Blick ins Atommüll-Zwischenlager Biblis

Noch ist ein Endlager nicht in Sicht: Im Atomkraftwerk Biblis lagern noch immer 108 Castor-Behälter mit hochradioaktivem Abfall. "Alles sicher", sagt die Betreiberfirma. Besuchern wird dennoch geraten, lieber Abstand zu halten.

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Besuch im Atommüll-Zwischenlager Biblis

Absperrung und Warnschild "Kontrollbereich - radioaktiv"
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Sie sind rund sechs Meter hoch und zweieinhalb Meter im Durchmesser: 108 Castor-Behälter lagern im Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle im südhessischen Biblis. Wie aktiv ihr Inhalt ist, lässt sich beim Vorbeigehen erahnen: Deutlich ist die Wärme zu spüren, die aus den orangefarbenen und blauen Behältnissen strömt. Sie entsteht beim Zerfall des hochradioaktiven Materials. Mithilfe dieser Wärme hat man mehr als drei Jahrzehnte lang Dampf erzeugt, Turbinen angetrieben, Strom generiert. Das ist Geschichte.

Rückbau bis 2032 geplant

Seit elf Jahren ist das ehemalige Kernkraftwerk in Biblis jetzt außer Betrieb. Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima hatte 2011 das endgültige Aus der Atomkraft in Deutschland eingeläutet. Die Reaktorblöcke Biblis A und B waren wie sechs weitere Kernkraftwerke zunächst für ein von der Regierung Merkel angeordnetes dreimonatiges Moratorium vom Netz gegangen – und nie wieder angeschaltet worden.

Inzwischen wird das Kraftwerk von der Betreiberfirma RWE aufwändig zurückgebaut. Bis 2032 soll dieser Prozess abgeschlossen sein. Die Brennstäbe werden dann vermutlich noch da sein, nur wenige Meter von den ehemaligen Reaktorblöcken entfernt in einem 92 mal 38 Meter großen Betonklotz.

Dosimeter misst Strahlungsbelastung

"Die Behälter sind sicher", beteuert Genevieve Mulack. Sie ist Pressesprecherin für die BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung und führt an diesem Tag ein hr-Team nach einem aufwändigen Sicherheitsprozedere mit mehreren Schleusen und Zugangschecks durch das Lager. Das privatrechtliche Unternehmen, das zu hundert Prozent dem Bund gehört, ist seit einigen Jahren für sämtliche Zwischenlager in Deutschland verantwortlich.

Trotz der Beteuerung erhalten die Besucher die Anweisung, sich dicht an der Wand, möglichst weit weg von den Castoren, zu halten. Vor dem Durchschreiten der letzten Schleuse bekommt jeder einen sogenannten Dosimeter umgehängt. Das kleine Gerät misst die Alpha- und Gammastrahlung in der Umgebung. Zu Beginn zeigt es den Wert 0.000 an.

Auch Castoren aus Sellafield in Biblis

In der Castoren-Lagerstätte wirkt auf den ersten Blick alles aufgeräumt. Ein Hebekran ruht unter der Decke des Vorraums zum eigentlichen Lager, das hinter einer gigantischen Schiebetür verborgen liegt. Im Boden erkennt man die Schienen, auf denen die Behälter transportiert werden können.

Vorraum mit Hebekran

Die Lagerstätte verfügt über insgesamt 135 genehmigte Stellplätze für Castoren. Von den 108 Behältern, die sich hier befinden, wurden sechs aus der Wiederaufbereitungsanlage im britischen Sellafield hierher gebracht. "Sie wurden vor ihrem Abtransport und auch nach ihrer Ankunft bei uns intensiv geprüft und sind mit zwei Deckeln versiegelt", betont Mulack.

BUND kritisiert mangelnde Sicherheit

Einer, der solchen Beteuerungen misstraut, ist Werner Neumann, Physiker und Landesvorstandsmitglied beim Umweltschutzverband BUND. Gerade die Castoren aus Sellafield bereiten ihm Kummer. Es gebe Hinweise auf schlecht sitzende Deckel, falsch angebrachte Schrauben und verdrehte Tragekörbe für Brennelemente, sagte er kürzlich dem hr.

Mulack weist das zurück. "Radioaktivität ist gefährlich", sagt die Sprecherin. "Deshalb steht Sicherheit bei uns immer an oberster Stelle." Neben regelmäßigen Überprüfungen seien alle Castoren an ein Sicherheitssystem angeschlossen, das ihre ständige Überwachung gestatte.

Der BUND macht sich dennoch Sorgen. "Bis heute gibt es kein Konzept, was geschehen soll, wenn die Deckel undicht werden", sagt Neumann. So fehle es beispielsweise an einer sogenannten heißen Zelle, in der man defekte Castoren sicher reparieren könnte.

Stimmt, räumt Mulack ein, die gebe es nicht. Es existiere aber ein Reparaturkonzept, das auch ohne eine solche Kammer auskomme. Dieses Konzept sei genehmigt, betont die Sprecherin mehrfach. Bislang sei in all den Jahren noch keiner der deutschlandweit rund 1.400 Behälter in Zwischenlagern undicht geworden.

Zweite Betonwand soll für mehr Sicherheit sorgen

Auch Bedenken über mögliche Terroranschläge, Flugzeugabstürze oder Naturkatastrophen zerstreut die Sprecherin. "Alle Zwischenlager wurden einem Stresstest unterzogen, der das untersucht hat." Zum Schutz trage auch eine zweite Wand aus Spezialbeton um das Lager herum bei. Vor sieben Jahren wurde sie errichtet, alle Zwischenlager in Deutschland würden derzeit damit ausgetattet.

Genehmigt ist das Lager bis 2046, spätestens dann müssten die Castoren eigentlich in ein Endlager gebracht werden. Ein solches ist aber bis heute nicht in Sicht, nach einem möglichen Standort wird mit Hochdruck gesucht. Nuklear-Experte Michael Sailer vom Öko-Institut Darmstadt fürchtet daher, dass die Castoren noch im Jahr 2080 in Biblis stehen werden.

Längere Lagerzeit nicht ausgeschlossen

"Wir wissen, dass es da eine zeitliche Lücke gibt", sagt Mulack. Sie gehe aber fest davon aus, dass bis 2031 ein Endlager zumindest benannt werde. Derzeit habe man Forschungsprogramme laufen, die nachweisen sollen, dass das Zwischenlager auch über 2046 hinaus genehmigungsfähig ist.

Und wenn nicht? Der BUND will jedenfalls das öffentliche Bewusstsein für das Atommüllproblem schärfen. "Die Thematik muss wieder auf den Tisch", fordert Neumann. "Die Sicherheitsdebatte kann nicht in Hinterzimmern geführt werden."

Mit einem Mikrosievert Belastung wieder nach draußen

Nach etwa zehn Minuten vor den Castoren verlässt die Besuchergruppe das Lager wieder. Personen und Gegenstände werden auf eine mögliche Kontamination überprüft. Schuhe, Hände, Kameras. "Alles in Ordnung", beruhigt der zuständige Techniker.

Dann der Blick auf das Dosimeter. Das Display zeigt jetzt den Wert 0.001 an. "Das entspricht einem Mikrosievert", erläutert der Techniker. Laut Bundesumweltministerium beträgt allein die natürliche Strahlenbelastung, der man im Jahr ausgesetzt ist, je nach Standort das Ein- bis Zweitausendfache. Ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem.

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