Street-Art in Kassel

Kassel kann man künftig mit Hilfe von Street-Art entdecken. Ein kostenloser Guide mit sechs Touren dokumentiert die Vielfalt an den Wänden der Stadt. Dazu schafft er lokalen Akteuren ein Denkmal und zeigt, wie Graffiti die Identifikation mit dem eigenen Stadtteil stärkt.

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Kassel: neuer Spaziergangsführer für coole Street-Art

Street-Art
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Das Wandbild an der Weserspitze ragt 25 Meter in die Höhe. Es zeigt eine Alltagssituation: Menschen stehen an einer Haltestelle, die Straßenbahn der KVG fährt gerade ein. Das Bild strahlt in einem goldenen Licht.

Ein Mann mit dunklem Schnauzbart spricht in sein Handy, im Wartehäuschen steht eine Grünpflanze im Topf und eine Gitarre im Koffer. Ein Junge mit Skateboard trägt eine afrikanische Maske, ein anderer einen Schulranzen. Am Boden picken Tauben. 

Der Stadtteil Wesertor, in dem von Künstler Erick die Szene an die Wand gemalt wurde, gilt nicht gerade als Vorzeigeviertel der Stadt. Das idyllische Motiv voller positiver Energie ist fast ein Gegenentwurf zum eher tristen Bild vom Quartier. 

"Street-Art to go" zeigt Vielfalt der Kasseler Szene 

Dieses "Mural", wie großflächige Wandbilder im Fachjargon heißen, ist ein Motiv aus dem neuen "Street-Art to go"-Führer, der jetzt erscheint. Der kompakte Guide zeigt auf 148 Seiten die bunte Vielfalt der Street-Art in Kassel.

Neben einem geschichtlichen Einblick in die Welt von Graffiti, Street-Art und Muralismus, findet man zwei Essays, um tiefer in das Thema einzutauchen. 

Fülle der Werke auf Spaziergängen entdecken 

Kernstück des handlichen Führers sind sechs Touren durch die Stadt, auf denen man in ein bis zweieinhalb Stunden die Fülle der Werke entdecken kann. 

"Unser Ziel ist es, Seiten von Kassel erlebbar und wahrnehmbar zu machen, die sonst im Alltäglichen untergehen", erklärt Moritz Micalef, Referent für Kunst und Öffentlichkeitsarbeit bei der cdw-Stiftung.  

Moritz Micalef hat dunkelgraue, zu einem Zopf gebundene Haare und einen Vollbart. Er steht an einer Wand aus Backsteinen.

Die Stiftung ist Herausgeberin des ungewöhnlichen Stadtführers, der nach "Beuys to go" von 2020 bereits der zweite dieser Art ist. Für das Thema Graffiti hat die Stiftung bereits mehrere Audio-Guides entwickelt, um für mehr Akzeptanz dieser urbanen Kunstform zu werben.

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Was ist die cdw-Stiftung? 

Die Stiftung wurde von den SMA-Gründern ins Leben gerufen und setzt sich für Projekte in Kassel und Nordhessen, aber auch auf der ganzen Welt ein. Neben Kunst und Kultur sind auch "Entwicklungszusammenarbeit und Naturschutz" Schwerpunkte ihrer Arbeit. SMA ist spezialisiert auf Photovoltaik-Technik und stellt Wechselrichter her. Der Hauptsitz des Unternehmens ist in Niestetal (Kassel). 

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Spaziergänge zur Kunstvermittlung 

Neben dem Banksy-Experten Ulrich Blanché, der Berliner Kuratorin Anja Lückenkemper und dem Kasseler documenta-Experten Harald Kimpel ist Gerrit Retterath einer der Autoren des Buchs. Der 36-Jährige ist Soziologe und bekennender Interessenvertreter für Straßenkunst.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich theoretisch mit der urbanen Kunst und verfolgt die Szene. Er selbst habe sich diese Nische suchen müssen, weil er künstlerisch ziemlich untalentiert sei, gibt er lachend zu. 

Heute versteht er sich als Vermittler zwischen Subkultur und der Welt außerhalb dieser Subkultur. So solle der kompakte Guide urbane Kunst vermitteln und Menschen erreichen, die mit dem Thema bisher noch nichts zu tun hatten.  

Gerrit Retterath

Zwei Touren zum Einstieg ins Thema 

Retterath hat fünf der sechs Touren konzipiert. Zum Einstieg empfiehlt er die ersten beiden Touren. Zunächst erkundet man das für die Street-Art bekannte Schillerviertel. Hier haben die Kolor Cubes, eine international tätige Graffiti- und Kunstvermittlung, für bunte Wände gesorgt.  

Allen voran Dustin Schenk und Pepe Siebenzahl, die selbst malen, aber auch internationale Gäste nach Kassel einladen, die Wände gestalten und so zur Vielfalt der Street-Art-Kunst beitragen. 

Kunst von den Kolor Cubes in der Goethestraße.

Die zweite Tour startet im Wesertor und führt durch die Nordstadt. Hier engagiert sich der Verein Urbane Experimente, ähnlich wie die Kolor Cubes - allerdings auf lokaler Ebene.  

Für das Projekt "Chapo" engagieren sie Künstler und Künstlerinnen aus Kassel, die hier ihre ersten Fassaden überhaupt bemalen. In diesem Projekt ist auch das Wandbild an der Weserspitze entstanden. 

Außerdem bietet der Verein Workshops an, um Menschen von der Kunst zu begeistern und ein öffentliches Bewusstsein für diese Kunstform zu schaffen.

Lokale Künstler als Teil des Guides 

Neben den Kolor Cubes und den Urbanen Experimenten sind die Werke weiterer, lokaler Akteurinnen und Akteure Teil des Street-Art-Guides. Bahnreisende begegnen einem weiteren bereits, wenn sie am Bahnhof Wilhelmshöhe von den Gleisen in Richtung Bahnhofshalle laufen.  

Kunst von Jackules im Bahnhof Wilhelmshöhe

Denn hier kann man die großflächige Kunst von Jackules bestaunen. Der Kasseler ist für seine photorealistischen Arbeiten bekannt, die immer einen philosophischen Hintergrund haben. Seine Kunst ist im Stadtbild äußerst präsent. 

Das gilt auch für die Wandbilder von Friedel Deventer, einem Pionier der großflächigen Fassadenkunst. Mehr als 50-mal hat sich der 76-Jährige an Wänden der Stadt verewigt. Er gelte als Landschaftsmaler auf Fassaden, sagt Retterath.

Die Fassadenkunst von Friedel Deventer an einer Trafostation im Stadtteil Vorderer Westen zeigt eine Gewächshausszenerie mit Palmen und einem Papagei.

Problematische Grenze zum Vandalismus 

Neben denen, deren Namen bekannt sind, widmet sich der Führer auch illegalen Arbeiten, beispielsweise auf den Wänden am Finanzamt nahe der Fulda.  

Micalef sieht hier durchaus die problematische Grenze zum Vandalismus, dennoch sei er stolz darauf, auch illegale Arbeiten Teil des Buches werden zu lassen.  

Immerhin passe das zur zeitgenössischen Kunst, so der Kulturreferent, da diese vandalistische Ansätze wähle, um einen Diskurs anzuschieben. Street-Art biete dazu Identifikationsansätze - gerade in Problemvierteln.

Street-Art fördert Stolz auf den eigenen Stadtteil 

Zweimal sei er an der Weserspitze gewesen, um Fotos für den Guide zu machen. Beide Male seien Schulkinder am Mural mit der Haltestellen-Szene stehen geblieben und hätten lächelnd das Bild betrachtet, erinnert sich Micalef.  

Das Motiv spiegele die Haltung dem Stadtteil gegenüber wider, so Micalef, und ermögliche einen gewissen Stolz auf das eigene Viertel. "Diesen Effekt erreicht Street-Art wie keine andere Kunstform", erklärt er.  

Und egal ob Menschen aus dem Quartier, Kasseler und Kasselerinnen oder Besucher der Stadt die Werke besichtigen wollen - diese Kunst ist nicht davon abhängig, wer man ist oder wie viel Geld man hat. Denn die Bilder in der Freiluft-Galerie sind kostenlos, ebenso wie der Street-Art-Guide.

Auf der Seite der cdw-Stiftung sind sämtliche Auslagestellen aufgeführt. Hier gibt es den Führer auch als kostenlosen Download. Dazu kann man ihn mit der ISBN-Nummer im Buchhandel bestellen.

Weitere Informationen

Live-Spaziergänge bei der Kasseler Museumsnacht

Bei der Kasseler Museumsnacht kann man die Kasseler Street-Art auf zwei von Gerrit Retterath geführten Routen kennenlernen und die Kasseler Nordstadt und das Schillerviertel erleben. Dazu gibt es die Möglichkeit, sich mit Dustin Schenk von Kolor Cubes und Marcel De Medeiros von Urbane Experimente e. V. auszutauschen.

Die Termine:

  • 02.09.2023 von 22 bis 24 Uhr: Spaziergang "Das Schillerviertel als Ort geballter Street-Art" mit Besuch im Workspace von Kolor Cubes. Treffpunkt: 22 Uhr vor dem Wandbild "Frieden" von Kolor Cubes (Gießbergstraße 30, 34127 Kassel).
  • 03.09.2023, von 13 bis 15 Uhr: Spaziergang "Der bunte Norden - von Bauklötzen und Goldfischen" mit Besuch beim Raum für urbane Experimente von Urbane Experimente e. V. Treffpunkt: 13 Uhr vor dem Wandbild "The Last Block" von Aliaa Abou Khaddour  (Ostring 51, 34125 Kassel).
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