Audio

Warum man digitales Lesen lernen muss

Buch und E-Book-Reader

Digitale Texte lesen wir schneller und weniger sorgfältig als Texte auf Papier, sagt der Lernforscher Andreas Gold. Im Interview erklärt er, wie sich die Nachteile des Bildschirmlesens vermeiden lassen und wann digitale Texte trotzdem die Nase vorn haben.

Smartphones, Tablets und Computer sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir lesen Nachrichten, längere Texte und ganze Bücher am Bildschirm. Auch beim Lesenlernen scheinen kindgerechte Apps unersetzlich.

"Digital lesen - was sonst?" heißt auch ein neues Buch des Frankfurter Psychologen Andreas Gold. Allerdings setzt er ein Fragezeichen ans Ende. Der Senior-Professor für pädagogische Psychologie an der Frankfurter Goethe-Universität erforscht, welcher Zusammenhang zwischen Lesen und Lernen besteht.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass das digitale Lesen auch mit Nachteilen verbunden sein kann - besonders für Lese-Anfänger und für Menschen, die umfangreiche Texte lesen und verstehen müssen. Worauf sie achten sollten, erklärt er im Interview.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen

hessenschau.de: Macht es einen Unterschied, ob ich einen Roman aus einem haptischen Buch in der Hand lese oder als E-Book? 

Andreas Gold: Vom reinen Lesevorgang gibt es keinen Unterschied. Lesen ist ein Prozess der visuellen Wahrnehmung und der funktioniert immer gleich, egal, ob wir die Druckzeichen auf Papier wahrnehmen oder Pixel auf einem Bildschirm.  

Lesen erzeugt Eindrücke oder ein mentales Modell des Gelesenen im Gedächtnis. Und auch da ist es zunächst mal ganz egal, ob wir auf Papier oder auf dem Bildschirm lesen.

Mann vor einem Bücherregal, er hält ein Buch in der Hand.

Alle Erzähltexte, narrative Texte, Belletristik, Krimis, kann man auf dem elektronischen Endgerät genauso gut lesen wie auf Papier. Das sagt jedenfalls die Forschung.  

Auch wenn Sie eine Zeitung lesen oder auf dem Handy schnelle Nachrichten, Breaking News, verfolgen: Da gibt es an sich keinen Unterschied.  

hessenschau.de: Ob Print oder digital ist beim Lesen egal? 

Gold: Nein. Es hat sich gezeigt, dass wir bei längeren Sachtexten am Bildschirm nicht so viel verstehen und behalten, wie wenn wir es auf Papier lesen. 

Es gibt dieses Deep Reading, dieses Deep Understanding, das sehr sorgfältige und konzentrierte Lesen. Da ist der Bildschirm unterlegen. Es gibt da die Gefahr, dass wir weniger behalten.  

hessenschau.de: Aber wie kommt es zu diesem Unterschied? Sie sagten doch, die Wahrnehmung der Zeichen ist die gleiche? 

Gold: Das liegt offenbar an einem veränderten Leseverhalten. Wir gehen mit einer anderen Einstellung an das Lesen heran. Wir sind am Bildschirm schneller mit einem Text fertig als auf Papier. Wir sind unkonzentrierter und wir lesen weniger sorgfältig.  

Wir lassen uns auch leichter ablenken. Der Bildschirm triggert so ein oberflächliches Lesen, weil wir den Bildschirm auch mit Konsumieren, mit leichter Kost verbinden. 

Das sind alles Faktoren, die spielen nur bei längeren, komplizierten Sachtexten eine Rolle. Bei einfachen Texten, beim Krimi oder auch bei Texten, die ich nur informatorisch lese, macht es nichts aus, wenn wir sie am Bildschirm lesen. 

hessenschau.de: Trotzdem empfehlen Pädagogen, dass Kinder erst mal nicht am Screen lesen lernen sollten. Es sei besser, sie hätten den Text wirklich haptisch vor sich. Ist da was dran? 

Gold: Ja, die Lesesozialisation mit analogen Medien finde ich günstiger. Wer gut analog lesen kann, kann nachher auch gut digital lesen.  

Man muss sehen, dass gerade bei den Heranwachsenden das Ablenkungspotenzial der digitalen Endgeräte sehr, sehr groß ist. Der Leseprozess kann durch Benachrichtigungsfunktionen und was alles auf den digitalen Endgeräten noch möglich ist, gestört werden kann.

Dann kommt es zu Leseunterbrechungen. Die sind immer mit Wechselkosten verbunden, in dem Sinne, dass man dann wieder reinkommen muss. Wir sind nun mal keine Multitasker, auch wenn das viele gerne behaupten.

Wenn beide Tätigkeiten auch nur ein Mindestmaß an Anstrengung und Konzentration verlangen, dann ist Multitasking nicht möglich. Es kommt stattdessen immer zu Unterbrechungen und Wiederaufnahmen und Unterbrechungen und Wiederaufnahmen. Das geht zulasten des Textverstehens.  

Eine Ausnahme ist natürlich der E-Reader, weil der dem Buch stark nachempfunden ist und da auch nichts aufploppt oder ablenkt.  

hessenschau.de: Gibt es auch Vorteile beim digitalen Lesen? 

Gold: Unbedingt. Es gibt eine ganze Reihe von Sekundärvorteilen: In der Verfügbarkeit, in der Zugänglichkeit der Texte, da ist das Digitale schon unschlagbar.  

Wenn Sie bedenken, dass Sie diese elektronischen Bücher ohne große Erschwernis überall mit hinnehmen können, dass Sie keine zusätzliche Beleuchtung brauchen, um das Buch abends lesen zu können, die Buchstaben vergrößern können und so weiter. Das sind schon gigantische Vorteile.  

hessenschau.de: Sie sagen, digitales Lesen muss gelernt werden. Wie soll das gehen? 

Gold: Zwei oder drei Dinge sind besonders wichtig: Erstens: langsamer lesen. Also den Leseprozess bewusst verlangsamen. In pädagogischen Situationen kann man das erzwingen, indem man in einen digitalen Text Fragen einbaut, die zu beantworten sind. Vorher geht der Text nicht weiter.  

Ablenkungen, Leseunterbrechungen vermeiden ist die zweite Sache. Ein einfaches Mittel wäre hier, dass man die Benachrichtigungsfunktion der Endgeräte ausschaltet.  

Und dann müssen wir lernen, unseren Leseprozess auch zu überwachen. Wir tendieren beim Bildschirmlesen dazu, uns zu überschätzen und die Textschwierigkeit zu unterschätzen. Gelesen heißt verstanden - das stimmt eben bei komplizierten Sachtexten nicht.  

hessenschau.de: Wie sehen Sie die Zukunft? Bleibt uns das gedruckte Buch erhalten oder lesen wir bald nur noch digital?  

Gold:  Es wird weiterhin beides geben. Wir müssen die Kinder und Jugendlichen ertüchtigen, "rchtig"digital lesen zu lernen. Dazu gehört auch der Umgang mit Quellen, die Bewertung ihrer Glaubwürdigkeit.

Das Papier wird auch weiter seine Berechtigung haben. Am Ende nur noch für die Liebhaberinnen und Liebhaber. Die sind aber zahlreich.  

Weitere Informationen

Andreas Gold: Digital lesen - Was sonst?

Verlag Vandenhoeck & Ruprecht 2023
23 Euro

Ende der weiteren Informationen
Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen