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Experte: So kompliziert ist Stadion-Akustik

Im Frankfurter Stadion schauen tausende Menschen auf eine Bühne, die auf dem Rasen aufgebaut ist.

Die Konzertsaison im Waldstadion in Frankfurt geht zu Ende. Neben viel Euphorie über Shows von Weltstars wie Harry Styles oder Guns N'Roses gab es teils auch Kritik an der Akustik. Im Interview erklärt ein Akustik-Experte, was Stadien so herausfordernd macht und was er Besuchern rät.

Nach dem ersten Auftritt der Rockband Guns N’Roses seit 30 Jahren im Frankfurter Waldstadion herrschte bei den Fans nicht nur Euphorie: "Ihr habt alles gegeben. Danke! Aber der Sound war soooo schlecht", schreibt etwa Kathlen LZ auf Facebook unter einen Guns N’Roses-Post.

Nutzer Peter Krawczyk war ebenfalls unzufrieden: "Der Sound im 1/3 beschissen, einfach nur laut und Krach, das 2/3 war etwas besser, das letzte Drittel konnte man noch akzeptieren."

Immer mal wieder kritisieren Konzertbesucher die Akustik im Waldstadion. Doch warum klingt ein Konzert, wie es klingt? Das Stadionmanagement von Eintracht Frankfurt verweist auf Nachfrage darauf, dass die jeweilige Tourproduktion Techniker und Equipment mitbringt und dementsprechend für den Sound verantwortlich ist. Ähnliches ist von Live Nation, einem der größten Konzertveranstalter zu hören.

Stadien sind keine Konzertsäle - daran erinnert Benjamin Bernschütz im Interview. Er ist Professor für Veranstaltungstechnik der Technischen Hochschule Mittelhessen. Stadien sind vor allem auf Sportevents ausgerichtet und verlangen Technikern einiges ab, sagt er.

Das Gespräch führte Sonja Fouraté.

hessenschau.de: Wenn eine Tourproduktion in ein (neues) Stadion kommt - vor welchen Herausforderungen steht sie?

Benjamin Bernschütz: Stadien sind akustisch immer eine besondere Herausforderung. Das liegt an den Dimensionen, den Geometrien und den verbauten Materialien. Stadien sind keine Konzertsäle. Sie sind in der Regel für die Nutzung durch Fußballspiele optimiert und oft nur mäßig akustisch optimiert und ertüchtigt.

Letztendlich sind Stadien also raumakustisch betrachtet große Kübel aus Beton und Stahl mit Sitzen aus Plastik und oft noch etwas Glas für den VIP-Bereich.

Diese Materialien absorbieren Schallwellen kaum, sondern reflektieren sie wie eine Billardkugel an der Bande, und das zigtausende Male. Daraus resultiert ein langer Nachhall. Die Nachhallzeit - ein wichtiger raumakustischer Parameter - kann bei Stadien im Bereich mehrerer Sekunden liegen.

hessenschau.de: Und dadurch können Musik und Gesang dann verwaschen klingen?

Bernschütz: Ja. Negativ verstärkend kann zudem auch ein akustisch unbehandeltes geschlossenes Dach wirken, da der Schall nicht entweichen kann, sondern zurück ins Stadion reflektiert wird.

Zudem haben wir häufig noch eine ausgeprägte Rückwandreflexion von den der Bühne gegenüberliegenden Rängen, die dann als einzelnes starkes Echo wahrnehmbar wird. Die Akustik verbessert sich insgesamt, wenn das Stadion ausverkauft ist, da das Publikum Schall absorbiert.

Das also sind die Gegebenheiten, mit denen Musikerinnen, Musiker und ihre Toningenieure arbeiten müssen.

hessenschau.de: Können Stadionbetreiber nachträglich etwas daran ändern?

Bernschütz: Bauliche Gegebenheiten zu verändern ist aufwändig und teuer. Möglich wäre zum Beispiel, Absorptionsfläche unter Überdachungen der Ränge oder die Dachfläche zu bringen.

Aber das A und O bei einer gegebenen akustischen Situation ist ein gutes Beschallungskonzept. Das besteht vor allem darin, die Schallenergie möglichst gezielt nur dahin abzustrahlen, wo sie benötigt wird - also auf das Publikum und andere Flächen soweit möglich auszusparen.

hessenschau.de: Wie kann das aussehen?

Bernschütz: Es ist üblich, die Beschallungsanlage im Vorfeld eines Konzertes für die Location zu planen und am Rechner zu simulieren. Teilweise ist auch eine Dezentralisierung der Beschallung sinnvoll, das heißt, neben Lautsprechern rechts und links an der Bühne werden weitere Stützlautsprecher, sogenannte Delays, eingesetzt, um alle Plätze gut abzudecken.

Diese aufzuhängen, zu verdrahten und einzumessen, das erfordert zusätzliche Zeit, zusätzlichen Aufwand und letztendlich zusätzliche Kosten. Durch dezentrale Elemente können teils auch neue Probleme entstehen, da zusätzliche Schallenergie zeitverzögert in das Stadion eingebracht wird.

Aber ohne dezentrale Elemente ist eine gute Stadionbeschallung kaum möglich, da ein Stadion mit besetzen Rängen eine vergleichsweise komplexe Geometrie hat - anders als zum Beispiel gegenüber geraden Flächen auf dem Boden bei Open-Air Konzerten.

hessenschau.de: Das klingt, als wäre es kaum in ein, zwei Stunden machbar.

Bernschütz: Lokal ansässige Unternehmen mit erfahrenen Systemtechnikern, die das Stadion gut kennen, haben hier einige Vorteile. Internationale Tourproduktionen finden ständig wechselnde Spielstätten vor und haben oft keine Zeit, sich mit den Details einer Location intensiv zu beschäftigen oder gar verschiedene Beschallungs-Setups auszuprobieren.

hessenschau.de: Und auch mit viel Zeit kann es schiefgehen. "Piano-Man" Billy Joel nannte das Waldstadion 2016 einen akustischen Alptraum, den er und sein Techniker auch nach einem ganzen Nachmittag Proben nicht in den Griff bekommen hat. Das "The Wall"-Konzert von Pink-Floyd-Mitgründer Roger Waters im Jahr 2013 wiederum wird immer wieder als akustisch herausragendes Positivbeispiel angeführt.

Bernschütz: Es gibt sehr viele Faktoren, die auf den Sound einer Show einwirken. Bei einer gegebenen Location und nicht weiter veränderbarer Akustik sind gute Beschallungskonzepte und Zeit für Planung und Setup, aber auch die Erfahrung der Crew und auch das eingesetzte Material der Beschallungsanlagen ganz wesentliche Punkte.

Pink Floyd ist ein gutes Beispiel: Bei der Band ist der gute Live-Sound immer schon ein ganz besonderes Markenzeichen gewesen. Pink Floyd hat schon früh Standards in unserer Branche gesetzt. Das gilt auch für das Projekt von Roger Waters. Ein wirklich sehr maßgeblicher Faktor ist immer auch das Quellmaterial - also in diesem Falle die Musik von Pink Floyd und Roger Waters.

Die Arrangements der Stücke sind herausragend und die Instrumentierung ist perfekt gewählt. Die Musiker performen selbstverständlich auf sehr hohem Niveau. Die Stücke sind überwiegend getragener und langsamer - quasi prädestiniert für eine Performance in einem Stadion. Das macht sehr viel aus. Solche Faktoren kann man mit keinem Mischpult und keinem Lautsprecher der Welt korrigieren.

hessenschau.de: Es ist also auch nie nur der Techniker "schuld".

Bernschütz: Der Sound entsteht immer vor dem Mikrofon und beginnt schon beim Arrangement eines Stücks und bei seiner Instrumentierung. Mischpulte, Signalprozessoren und Lautsprecheranlagen können am Ende immer nur das verstärken, was von den Künstlern aufgeführt wird. Es müssen also stets viele perfekt passende Puzzleteile zusammenkommen, damit der Sound am Ende wirklich gut ist. Und manchmal passt vielleicht irgendein Teil dieses komplexen Puzzles nicht optimal.

Um die Crews in Schutz zu nehmen: Die Zeitpläne sind straff und die Crews in der Regel Belastungen ausgesetzt, die man sich kaum vorstellen kann, wenn man nicht mit der Branche vertraut ist. Die Crews auf solchen Tourproduktionen sind in der Regel sehr erfahren und engagiert - es gibt aber einfach Grenzen des Machbaren.

hessenschau.de: Gibt es nichts, was die Produktionen mit wenig Aufwand verbessern können?

Bernschütz: Viele Konzerte - insbesondere bei internationalen Tourproduktionen - sind sehr laut und überschreiten deutlich die 100 dB(A). Mit etwas weniger Pegel könnte das Konzert in der Wahrnehmung oft sehr viel angenehmer werden.

Ich frage mich oft, warum manche Tourproduktionen nicht mit etwas geringerem Pegel ins Rennen gehen, um den Höreindruck zu verbessern. Am Ende steht die eine Hälfte des Publikums mit Hörschützern oder Taschentüchern in den Ohren herum, die andere Hälfte geht mit einem Pfeifen im Ohr nach Hause.

Einen gewissen Schalldruckpegel in der Größenordnung um die 95 bis 99 dB(A) - je nach Genre und Location - benötigt man meist schon, damit die Show auch emotional wirken kann und man genug Abstand zu Fremdgeräuschen etwa aus dem Publikum hat. Aber oft wird mit der Lautstärke ohne rational erkennbaren Grund übertrieben. Größer, weiter und lauter. Das ist halt das Showgeschäft.

hessenschau.de: Gibt es eigentlich Plätze, die relativ sicher gut klingen?

Bernschütz: Naja, am Ende bleibt ein Stadion ein Stadion. Als Besucher muss ich mich darauf einstellen und realistische Erwartungen haben. Es gibt immer Plätze, auf denen ein Konzert besonders gut klingt - meist um das Mischpult herum - und es gibt andere, auf denen es schlechter klingt.

Trotz aller Bemühungen ist es technisch nahezu unmöglich, ein Stadion so zu beschallen, dass auf allen Plätzen ein völlig gleichmäßiges Klangbild erreicht wird.

hessenschau.de: Welchen Rat hätten Sie also für Konzertbesucher?

Bernschütz: Es lohnt sich in jedem Falle, sich im Stadion etwas umherzubewegen und einen besonders gut klingenden Platz zu suchen, sofern man keinen festen Platz reserviert hat. Und eines gibt es nur bei einem Stadionkonzert: Nur hier habe ich diesen unersetzlichen Eindruck der übermächtigen Größe und der vielen Mitmenschen, mit denen man gemeinsam ein Erlebnis teilt.

Wenn 60.000 Menschen die Hände hochreißen und klatschen oder den Refrain mitsingen, ist das schon ein überwältigendes Gefühl. Da muss man gegebenenfalls über kleinere und unvermeidbare Herausforderungen beim Sound hinwegsehen und versuchen, den Abend trotzdem zu genießen.

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Ihre Kommentare Welches war bislang Ihr bestes Konzert im Frankfurter Waldstadion?

30 Kommentare

  • Ich habe nach dem Iron Maiden Konzert 2022 beschlossen, keine Konzerte im Waldstadion mehr zu besuchen. Es war ein einziger Sound-Matsch, selbst gesprochene Ansagen waren kaum zu verstehen.

    Die Bands und Künstler, die in der Lage sind, ein Stadion zu füllen, verlangen in der Regel ab 100 EUR aufwärts für ein Ticket und das ist mir für stundenlanges, undefiniertes Dröhnen deutlich zu teuer.

  • Das Pfeifkonzert bei schlechten Fußballspielen.

  • Ich war auf Depeche Mode im diesem Jahr.
    Haupttribüne. Oberrang.
    Akustik sehr schlecht.
    Habe meiner Frau gesagt. Nächstes Mal wieder Innenraum.

    Grüße

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