Ein Frau arbeitet mit Handschuhen an einem bunten Glas-Kunstwerk. Im Hintergrund schaut ein Mann zu.

Mit dem Museum Reinhard Ernst entsteht in Wiesbaden derzeit ein einzigartiges Ausstellungshaus. Im ersten Halbjahr 2024 soll es öffnen - deutlich später als geplant. Ein Baustellenbesuch zeigt: Das Warten lohnt sich.

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Baustellenbesuch beim Museum Reinhard Ernst

Ein Baum steht in einem Innenhof, umgeben von rostbraunen Metallelementen
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Noch stehen hier Leitern und auf dem Boden liegen meterlange Pappabdeckungen. Es riecht nach Putz und Baustelle, Handwerker geben dem Innenraum des Museums Reinhard Ernst in Wiesbaden den letzten Schliff. In der ersten Hälfte des neuen Jahres soll es fertiggestellt werden.

Einige Kunstwerke von weltweit bekannten Künstlern und Künstlerinnen stehen schon, knallbunt, riesengroß und tonnenschwer. Beim Betreten des großen weißen Granit-Museumsbaus fällt der Blick aber zunächst auf etwas anderes: Kaum drin, stehen die Besucher auch fast schon wieder draußen.

Es ist, als hätte jemand ein Stück aus dem Museumsgebäude herausgestanzt. Hohe Glaswände geben den Blick frei auf den Himmel, auf die anderen Gebäudeteile gegenüber und einen kleinen Innenhof.

Lichtdurchflutetes Atrium 

Dort stehen eine verschachtelte Stahlskulptur von Eduardo Chillida, die sich nach dem Licht zu recken scheint, und ein japanischer Ahornbaum. Das sogenannte Atrium lässt Tageslicht in alle Stockwerke des Museums dringen. 

Das sei sein Lieblingsort, sagt Museumsdirektor Oliver Kornhoff. Der Ahorn repräsentiere den Menschen, der ebenfalls Licht und Wasser brauche, und damit den Wesenskern des neuen Hauses: "Das Miteinander von Architektur, bildender Kunst und dem Menschen - das ist unser Kern." 

Liebe zum Detail 

So groß dieser Museumsbau ist – er wirkt erstaunlich luftig und leicht. Viele Gänge schließen mit Fensterfronten ab. Kein Raum gleicht dem anderen: mal lang, mal hoch. Um trotzdem die Tragfähigkeit zu erhalten, benötigte der Bau eine Menge an Stahlträgern, die einem Drittel des Pariser Eiffelturms entspricht.  

Handwerker auf der Baustelle

Unverkennbar ist die Liebe zum Detail und zu hoher handwerklicher Raffinesse vom Stifter des Museums, Reinhard Ernst. Das zeigt sich zum Beispiel am glatten Handlauf des Treppengeländers, der wie ein Tunnel in die Wand hineingearbeitet ist und beim Darübergleiten nicht eine knubbelige Verbindungsstelle spüren lässt.  

Akustikputz, damit Besucher nicht flüstern müssen

Oder am in Handarbeit in mehreren Schichten aufgetragene Stuccoputz, der am Ende mit Bienenwachs versiegelt und so noch mehr zum Glänzen gebracht wurde. Das aufwendige Verfahren braucht Zeit und spezielle Profis. Das gilt auch für den extra aufgetragenen Akustikputz in den Ausstellungsräumen. Den hat sich Reinhard Ernst explizit gewünscht, damit man sich vor den Bildern nicht im Flüsterton unterhalten muss.  

Das Material sei noch nie in einem Museum verarbeitet worden und nur aus Großraumbüros bekannt, sagt Direktor Kornhoff. "Wenn man dieses Material hier verarbeitet, dann muss es in Museumsqualität sein. Und da das noch nie jemand zuvor gemacht hatte, brachte das zum Beispiel ganz viel zeitliche Investition mit sich."

Gründe für die Verzögerung 

Dass das Museum Reinhard Ernst nicht wie geplant im vergangenen Herbst geöffnet werden konnte, sondern nun voraussichtlich erst im ersten Halbjahr 2024 erfolgt, liegt aber nicht nur an diesen speziellen "Zeitfressern". Vor allem ist sie den üblichen Problemen des Bauwesens geschuldet: allgemeiner Handwerkermangel, Rohstoffknappheit und Lieferengpässe aufgrund der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs. 

Zwei Männer stehen vor einem großformatigen, grünen Bild.

Weder Stifter Reinhard Ernst noch der befreundete japanische Star-Architekt Fumihiko Maki hätten auf der Zielgeraden aber Kompromisse bei den Qualitätsansprüchen an den Museumsbau machen wollen, so Kornhoff. "Das ist ein Herzensprojekt. Ein Museum baut und eröffnet man ein einziges Mal im Leben."

Kunst und Gebäude verbinden sich 

Die Kunstwerke, die fest im Gebäude verbaut werden, sind allerdings längst da. Etwa die goldglänzenden, säulenförmigen, fünf Meter hohen Skulpturen des Star-Bildhauers Tony Cragg, die derzeit durch schützende Tücher verhüllt sind. 

Zwei mit Filzdecken verhüllte Skulpturen, davor eine Leiter.

Oder die schillernd-bunte, 60 Quadratmeter große Glasfront der renommierten Künstlerin Katharina Grosse. Auf Einladung von Reinhard Ernst hat die Malerin zum ersten Mal mit Glas gearbeitet. Ihr aufwendiger Entwurf wurde in verschiedensten Techniken von den traditionsreichen Derix Glasstudios in Taunusstein (Rheingau-Taunus) umgesetzt, vom mundgeblasenen Glas über Airbrush-Farbe und Ätzungen.  

Millimeterarbeit beim Einbau

Wie die Herstellung sei auch die Installation im Museum extrem aufwendig gewesen, sagt Museumsdirektor Kornhoff. Man habe mit sogenannten Glasrobotern gearbeitet, kleinen Raupenfahrzeugen, die im Schneckentempo mit großen Saugnäpfen die tonnenschwere Scheibe in ihre Führung eingepasst haben. 

Innenansicht des Museumsbaus mkit weißenm Wänden, der Boden ist noch abgeklebt

Alle anderen Arbeiten hätten zu diesem Zeitpunkt eingestellt werden müssen, sagt Kornhoff. "Das war ein hochkonzentrierter Moment, da hätten Sie eine Stecknadel fallen hören können."

Immer teurer 

Die ursprünglich angesetzten 60 Millionen Euro Baukosten sind mittlerweile auf 80 Millionen geklettert. Bestritten werden sie aus dem Stiftungsvermögen der Reinhard & Sonja Ernst-Stiftung.  

Auch der laufende Betrieb soll allein durch Einnahmen, Sponsoren und Stiftungsmittel finanziert werden. "Hier steckt kein einziger Euro Steuergeld drin. Das ist die Idee, wenn wir etwas fürs Gemeinwohl bauen", betont Kornhoff. 

Ein einzigartiges Museum für Wiesbaden – und darüber hinaus 

Im ganzen Haus ist spürbar, dass ein Architekt passgenau für einen guten Freund und dessen Sammlung ein Museum gebaut hat.

Modernes Gebäude in winterlicher Dämmerung, im Vordergrund eine blütenförmige Straßenlampe

Und auch die Sammlung selbst biete etwas nahezu Einzigartiges, betont Direktor Oliver Kornhoff: "Es gibt nur ganz wenige Häuser auf der Welt, die sich ausschließlich abstrakter Kunst verschrieben haben. Und es gibt keines, was europäische abstrakte Kunst nach 1945, amerikanische und japanische abstrakte Kunst als Schwerpunkte hat."

Klar ist nach diesem kleinen Baustellenbesuch: Das Warten auf diese besondere Sammlung und das sie beherbergende außergewöhnliche Gebäude lohnt sich. 

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