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Die documenta im vergangenen Jahr hat nach Beobachtung der Antisemitismus-Meldestelle RIAS Folgen für Juden in Deutschland. Die Meldestelle registrierte 38 antijüdische Vorfälle im Zusammenhang mit der Kunstausstellung.

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RIAS veröffentlicht Broschüre zu documenta

hessenschau 16:45
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Ilana Katz ist ein großer Fan der documenta. Das Fazit der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Kassel zur Weltkunstschau im vergangenen Jahr ist aber bitter. "Kunst kann Menschen beleidigen, kann Menschen wehtun", stellt Katz fest.

Juden mit Hakennasen; Juden, die Kinder töten: Antijüdische Klischees steckten gleich in mehreren Kunstwerken der documenta 15. Das habe Ilana Katz verletzt, sagt sie. Noch schlimmer aber sei, was nach der documenta geschah.

Kinder verlassen Workshops

Seit sechs Jahren bietet die Jüdische Gemeinde Workshops in Schulen an. Aber seit der documenta gebe es immer wieder Kinder, die diese Workshops vorzeitig verlassen, erzählt Katz: "Wenn sie rausbekommen haben, dass sie in einer jüdischen Einrichtung sind, dann sagen sie: Tschüss, ich habe plötzlich Bauchschmerzen bekommen." Diese Schüler hätten meist einen muslimischen Hintergrund.

Aber es geschähen noch schlimmere Dinge: Ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde sei erst vor wenigen Wochen in Kassel auf offener Straße zusammengeschlagen worden. Gestohlen worden sei ihm nichts, es sei ein reiner Gewaltakt gewesen. "Ich fühle mich unsicherer", sagt Katz deswegen. "Der Antisemitismus wächst."

"Mit solcher Zahl nicht gerechnet"

Das bestätigt auch Susanne Urban, die Leiterin der RIAS, der hessischen Meldestelle für antisemitische Vorfälle und Hassreden in Marburg. "Neben den Kunstwerken, die wir als 'Vorfälle' aufgenommen haben, kamen etliche dazu", weiß sie. "Wir haben eine ordentliche Anzahl, mit der wir so nicht gerechnet haben."

"Das strahlte aus bis zu einer Meldung aus der Frankfurter U-Bahn, wo beispielsweise gesagt wurde: Natürlich sind keine israelischen Künstler bei der documenta, die sind ja gerade dabei, palästinensische Kinder zu ermorden", berichtet Urban.

Bitterböse Mails an Mitarbeitende

Auch die drei Mitarbeitenden der RIAS hätten bitterböse E-Mails bekommen. "Da wurden wir der Unterstützung des israelischen Militärs, der 'Kindermörder Israels' bezichtigt", sagt Urban. "Und es wurde wieder einmal gesagt, dass wir Juden unsere Opferrolle für böse Zwecke einsetzen, um beispielsweise Menschen zu ermorden - oder die documenta zu diskreditieren."

Wenn das Thema Antisemitismus in der Öffentlichkeit diskutiert werde, gebe es immer eine Flut antijüdischer Vorfälle, weiß die Forscherin. Aber diese documenta habe darüber hinaus noch ganz andere Folgen für jüdische Deutsche.

"Vertrauen nachhaltig erschüttert"

"Mich hat beeindruckt und nachdenklich gemacht, was der Soziologe Natan Sznaider in einem Interview gesagt hat", berichtet Urban. "Das Vertrauen in dieses Land sei nachhaltig erschüttert."

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Antisemitismus wächst nach documenta

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Aussagen des Dozenten der Uni München sind Teil des neuen Sonderbands des RIAS über die documenta. Jüdische Menschen in Deutschland teilen darin ihre persönliche Sicht auf die Weltkunstschau und ihre Skandale.

Wie soll es weitergehen?

Ilana Katz fragt sich, wie es weitergehen soll. "Meine beiden Elternteile haben den Holocaust überlebt", erzählt sie. "Ich bin mit dieser Geschichte groß geworden. Als Mitglied der zweiten Generation fühle ich meine Verantwortlichkeit nicht nur für die jüdische, sondern auch für die deutsche Gesellschaft. Ich bin jüdische Deutsche."

Die Jüdische Gemeinde in Kassel werde jedenfalls weiter Workshops in Schulen anbieten, betont Katz. Um aufzuklären, über Antisemitismus in jeder Form.

Weitere Informationen

Der Bericht der Antisemitismus-Stelle RIAS

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) hat im Zusammenhang mit der documenta 15 im vergangenen Jahr 38 antisemitische Vorfälle registriert. Das Dunkelfeld sei vermutlich wesentlich größer, berichteten Mitarbeiter der Meldestelle am Donnerstag in Marburg.

Eine Veröffentlichung der RIAS zur documenta 15 trägt den Titel "Es wurde eine dunkelrote Linie überschritten". Sie enthält Beiträge unter anderem von Julius H. Schoeps und Richard Chaim Schneider sowie Interviews etwa mit Natan Sznaider und Anna Staroselski. Das Dokument steht auf der Website von RIAS Hessen zum Download zur Verfügung. Dort wird in wenigen Wochen außerdem ein Monitoring-Bericht mit genauen Zahlen und Analysen veröffentlicht.

RIAS Hessen ging im März vergangenen Jahres an den Start und ist beim Demokratiezentrum Hessen an der Philipps-Universität Marburg angesiedelt. Die Stelle nimmt Meldungen über antisemitische Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen entgegen.

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