Gute-Laune-Spritze, Dienstwagen-Zuschuss oder Renten-Aufbesserung: In der AWO-Affäre sollen millionenschwere Schein-Minijobs vergeben worden sein. Profitiert haben wohl auch die 86-jährige Mutter von Ex-Geschäftsführer Richter und die Ehefrau von Frankfurts OB Feldmann.

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AWO soll Minijobs zum Schein vergeben haben

Ein Schild der AWO vor einem Haufen Geld
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Geld gegen Arbeit, dieses Prinzip schien bei den AWO-Kreisverbänden Frankfurt und Wiesbaden nicht immer gegolten zu haben. Das Bild, das durch überhöhte Gehälter und Honorare sowie Luxusdienstwagen und -reisen entstand, wird durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt um eine neue Facette reicher: den Minijob.

Insgesamt sind die Ermittler nach hr-Informationen auf rund 130 Minijobs gestoßen. Die Minijobs waren Teil des Systems "Teile und Herrsche", das die ehemaligen AWO-Funktionäre um sich aufgebaut haben sollen. Damit sollten langjährige Mitarbeiter mit einem steuerfreien Zusatzeinkommen belohnt sowie gute Laune unter den Mitarbeitern erzeugt werden. Dabei soll auch abkassiert worden sein.

Auch die Dimension, in der die Frankfurter AWO-Führungsriege um das Ehepaar Richter Jobs für monatlich 450 Euro vergeben haben soll, ist offenbar größer als bislang bekannt. Das geht aus Informationen aus Ermittlerkreisen hervor, die dem hr und anderen Medien vorliegen.

Minijobs in Höhe von 1,7 Millionen Euro vergeben

Demnach sollen die AWO-Kreisverbände Frankfurt und Wiesbaden und von ihnen abhängige gemeinnützige Organisationen zwischen 2015 und 2019 Minijobs in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro vergeben haben. In vielen Fällen dürfte es sich demnach um steuerfreie Scheinbeschäftigungsverhältnisse gehandelt haben.

Strafrechtlich relevant sind nur die letzten fünf Jahre vor Beginn der AWO-Ermittlungen im Jahr 2019. Doch die Ermittler vermuten, dass Minijobs bei der AWO als Teil der Vettern- und Günstlingswirtschaft bereits viel früher zum Einsatz kamen. Der älteste fragwürdige Minijob ist aus dem Jahr 2004.

Minijobberin mit 86 Jahren

Angehörige der ehemaligen AWO-Chefs Hannelore und Jürgen Richter sollen besonders häufig mit Minijobs bedacht worden sein. So soll die Mutter von Jürgen Richter im Jahr 2008 mit 78 Jahren als Krankenschwester auf der Basis einer Teilzeitstelle in einem Wiesbadener Altenhilfezentrum angefangen haben. Sie schied 2016 im Alter von 86 Jahren als Werberin des AWO-Sozialprojekts "Alltagsengel" aus ihrem Minijob aus.

Auf Anfrage bestreitet der Anwalt des Ehepaars Richter, Bernhard Lorenz, eine Beschäftigung von Richters Mutter im Altenhilfezentrum. Sie habe als "staatlich geprüfte Säuglings- und Kinderkrankenschwester" bis zu ihrer Verrentung als "Fachpflegekraft im Robert-Krekel-Haus" gearbeitet. Später habe sie zunächst ehrenamtlich, dann geringfügig beschäftigt, die Ausgabe der Pflegemittel übernommen. "Beim Projekt Alltagsengel war sie nicht beschäftigt", so Lorenz. 

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Früherer AWO-Chef Richter wegen falschen Doktortitels verurteilt

Weil er über Jahre hinweg unberechtigt einen Doktortitel geführt hat, ist der frühere Geschäftsführer der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt (AWO), Jürgen Richter, am Dienstag vom Amtsgericht Frankfurt zu einer Geldstrafe von 8.000 Euro (100 Tagessätze) verurteilt worden.

Der 65-Jährige habe den akademischen Titel unter anderem in seinen Personalausweis und in den Reisepass eintragen lassen, hieß es in dem Urteil. Auch im Gerichtssaal hatte sich Richter, der den Vorwurf bestreitet, als "Doktor" bezeichnen lassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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Abendliche Sicherheitsspaziergänge als Minijob

Anders als von den Ermittlern vermutet, sei auch bei der Vergabe an weitere Angehörige alles mit rechten Dingen zugegangen, so der Anwalt. So habe der Bruder von Hannelore Richter, der noch immer als "Migrationsberater" bei der AWO Wiesbaden arbeitet, seine Schwester "im Rahmen des Flüchtlingsprojekts in Migrationsfragen beraten". Der Bruder von Jürgen Richter habe, da er in der Nähe des AWO-Pflegeheimes wohnte, "abendliche Rundgänge zur Steigerung der Sicherheit des Konrad-Arndt-Hauses vorgenommen."

Insgesamt stießen die Ermittler im Umfeld des Ehepaars Richter auf acht Minijobber. Noch zwei mehr fanden sie im Umfeld von Murat Burcu. So soll der ehemalige Geschäftsführer der AWO Wiesbaden kurz nach seinem Einstieg in Wiesbaden einen Minijob bei der AWO Frankfurt bekommen haben. Möglicherweise, um seinen Dienstwagen zu finanzieren.

Zumindest schließen das die Ermittler aus dem internen Codewort "XF", mit dem die Zahlungen zwischen den beiden Kreisverbänden verrechnet wurde: Dies entspricht der Typenbezeichnung seines Jaguars. Auf hr-Anfrage bestreitet Burcu einen Zusammenhang zwischen Minijob und Dienstfahrzeug. Dafür führt er zahlreiche Belege an, die zeigen, dass er im Rahmen seines Minijobs tatsächlich gearbeitet hat. Welches Auto er vor zehn Jahren gefahren habe, sei seine Privatsache, so Burcu.  

Nach Abendsitzungen noch aufgeräumt

Die FAZ hatte Mitte April bereits über die Teile der Minijob-Ermittlungen geschrieben. Darunter auch über den der SPD-Fraktionsgeschäftsführerin im Frankfurter Römer, Ursula Busch. Neben ihrer Tätigkeit als Assistentin von Hannelore Richter (2008 bis 2016) hatte sie auch einen Minijob in einem Pflegeheim der AWO Wiesbaden.

Der entsprechende Verein "Freunde und Förderer des Robert-Krekel-Hauses" bekam von der AWO Wiesbaden jährlich bis zu 123.000 Euro, um damit den Bewohnern Gutes zu tun. Bis zu 30 Minijobber wurden daraus vom Förderverein bezahlt. Offiziell sollten sie für die alten Menschen da sein, ihnen helfen.

Der FAZ erklärte Busch, sie sei von Hannelore Richter gebeten worden, im Rahmen ihres Minijobs, "zusätzliche Pflichten für die AWO im Robert-Krekel-Haus zu übernehmen". Entsprechend habe sie im Anschluss an Abend- und Wochenendveranstaltungen "das Aufräumen sowie die Sicherung der Räume und das Abschließen übernommen".

Auf hr-Fragen, ob dies der sozialen Zweckbestimmung entsprochen habe, ging die SPD-Politikerin bislang nicht ein. Stattdessen verwies sie auf ein Interview mit der Frankfurter Rundschau, indem sie Wert auf die Feststellung legt, dass sie bei der Staatsanwaltschaft nicht als Beschuldigte, sondern als Zeugin geführt werde.

Ermittlungen wegen Bestechlichkeit

Auch der Wiesbadener Sozialdezernent Christoph Manjura (SPD) gehört zu dem Kreis der Minijobber, den sich die Ermittler genauer angeschaut haben. Er soll als Student 2012 einen Minijob von Hannelore Richter bekommen haben. Als er 2016 ihr Referent geworden war, sei dieser "einfach so weitergelaufen", erklärte er der FAZ. Dem hr gegenüber wollte er keine Stellungnahme abgeben, da die "Kooperation mit den Ermittlern" an erster Stelle stehe. Gegen Manjura ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts der Mandatsträgerbestechlichkeit.

Auch die Ehefrau von Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) soll einen Minijob beim Förderverein gehabt haben. Den Ermittlungen zufolge bekam sie den Minijob 2014, nachdem sie sich für die Leitung der deutsch-türkischen Kita Dostluk beim Kreisverband Wiesbaden beworben hatte. Neben einem bezahlten Praktikum auf der Basis eines Erzieherinnen-Gehalts soll sie neben dem Minijob im Altenheim parallel noch ihr Studium abgeschlossen haben.

Weder Zübeyde Feldmann noch ihr getrennt lebender Ehemann sind bislang auf Fragen des hr zu diesem Minijob eingegangen. Frankfurts Oberbürgermeister wiederholte, was er bereits seit Beginn der AWO-Affäre erklärt: "Ich habe von den Details des Arbeitsvertrages meiner Frau keine Kenntnis gehabt und darauf auch keinen Einfluss genommen. Die Vorgänge bei der AWO sind nicht in meinen Einflussbereich und meiner Zuständigkeit."

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