Beschriftete T-Shirts an der Leine aufgehängt vor dem Fridericianum in Kassel

documenta-Beschäftigte wehren sich: Mindestlohn, Überarbeitung und ein toxischer Umgang stünden in krassem Gegensatz zu den künstlerischen Ideen. Die Kritik richtet sich an die Organisatoren in Kassel.

Sobat-Sobat heißen die Kunstvermittlerinnen und Kunstvermittler auf der documenta15, übersetzt aus dem Indonesischen: Freunde. Mit Freundschaft habe der Umgang mit Beschäftigten allerdings wenig zu tun, kritisieren zwei Sobats. Das Gespräch findet in einem Café abseits der documenta statt, die beiden Frauen wollen anonym bleiben. Sie fürchten negative Konsequenzen.

In diesem Text sollen sie deswegen Lena und Yara heißen. Seit Wochen versuchen sie gemeinsam mit anderen der insgesamt rund 130 Sobats mit der zuständigen Abteilung für Kunstvermittlung der documenta ins Gespräch zu kommen und etwas an den Arbeitsbedingungen zu ändern. Die documenta soll aus ihren Fehlern lernen. Die Reaktionen seien bisher eher ernüchternd.

Sie haben als Protestaktion ihre Arbeits-T-Shirts vor dem Friedericianum aufgehängt, mit dem neuen Geschäftfsführer Alexander Farenholtz diskutiert und einen Brief geschrieben, den sie auch an andere Kunstinstitutionen geschickt haben.

"Toxisches Arbeitsumfeld"

Die Liste der Vorwürfe ist lang, vieles davon richtet sich gegen die Abteilung für "Bildung und Vermittlung", geleitet von der Kunstpädagogin Susanne Hesse-Badibanga. Es gebe ein "toxisches Arbeitsumfeld", persönliche Attacken gegen Einzelne und die Ideen und Werte der indonesischen Kuratoren von Ruangrupa würden in der Praxis ignoriert.

Bei den Arbeitsbedingungen beklagen die Sobats ständige Überarbeitung und eine chaotische Organisation. Nach der Eröffnungswoche gab es bei der documenta eine große Corona-Welle, Veranstaltungen mussten abgesagt werden, viele Beschäftigte waren krank.

"Wir hatten nicht genug Leute zum Einspringen bei den Führungen. Wir mussten nicht nur ständig Überstunden machen, wir waren auch ständig dem Risiko ausgesetzt, selbst Corona zu bekommen." Die documenta schien von den Auswirkungen der Pandemie überrascht worden zu sein, die Bitte um regelmäßige Covid-Tests sei abgelehnt worden, erzählt Lena.

Und für die zahlreichen Überstunden gebe es kein Geld, sondern nur einen Zeitausgleich. In zwei Wochen ist die documenta vorbei, aktuell bummeln einige Sobats deswegen die angehäuften Überstunden ab.

Eine Kündigung muss man sich leisten können

Lena erzählt, dass sie bereits in den ersten Wochen extrem über ihre Grenzen gegangen sei. Die Sobats seien unter Druck gesetzt worden: "Ich war sehr sehr gestresst und überarbeitet im ersten Monat, aber ich konnte nicht 'nein' sagen. Es gab eine Manipulation durch Schuldgefühle, immer mit der Frage 'Wie sehr bist du wirklich bereit für die documenta zu arbeiten?'"

Auch Yara hat das erlebt. Selbst als sie krank geschrieben war, kamen weiter Anrufe und Nachrichten zu jeder Tageszeit: "Sie haben auch das Wort 'Solidarität' ausgenutzt. Du musst einspringen, um deine Kolleg*innen zu ersetzen. Und das ist auch noch ein Lumbung-Wert." Lumbung ist ein Motto von Ruangrupa, bei dem es um solidarische Zusammenarbeit und gerechte Verteilung geht.

Es habe mehrere Fälle von Einschüchterung gegeben, es sei ein toxisches Arbeitsumfeld, kritsieren die Sobats in ihrem Brief. Sowohl Yara als auch Lena erzählen, dass sie über eine Kündigung nachgedacht haben - die hätten sie sich aber finanziell nicht leisten können.

Schlechte Vorbereitung für die Guides

Auch die Vorbereitung auf das, was sie später Besuchergruppen erklären sollten, sei schlecht gewesen: "Wir sollten sofort alle 32 Ausstellungsorte abdecken können, aber wir hatten bis zur letzten Minute vor der Eröffnung noch nicht mal unsere Ausweise, um die Orte überhaupt betreten zu dürfen", erzählt Lena. Als die Presse bereits drei Tage vorab alle Orte besuchen konnte, hätten die Sobats noch kaum etwas gesehen.

Die Kuratoren von Ruangrupa hätten versucht, die Sobats zu unterstützen - aber auch sie seien nicht durchgedrungen, erzählen Yara und Lena. Die Ideen und Konzepte des Kuratorenkollektivs Ruangrupa seien nicht ernst genommen worden. Ein Vorwurf, den man auch von Künstlern der documenta hört.

Noch dazu seien die Herangehensweisen nicht auf der Höhe der Zeit, kritisiert Yara, die selbst aus dem Bereich Kunstvermittlung kommt. "Es fühlt sich an, als müssten wir der Abteilung für Kunstvermittlung beibringen, wie sie arbeiten müssten", kritisiert Yara.

Bezahlung knapp am Mindestlohn

Der Punkt Bezahlung kommt im Brief der Sobats nicht vor, es soll mehr um inhaltliche Kritik gehen und einen Blick nach vorn. Trotzdem fasst Yara die prekären Verhältnisse bei der Bezahlung knapp zusammen: "Es ist legal, aber im Oktober wäre es das nicht mehr."

Soll heißen, es geht ungefähr um den aktuellen Mindestlohn. Der liegt bei 10,45 Euro und wird ab Oktober auf 12 Euro angehoben. Dann ist die documenta allerdings gerade seit fünf Tagen vorbei und die Verträge sind ausgelaufen.

Aufseherinnen und Aufseher fordern Nachzahlung

Für eine andere Gruppe von Beschäftigten ist das Geld sehr wohl Thema beim Protest: Auch die Guards, die Aufseher und Aufseherinnen an den 32 Ausstellungsorten, haben einen offenen Brief an den Geschäftsführer geschrieben und sammeln Unterschriften bei documenta-Beteiligten und Besuchern und Besucherinnen. Sie fordern rückwirkend zwei Euro mehr Gehalt für alle Beschäftigten, die weniger als 17 Euro die Stunde verdienen.

Sie beklagen Ähnliches wie die Sobats: Massive personelle Unterbesetzung, nicht funktionierende Arbeitsabläufe, ungesetzliche Arbeitslängen und eine "desaströse interne Kommunikation". Das Gehalt sei nicht angemessen, der Umgang mit den Beschäftigten "nicht länger tragbar".

Leiterin der Kunstvermittlung: Haben nachgebessert

Zu der inhaltlichen und organisatorischen Kritik äußert sich die Leiterin der Kunstvermittlung, Susanne Hesse-Badibanga. Sie stellt die Geschehnisse anders dar: "Ich habe stets ein offenes Ohr für Kritik der Sobat-Sobat", sagte sie dem hr, es habe Gespräche gegeben und in manchen Punkten sei nachgebessert worden. Man habe sich bemüht, die Sobats mit umfassenden Workshops "bestmöglich" auf die documenta vorzubereiten.

Auf die Kritik, dass das Konzept der Kuratoren nicht berücksichtigt worden sei, geht sie nicht ein. Sie sehe allerdings "Veränderungspotenzial" bei organisatorischen Fragen für künftige documenta Ausstellungen.

Geschäftführer: Mehr Geld und Betriebsrat

Der neue Geschäftführer Alexander Farenholtz, der zur Halbzeit im Juli als Ersatz für Sabine Schormann einsprang, kam den Beschäftigten entgegen und führte konstruktive Gespräche - so beschreiben es beide Seiten. Es sei allerdings "so gut wie ausgeschlossen" jetzt noch etwas an der Vergütung zu ändern, sagte Fahrenholtz dem hr. Es habe Schwächen in der Arbeitsorganisation gegeben, die zu einer erheblichen Belastung geführt hätten, räumt er ein.

Er befürworte außerdem ausdrücklich die Initiative, einen Betriebsrat für die Beschäftigten einzurichten. Und er wünsche sich, dass es künftig eine Vergütung gebe, "die sich deutlicher vom gesetzlichen Mindestlohn absetzt". Zum Ende der Ausstellung soll es nun zumindest eine Bonuszahlung geben, die versuche, Wertschätzung auszudrücken.

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