Viele Fahrradfahrenden auf einer Straße, die teils in die Kamera winken.

Drei Jahre nach dem rassistischen Angriff auf einen Taxifahrer in Kassel ist immer noch kein Täter gefasst. Auf einer Kundgebung haben Demonstranten an den Fall erinnert und finanzielle Entschädigung gefordert. Der Hessische Opferfonds sieht sich nicht zuständig.

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Drei Jahre nach rassistischem Überfall: Demonstration für Minicar-Fahrer in Kassel

Auf einer grünen Wiese stehen einige Menschen und ein Gefährt mit einem Banner auf dem "Solidarität für Efe" geschrieben steht.
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Eine Taxifahrt endet am 21. Juni 2020 für den Fahrer B. Efe (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt) in Kassel mit einem Stich in den Hals, begleitet von rassistischen Beleidigungen. Der heute 50-Jährige überlebt die Tat mit schweren Verletzungen.

Später leitet die Staatsanwaltschaft Kassel Ermittlungen wegen "versuchtem Mord aus niederen Beweggründen" gegen Unbekannt ein. Die Ermittlungen werden im Dezember 2020 eingestellt, da sich kein Verdacht erhärten lässt. Auch drei Jahre später fehlt von dem Täter jegliche Spur.

Um ihre Solidarität mit dem Betroffenen zu zeigen, versammelten sich am Mittwochabend, dem dritten Jahrestag des Angriffs, rund 150 Menschen in der Kasseler Nordstadt. Sie zogen anschließend in einem Auto- und Fahrradkorso durch die Stadt.

Opfer leidet auch Jahre nach der Tat noch an den Folgen

Der Betroffene B. Efe war bei der Veranstaltung auch selbst vor Ort. Drei Jahre nach dem Angriff kann er die Nacht, die sein Leben verändern sollte, immer noch nicht vergessen.

B. Efe leidet seither unter Angst- und Schlafstörungen, wie Kim Schopert von der Unterstützungsgruppe B. Efe 09 im Gespräch angibt. Rund um den Jahrestag sei die Belastung für ihn besonders hoch.

Auch deshalb konnte B. Efe auf der Kundgebung nicht persönlich das Wort ergreifen. Seine Situation stellte er in einer vorab aufgenommenen Audiodatei dennoch dar.

Hilfe für Opfer in Hessen: Fonds soll Betroffene unterstützen

Die Unterstützergruppe B. Efe 09 setzt sich auch für die finanzielle Unterstützung des Überlebenden ein - bislang allerdings erfolglos. Dabei gibt es in Hessen seit rund anderthalb Jahren die Möglichkeit für Opfer von schweren Gewalttaten, Geld aus einem eigens dafür gegründeten Opferfonds zu beantragen.

Offenkundig sieht der Beirat des Hilfsfonds, den der Landtag unter anderem vor dem Hintergrund des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau und des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke eingerichtet hatte, im Fall von B. Efe keine Grundlage für eine Inanspruchnahme gegeben.

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„Wäre ich gestorben, würde wenigstens meine Familie Unterstützung bekommen“ B. Efe B. Efe
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Sein Antrag wurde im Mai dieses Jahres abgelehnt. Zu den näheren Hintergründen äußerte sich der Landtag nicht. Es gelte die Verschwiegenheitspflicht, hieß es auf Anfrage des hr.

"Wäre ich gestorben, würde wenigstens meine Familie Unterstützung bekommen", sagte B. Efe in der auf der Kundgebung abgespielten Aufzeichnung zu der Ablehnung.

Änderung im hessischen Opferfonds wirft Fragen auf

Unterstützerin Schopert berichtet, B. Efe sei nicht nur psychisch, sondern auch finanziell seit der Tat stark belastet. Er habe das Gefühl, um die Anerkennung der schweren Folgen des Angriffs kämpfen zu müssen. Die Gruppe versuche, den 50-Jährigen zu unterstützen, wo es geht, damit sich B. Efe um seine psychische Gesundheit kümmern könne.

Der Fonds richtet sich explizit an Opfer von "terroristischen Anschlägen und schweren Gewalttaten von landesweiter Bedeutung". Der Empfängerkreis, der den Kriterien zufolge Anspruch auf Unterstützung hat, wurde im Jahr 2022 neu definiert.

Während hier zuvor indirekt auf Straftaten wie "Körperverletzung" und "Mord" verwiesen wurde, findet sich nun lediglich ein Verweis darauf, dass "insbesondere" Straftaten, wie "erpresserischen Menschenraub" sowie "Geiselnahmen" einen Förderfall begründeten.

Dass es sich bei der neuen Definition um eine Einschränkung handele, sieht der Landtag nach Aussage einer Sprecherin nicht so. Im Bericht des Vorsitzenden des hessischen Opferfondsbeirats von Ende Januar 2022 findet die oben genannte Änderung keine Erwähnung.

Massive Kritik an Richtlinienänderung des hessischen Opferfonds

Der Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt (VBRG) mit Sitz in Berlin findet durchaus, dass eine solche "klammheimliche Änderung" erwähnungsbedürftig sei. Sie führe dazu, "dass Überlebende und Hinterbliebene schwerer rassistischer und rechter Gewalttaten keine Entschädigungen aus dem Fonds erhalten werden".

So geschehen im Fall B. Efe, wie VBRG-Geschäftsführerin Heike Kleffner sagt. Betroffene wie der 50-Jährige würden "erneut vom Rechtsstaat und seinen Organen im Stich gelassen".

Der VBRG hatte im Jahr 2021 gemeinsam mit der Initiative 19. Februar Hanau mit einer Petition auf die Schaffung des Fonds hingewirkt. Mehr als 50.000 Unterstützer hatten die Petition unterschrieben.

"Komplexes System" überfordert Betroffene

Auch auf Bundesebene hat sich B. Efe um Unterstützung bemüht. Hier stellte er einen Antrag auf Grundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz. Sein "Grad der Schädigungsfolgen" wurde nach Informationen des Hessischen Rundfunks bisher jedoch als zu niedrig eingestuft, um Anspruch auf eine Rente zu haben. Mit seinem Anwalt hat B. Efe nach eigener Angabe Klage gegen die Entscheidung eingereicht.

"Es handelt sich um ein sehr voraussetzungsvolles und komplexes System, welches für Betroffene oft nicht durchschaubar ist", sagt Expertin Christiane Löffler von der Beratungsstelle Response für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.

Tat soll durch Gedenktafel im Bewusstsein der Stadt bleiben

Seit der Tat traut sich B. Efe nicht mehr allein in die Innenstadt, auch zu dem Ort des Verbrechens kann er heute nicht mehr gehen, wie Schopert berichtet. Hintergrund ist auch, dass der Täter bisher noch nicht gefasst werden konnte.

An den Angriff soll bald eine Informationstafel in der Friedrich-Ebert-Straße erinnern. Dort, vor dem Club 22, stieg damals der spätere Täter in das Taxi von B. Efe ein.

Im Juli soll es einen ersten Termin mit der Stadtplanung zur Umsetzung geben. Die Tafel soll zum Lern- und Reflektionsort werden, so Schopert. Dort sollen auch Kontaktdaten für Betroffene von rechter Gewalt aufgeführt werden.

Der Ortsbeirat des Stadtteils unterstützt das Projekt ebenso wie der zukünftige Oberbürgermeister der Stadt Kassel, Sven Schoeller (Grüne). Er nahm auch an der Kundgebung am Mittwoch teil, anders als sein noch amtierender Vorgänger Christian Geselle (unabhängig). Dieser habe sich laut B. Efe nie bei ihm oder dem Unterstützerkreis gemeldet.

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