gewissermaßen die Hauptlast, auch ökonomisch. Alles andere basiert auf Vertrauen."

Oft muss sie Vollmachten für die anderen ausstellen. Deshalb wünscht sich Sarah, dass auch Co-Elternschaft in irgendeiner Form rechtlich anerkannt werden kann: "Dann hätten die Co-Parents ein ganz anderes Standing, zum Beispiel gegenüber Kitas oder Kinderärzten."

Ein schwules Paar mit Kind

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"Dreierkonstellation mit der besten Freundin"

Zwei Männer mittleren Alters stehen auf einem Weg, der eine hat ein Kind auf dem Arm
Chris und Martin Schulte sind überglücklich, eine eigene Familie zu haben Bild © hessenschau.de
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Chris und Martin Schulte haben dieses Problem nicht. Der 39-Jährige und sein 50 Jahre alter Mann sind beide rechtlich anerkannte Väter ihres fast vierjährigen Sohns. Aber der Weg zur Familiengründung war für sie kompliziert. Kein Ausnahmefall - für schwule Paare ist es häufig schwierig, ein Kind zu bekommen.

Eine Adoption oder eine Pflegeelternschaft und die damit verbundene Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ist nicht für jeden eine Option. Eine Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten, um Frauen vor Ausbeutung zu schützen.

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Leihmutterschaft

In Deutschland hat die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vor kurzem Empfehlungen für die Politik erarbeitet - unter anderem zum Thema Leihmutterschaft. Sie stellte fest: "Es gibt ein Potenzial für Umgehungen und Missbrauch."
Es liege daher im Ermessen des Gesetzgebers, am Verbot festzuhalten. Allerdings sei es auch vertretbar, die Leihmutterschaft zu erlauben, wenn sichergestellt werde, dass keine Frauen ausgenutzt werden, so die Kommission weiter. In Dänemark, Portugal und den Niederlanden beispielsweise ist Leihmutterschaft unter gewissen Voraussetzungen erlaubt.

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Für Chris und Martin gab es am Ende eine ungewöhnliche Lösung. Chris klärt auf: "Unsere beste Freundin ist die leibliche Mutter, einer von uns beiden der leibliche Vater."

Ausnahmefall und großes Glück

Die beste Freundin übertrug Chris das Sorgerecht, Martin wurde über die Stiefvateradoption nachträglich Vater. Diese Konstellation ist ein Ausnahmefall und ein großes Glück für das Paar. Chris ist dankbar: "Jetzt machen wir genau das, was wir uns jahrelang gewünscht haben: eine Familie sein."

Zwei Männer und ein Kind auf dem Arm eines Mannes (von hinten zu sehen) stehen auf einer Aussichtsplattform und schauen in die Ferne. Im Hintergrund weite Landschaft und blauer Himmel mit Wolken.
Chris und Martin Schulte freuen sich auf die Zukunft mit ihrem Sohn. Bild © hessenschau.de

Die Freude teilen aber nicht alle, wie Martin erzählt: "Menschen, die ich eigentlich für aufgeklärt gehalten habe, sind in konservative Denkmuster verfallen. Auch meine besten Freunde, das hätte ich nicht gedacht." Ein Vorwurf, der oft komme: Sie hätten der Mutter das Kind weggenommen. Dabei sei die beste Freundin in die Familie eingebunden, sie sei wie eine Tante für den Kleinen.

Papa, Papi und die Avocado

Nach den anfänglichen Schwierigkeiten hat sich das Familienleben bei den dreien eingependelt. Das Paar teilt das Familienleben in kurzen Videos auf Instagram, um anderen schwulen Paaren zu zeigen: Ein Familienleben ist für alle möglich.

"Als wir uns geoutet haben als Jugendliche, hatten wir diese Perspektive nicht. Weil queere Familien nirgendwo sichtbar waren", erklärt Chris seine Motivation.

Den Namen ihres Sohnes nennen sie auf Instagram nie, um ihn zu schützen. Stattdessen nennen sie ihn dort "die Avocado", er habe auf den Ultraschallbildern nämlich ausgesehen wie eine. Aus Chris und Martin wiederum wurde mit der Geburt ihres Kindes Papa und Papi. Neue Namen, an die sie sich zum Teil noch gewöhnen müssen - und über die sie sich auf dem Spielplatz sichtlich freuen, als "die Avocado" sie zum Sandkasten ruft.

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Weltfamilientag: Wie lebt es sich in einer Großfamilie?

hs
Bild © hr
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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 14.05.2024, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de