Gemälde von Raouf Al Ajouri (li., "Behind the wall") und Mohammed Al Hawajri (re., "Animals") in der Ausstellung von Künstlern aus dem Gazastreifen

Seit Monaten beherrschen Antisemitismus-Vorwürfe die Diskussion um die documenta 15 in Kassel. Aber was gibt es wirklich vor Ort zu sehen? Ein paar Bilder haben Kritiker auf den Plan gerufen.

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Wie antisemitisch ist die documenta?

Das Bild zeigt eine Bauernfamilie im Vordegrund und Gaza im Hintergrund. Dort sind brennende Häuser zu sehen
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Bauern sitzen in einer düsteren Stube um einen liegenden Mann, dahinter brennen Hochhäuser. Das Gemälde ist eine Collage aus einem Motiv von Vincent Van Gogh und dem realistisch gemalten Gazastreifen in Flammen. Nur dass die Gruppe auf dem Originalgemälde um einen Teller Kartoffeln sitzt und nicht um einen leidenden Mann.

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Dieser Text ist zum Eröffnungswochenende entstanden und spiegelt den damaligen Stand. Seitdem gab es einen Skandal um antisemitische Darstellungen in einem Bild vom indonesichen Kollektiv Taring Padi, das schließlich abgehängt wurde. Informationen dazu gibt es hier und in unserem Kultur-Ticker.

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Das Bild ist Teil der Serie "Guarnica Gaza" des Malers Mohammed Al Hawajri aus dem Gazastreifen. Auf zwei anderen Bildern der Serie werden Bauern bei einer Pause von israelischen Soldaten und Panzern bedroht.

"Guarnica Gaza"

Das palästinensische Künstlerkollektiv The Question of Funding zeigt auf der documenta 15 eine Ausstellung mit Bildern von fünf Künstlern aus dem Gazastreifen.

Aber ist die "Guarnica Gaza"-Reihe jetzt der angebliche Antisemitismus auf der documenta 15, über den seit Monaten diskutiert wird? Die documenta 15 hatte im Laufe der Debatte die Losung ausgegeben, sich doch erstmal die Kunst anzuschauen und dann zu urteilen. Seit Mittwoch können Fachbesucher die Werke nun sehen.

Zur Eröffnung am Samstag fand Bundespräsident Frank Walter Steinmeier deutliche Worte, er sagte: Kritik an israelischer Politik sei erlaubt, "wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten." Konkrete Werke nannte er nicht, wo diese Grenze überschritten sein könnte. Auch Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) ließ das offen, nannte aber Israelkritik "Ersatz-Antisemitismus".

Schlafende Bauern - israelische Soldaten

Israelkritik gibt es auf der documenta: Die Bilderserie "Guarnica Gaza" ist offenbar eine Anspielung auf das berühmte Bild "Guernica" von Pablo Picasso. Das Gemälde malte Picasso 1937 nach der Zerstörung der spanischen Stadt Guernica durch einen Luftangriff von deutschen und italienischen Faschisten. Der Angriff traf besonders die Zivilbevölkerung.

Bei "Guarnica Gaza" sind nun Israelis in der Rolle der Angreifer. Es bleibt außerdem eine Leerstelle: Die Hamas, die in Gaza regiert und regelmäßig Bomben nach Israel abfeuert, ist in keinem der Bilder der Künstler zu sehen. Nur: Die Idee von Question of Funding ist, mit dieser Ausstellung von verschiedenen Künstlern auf der documenta 15 der Welt zu zeigen, was sie sonst nicht sehen kann: die Perspektive vom Gazastreifen auf die Welt.

Mit The Question of Funding kann man über diese Themen nicht sprechen, sie wollen nach der monatelangen Debatte über Antisemitismus keine Presseanfragen mehr beantworten. Das Kollektiv wurde immer wieder angegriffen, weil Mitglieder einen "Letter of Apartheid" unterzeichnet haben, der zum Boykott von Israel aufruft. Auch andere Beteiligte der documenta 15, auch aus dem Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa, unterstützen den Boykott Israels.

Steinmeier: "Leichtfertiger Umgang mit Staat Israel"

Kritik an israelischer Politik sei erlaubt, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der Kunstausstellung documenta in Kassel laut vorab veröffentlichtem Redetext. "Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten." Mit Blick auf die Antisemitismus-Debatte im Vorfeld der Schau zeitgenössischer Kunst habe er "manchen gedankenlosen, leichtfertigen Umgang mit dem Staat Israel" beobachtet, sagte er weiter. Die Anerkennung Israels sei in Deutschland aber Grundlage und Voraussetzung jeder Debatte.

Ruangrupa: "Wir nehmen alle Seiten gleich ernst"

Der Bundestag hat 2019 beschlossen, der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) "entschlossen entgegenzutreten" und die politische Kampagne zu verurteilen, weil sie israelische Bürger jüdischen Glaubens pauschal kritisiere und die Argumentation antisemitisch sei. Im Umkehrschluss dürfen Projekte, die dem BDS nahe stehen, kein Geld vom Staat bekommen.

Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, hatte sich in der Debatte um die Künstler auf der documenta 15 für eine ausgewogene Haltung stark gemacht. "Ich habe die Vorwürfe gegen The Question of Funding und Ruangrupa genau angeschaut: Mir ist keine Äußerung bekannt, die ich explizit als antisemitisch einstufen kann." Nach einem ersten Rundgang auf der documenta schrieb Mendel auf Facebook, keinen Antisemitismus gesehen zu haben.

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Die documenta nach Antisemitismusvorwürfen

hessenschau vom 16.06.2022
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Bei der Pressekonferenz der documenta am Mittwoch sagte Reza Afisina, Mitglied des indonesischen Kuratorenkollektivs Ruangrupa, über die deutsche Antisemitismus-Debatte: "Wir sind nicht naiv oder ignorant. Wir nehmen alle Seiten gleich ernst, auch wenn sie aus Hörensagen bestehen oder Unterstellungen." Im Mai hatte sich Ruangrupa mit einem langen Brief entschieden gegen die Vorwürfe gewehrt.

Eine Brücke schlagen

Mendel hat sich bei der Auswahl der Künstler nach eigenen Angaben allerdings mehr Fingerspitzengefühl der Kuratoren erhofft: "Es wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, israelischen Künstlern einen Raum zu geben. Genau die Künstler, die gegen die Besatzung arbeiten und gegen jegliche Repression in der israelischen Gesellschaft", sagte er dem hr. Allerdings haben Ruangrupa vor allem Künstler-Kollektive aus der ganzen Welt eingeladen, mit denen sie bereits vernetzt waren - Israel war nicht dabei. Offenbar gab es einfach keine Verbindungen. Indonesien ist ein muslimisches Land, das keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhält.

Eine Brücke führt über die Ahne

The Question of Funding und die ebenfalls palästinensische Künstlerin Jumana Emil Abboud werden es nicht einfach haben, mit ihren Themen durchzudringen, ohne im Schatten Debatte über Antisemitismus zu stehen: The Question of Funding beschäftigt sich mit alternativen Formen des Wirtschaftens, einer eigenen Währung, die über den Austausch von Waren, Naturalien und Wissen funktionieren soll. Es geht dabei auch um die ständige Abhängigkeit von internationalen Geldgebern im Westjordanland und in Gaza.

In Kassel hat Abboud eine Brücke aus Lehm über das Flüsschen Ahne gebaut - ein Ort zum Entspannen. Vielleicht kann diese Brücke auch zum Symbol werden, und Menschen dazu anregen, in der aufgeheizten Debatte erst die Kunst anzuschauen und dann das Gespräch zu suchen.

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