Drei Tauben

Tauben gehören zum Stadtbild dazu, doch viele Leute sind genervt von ihnen. Gudrun Stürmer und das Stadttaubenprojekt Frankfurt setzen sich für die zunehmend verwahrlosten Vögel ein.

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Hilfe für Stadttauben – Auszeichnung für Tierfreundin

hessenschau vom 19.10.2023
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Es ist dunkel und still, der Taubenschlag in Frankfurt-Ginnheim ist leer. Denn die 80 Tauben, die hier leben, fliegen hinaus, sobald Menschen hereinkommen. Ab und zu kommt eine ans Fenster, schaut, ob die Luft rein ist, und fliegt wieder weg, sobald sie einen Menschen sieht. Gudrun Stürmer, eine Frau von 70 Jahren, steht mitten im Taubenschlag. "Man muss sie nicht lieben", sagt sie: "Aber man muss Respekt vor ihnen haben. Respekt vor einem Leben."

1982 fand die Frankfurterin am Hauptbahnhof eine verletzte Taube. Kein Tierheim wollte den Vogel damals aufnehmen. Das hat sie erschrocken, wie sie berichtet: "Ich habe gemerkt: Man macht da also einen Unterschied. Das ist kein Hund, keine Katze. Das ist eine Taube."

Nicht jeder hat ein Herz für Tauben

Also kümmerte sich Gudrun Stürmer selbst um den Vogel. Aus einer Taube wurden hunderte, aus einer privaten Hilfsaktion für ein einzelnes Tier wurde ein Verein: das Frankfurter Stadttaubenprojekt. Inzwischen engagiert sie sich seit über 40 Jahren für die Vögel.

Gudrum Stürmer im Taubenschlag

Aber nicht jeder hat ein Herz für Tauben. Im Gegenteil, die Tiere haben einen schlechten Ruf: Vorurteile, zum Beispiel dass sie übermäßig viele Krankheiten übertragen würden, halten sich hartnäckig. Und so geht es weiter: Sie machen Dreck, sie fressen unseren Müll, sie sind viele. Auch der Spitzname "Ratte der Lüfte" steht für den schlechten Ruf des Vogels.

Dabei könnte man das Imageproblem angehen: Denn Tauben sind nicht nur sozial - sie leben in lebenslangen, monogamen Partnerschaften. Sie sind auch extrem clever.

Das Problem ist menschengemacht

Bei einem Versuch der University of California fand man 2015 heraus, dass man Tauben darauf trainieren kann, mit hoher Erfolgsquote Brustkrebs auf Röntgenbildern zu erkennen. Ein Jahr zuvor hatte ein Experiment an einer japanischen Universität gezeigt, dass die Tiere in der Lage sind, Kunstwerke verschiedener Künstlerinnen und Künstler zu unterscheiden. Und sicher jeder hat schon mal bewundert, was Brieftauben zu leisten imstande sind.

Wenn man Gudrun Stürmer fragt, wie es den Tauben in Frankfurt geht, platzt es aus ihr heraus: "Schlecht! Sehr schlecht!"

Denn: Anders als Wildvögel, die ein- oder zweimal im Jahr brüten, legten Stadttauben das ganze Jahr lang Eier. Nach Angaben des Deutschen Tierschutzvereins ist das ein Ergebnis aus der Zucht, das Problem sei also menschengemacht.

Stadttauben seien keine Wildtiere, sondern die Nachfahren von Haustieren. Dadurch entstehe eine Überpopulation, für die es keinen artgerechten Lebensraum gebe.

Augsburger Modell als Lösung

Viele Stadttauben seien unterernährt, sagt Taubenkümmerin Stürmer. Aus Hungersnot hielten sie sich in der Nähe von Menschen auf, um Essensreste zu ergattern. Doch die Lebensmittel vertrügen sie häufig nicht, sie würden krank und bekämen Durchfall.

Auch der Verkehr stellt eine Gefahr für die Tiere dar. Auf einigen Frankfurter Straßen gehören Überreste toter Vögel fast zum Stadtbild dazu.

Überreste einer überfahrenen Taube

Eine Lösung für das Taubenproblem können betreute Taubenschläge sein. Hier werden Tauben artgerecht gefüttert, haben einen sicheren Ort zum Leben, und ihre Population wird begrenzt.

In Frankfurt kümmert sich das Stadttaubenprojekt rund um Gudrun Stümer um diese Schläge. "Wir tauschen zum Beispiel ihre Eier gegen Gipseier aus", sagt sie. Das Prinzip der betreuten Taubenschläge nennt sich Augsburger Modell. Auch andere hessische Großstädte, zum Beispiel Wiesbaden, folgen ihm.

Stadt Frankfurt will sich um Tauben kümmern

Und damit zurück zum Ginnheimer Taubenschlag: Dort gehört ein Stück Dachgeschoss den Vögeln. Hinein und heraus kommen sie durch ein offenes Fenster. An den Wänden sind kleine Holzvorrichtungen, darauf liegen Vogelnester mit Ei-Attrappen. Auf dem Boden stehen Näpfe gefüllt mit Wasser.

Auch Taubenkot liegt auf dem Boden, das sei nun mal so, sagt Gudrun Stürmer. Es stinkt allerdings nicht. Gereinigt wird der Schlag von Aktiven aus dem Verein.

Der Taubenschlag in Frankfurt-Ginnheim

Künftig will die Stadt das Taubenproblem selbst in die Hand nehmen. Im Sommer kündigte der Magistrat an, sich in Zukunft federführend um die Vögel kümmern zu wollen. Auch sie wollen mit Taubenschlägen arbeiten. Einmalig 150.000 Euro sollen dafür bereitstehen. Platz für ehrenamtliche Arbeit solle es aber weiterhin geben.

Taubenschläge gelten als die tierfreundlichste Methode, um das Taubenproblem zu minimieren. Kritiker sagen, dass die Population in deutschen Großstädten derart weit fortgeschritten sei, dass es zu viele Schläge bräuchte. Wie viele Stadttauben es gibt, weiß allerdings niemand genau. Auch nicht in der Stadtverwaltung Frankfurt.

In Frankfurt gilt außerdem ein allgemeines Fütterungsverbot für Tauben. In Bahnhofsgebäuden zum Beispiel sieht man sogenannte Vogelspikes, also Metallspitzen, damit die Tiere auf Fahrkartenautomaten oder Simsen nicht brüten können.

Schwierige Standortsuche

Auf Nachfrage des Hessischen Rundfunks gab die Stadt an, dass an dem Konzept noch gearbeitet werde. Besonders die Standortsuche für weitere Taubenschläge gestalte sich schwierig. Man sei aber zuversichtlich, noch bis zum Jahresende zwei Standorte einrichten zu können.

Die schwierige Suche nach passenden Immobilien kennt auch Gudrun Stürmer: "Alle finden Taubenschläge toll, aber niemand will einen bei sich haben. An der Galluswarte suchen wir seit 20 Jahren nach einem Ort."

Erst in diesem Jahr wurden dem Stadttaubenprojekt zwei Taubenschläge gekündigt, wie Stürmer erzählt. Kritisch sei das besonders für die Tiere, die dadurch ihr Nest verlören und zurück auf die Straßen müssten.

Hoffnung für die Stadttaube

Sollte die Stadt es schaffen, in diesem Jahr zwei weitere Taubenschläge zu eröffnen, brächte das vielen Vögeln ein artgerechteres, sichereres Leben. Auch für die Frankfurter Bürgerinnen und Bürger bedeuten mehr Taubenschläge vor allem eines: langfristig weniger Tauben auf den Straßen oder Nester auf dem eigenen Balkon.

Am Donnerstag wurde Gudrun Stürmer vom Deutschen Tierschutzbund für ihr Lebenswerk als Taubenschützerin ausgezeichnet. Eine mutige Entscheidung, findet Stürmer, schließlich mögen ja nicht alle die Tiere. Sie hofft, dass die Auszeichnung hilft, dass in Zukunft mehr Menschen Respekt haben vor den Vögeln - vor jedem Leben.

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