Alfred Grosser

Der Historiker und Politikwissenschaftler Alfred Grosser ist im Alter von 99 Jahren gestorben. Der gebürtige Frankfurter gilt als prägend für die deutsch-französischen Beziehungen.

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Nachruf auf Alfred Grosser

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Der deutsch-französische Historiker und Politikwissenschaftler Alfred Grosser ist tot. Er starb im Alter von 99 Jahren, wie seine Familie am Donnerstag bestätigte. Der aus einer jüdischen Familie stammende Grosser war einer der intellektuellen Wegbereiter des als Élysée-Vertrag bekannten deutsch-französischen Freundschaftsvertrags.

Grosser wurde 1925 als Sohn eines jüdischen Kinderarztes in Frankfurt geboren. Die Familie floh vor den Nationalsozialisten 1933 nach Frankreich, wo der Vater kurz nach der Ankunft starb. Die Mutter erhielt 1937 mit ihren Kindern die französische Staatsbürgerschaft. Das bewahrte sie 1939 vor der Internierung.

Der Historiker und Publizist Alfred Grosser als Kind mit seinen Eltern und seiner Schwester bei einem Spaziergang in der Neuen Mainzer Straße in Frankfurt auf einem Foto von 1929/1930, im Hintergrund eine Filiale der Reisegepäck-Manufaktur Moritz Mädler

Deutsch-französische Verständigung als Lebensaufgabe

"In Frankreich gehöre ich dazu, Deutschland begleite ich von außen", beschrieb Grosser seine Rolle. Er schrieb mehr als 30 Bücher - und erklärte Deutschland den Franzosen und Frankreich den Deutschen. Ab 1965 war er Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Fernsehanstalten. Unter anderem schrieb er Kolumnen für die Tageszeitungen "La Croix" und "Ouest-France".

2014 hielt er im Bundestag die Gedenkrede zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 100 Jahre zuvor. Für seine Rolle als Mittler zwischen Deutschen und Franzosen wurde er vielfach geehrt. 1975 bekam er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Kritische Haltung zu Israels Politik

Grosser stand auch immer wieder in der Kritik: Mit dem Vorwurf des Antisemitismus wurde Grosser spätestens seit seinem 2009 erschienenen Buch "Von Auschwitz nach Jerusalem" konfrontiert, den er persönlich als abwegig empfand. In dem Werk erklärte er den Deutschen, warum sie kritischer mit Israel umgehen sollten.

Ärger gab es auch um die Teilnahme Grossers an einer Gedenkfeier an die Pogromnacht in der Frankfurter Paulskirche 2010. Der Philosoph hielt auf Einladung der damaligen Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) eine Rede. Mitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland drohten bereits im Vorfeld, den Raum zu verlassen, falls Grosser "ausfallend gegenüber Israel" werden würde. Am Ende kam es nicht zum Eklat, niemand verließ den Raum.

Auch unterstützte er den Schriftsteller Martin Walser, der in seiner Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 davon gesprochen hatte, dass sich "Auschwitz" nicht als "Moralkeule" eigne. In der Debatte um die Israel-Kritik von Günter Grass und dessen politisches Gedicht "Was gesagt werden muss" aus dem Jahr 2012 stellte er sich auf die Seite des 2015 verstorbenen deutschen Schriftstellers.

Französischer Botschafter: "Anspruchsvoller Pionier"

"Wir verlieren einen der ganz Großen. Von Frankfurt nach Paris hat niemand so sehr unseren Blick auf die deutsch-französische Versöhnung geprägt wie er", schrieb Cornelia Woll, Präsidentin der Hertie School in Berlin, im Onlinedienst X, ehemals Twitter.

"Alle Akteure der deutsch-französischen Freundschaft fühlen sich heute verwaist", schrieb François Delattre, der französische Botschafter in Berlin. Grosser sei ein "anspruchsvoller Pionier" der Beziehungen der beiden Länder gewesen.

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