Jahrzehntelang hatte Familie Jajte nach einem verlorenen Angehörigen gesucht. Nun die Gewissheit: Er wurde von den Nazis hingerichtet. Von den Arolsen Archives haben die Angehörigen jetzt letzte Erinnerungsstücke erhalten.

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Arolsen Archives übergeben Habseligkeiten von Tadeusz Jajte an Familie

Bildkombination aus zwei Fotos: links vier Menschen unterschiedlichen Alters, die in die Kamera lächeln; rechts historische Dokumente, eine ca. 100 Jahre alte Armbanduhr und ein Ehering.
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Man sieht Marek Jajte an, wie sehr ihn das Schicksal seines Onkels bewegt. Vor ihm auf dem Tisch bei den Arolsen Archives liegen Ehering und Armbanduhr von Tadeusz. Jajte hat seine Kamera mitgebracht und hält den Moment für sich und die Ewigkeit fest. 

78 Jahre galt sein Onkel als verschollen. Mareks Vater hatte bereits jahrzehntelang erfolglos nach seinem Bruder gesucht. Dass die Familie jetzt die letzten Habseligkeiten überreicht bekommen hat, wird er nicht mehr erfahren: Er ist 2017 gestorben.  

In Polen verhaftet und nach Deutschland deportiert

Marek Jajte hat nach dem Tod seines Vaters immer weiter geforscht und ist Anfang des Jahres im Internet fündig geworden. Seitdem hat die Familie versucht, die letzten Monate und Jahre des vermissten Familienmitglieds nachzuzeichnen.

Lange Zeit hatte die Familie geglaubt, Tadeusz sei freiwillig zum Arbeiten nach Deutschland gegangen. Beim Besuch in Bad Arolsen (Waldeck-Frankenberg) haben Joanna, Jan, Maria und Marek Jajte von Mitarbeiterin Malgorzata Przybyla die wahren Umstände erfahren.

Tadeusz Jajte wurde 1943 im polnischen Sieradz von der Gestapo verhaftet. Der Vorwurf lautete Arbeitsverweigerung. Er wurde ins Konzentrationslager Neuengamme überstellt.

Das Massaker von Lüneburg

Kurz vor Kriegsende saß er in einem Transportzug, der die Häftlinge aus Neuengamme verlegen sollte. Bei einem Halt in Lüneburg (Niedersachsen) wurde der Zug von amerikanischen Kampfflugzeugen angegriffen. Fast 100 Häftlinge wurden dabei getötet oder danach von den Nazis exekutiert - so wie Tadeusz. Da war er 24 Jahre alt.

Wo er seine Frau Lidia kennengelernt und geheiratet hat, ob sie überhaupt seine Frau war oder ob der Ehering durch einen Tausch in seinem Besitz gelangte, ist bis heute ein ungelöstes Rätsel. Der Familie in Polen liegen Briefe und Fotos von Lidia vor. Irgendwann brach der Kontakt ab.

Seite eines Familienfotoalbums aus den 1930er Jahren.

Uhr und Ehering: Übergabe bei den Arolsen Archives 

In Bad Arolsen wurden die letzten Habseligkeiten von Tadeuzs archiviert und jetzt an die Familie übergeben. Für den Termin war ein Teil der Familie nach Bad Arolsen gekommen - und aus Bayern, Hessen und Hamburg angereist.  

Für Mareks Tochter Joanna ist der Besuch in Nordhessen ein Stück Aufarbeitung der eigenen Herkunft. Es helfe ihr, mit der Geschichte ein wenig abzuschließen, erklärt sie.

Ihre Familie habe neben den Erinnerungsstücken auch neue Informationen bekommen: "So langsam ergibt sich ein Bild. Alles ist ganz anders, als wir gedacht haben", erzählt sie. Neben Details zur Familiengeschichte seien auch ein paar Tränen hochgekommen. 

Erinnerungsstücke an mehr als 120 Familien übergeben 

Familie Jajte ist eine von bisher 120 Familien, an die in diesem Jahr bereits Erinnerungsstücke übergeben werden konnten. Das sind mehr als in den Jahren zuvor, sagt Archivsprecherin Anke Münster. Der Grund dafür seien die vielen Freiwilligen, die bei der Suche nach den Hinterbliebenen helfen.  

2.500 Umschläge mit persönlichen Gegenständen von KZ-Inhaftierten und einer namentlichen Zuordnung lagern im Archiv. Mehrere hundert wurden schon vermittelt.

Für die Hinterbliebenen können die von den Nationalsozialisten übergebliebenen Papiere hilfreich sein. Die Inhaftierungsdokumente enthielten Hinweise zu Geburtsdaten oder letztem Wohnort, so Münster, daran könne eine Recherche zum Schicksal von Angehörigen anschließen. 

Tadeusz Jajte

Wohin mit den Erinnerungsstücken? 

Im Fall Tadeusz Jajte hat die Familie viel erfahren - auch, dass er im norddeutschen Lüneburg begraben wurde. Sein Grab möchte die Familie bald besuchen. Aber was soll mit den Erinnerungsstücken passieren?

Marek Jajte hat viel darüber nachgedacht, vor allem, weil der größte Teil der Familie in Polen lebt. Entschieden hat er sich noch nicht, aber eins ist ihm wichtig: "Ich möchte nicht, dass das irgendwo in der Schublade liegt, und keiner weiß Bescheid”. Seine größte Befürchtung: Dass Uhr und Ehering nach einer Generation weggeschmissen werden könnten.

Malgorzata Przybyla von den Arolsen Archives übergibt die Erinnerungsstücke an Marek Jajte und seinen Enkel Jan.

Damit das nicht passiert, könnte Mareks Enkel Jan die Stücke erben. Der 12-Jährige interessiert sich für die Vergangenheit seiner Familie und wollte unbedingt mit nach Bad Arolsen kommen.

Er hat schon eine Idee, wo Uhr und Ehering dann landen sollen: "Wenn sie nur bei mir rumliegen, hat es keinen Sinn". Deshalb wolle er sie in einem Museum ausstellen, damit möglichst viele Menschen von Tadeusz' Geschichte erfahren.

Ob in Polen bei der Familie oder im Museum: Mit der Geschichte rund um die beiden wiedergewonnenen Erinnerungsstücke möchten die Jajtes auch andere Familien inspirieren, nicht aufzugeben und nach ihren verschollenen Vorfahren zu suchen.

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