Auf einer hellblauen Hintergrundfläche steht in schwarz-weißen Buchstaben "Prinz, der; -en (lat.). Vorne, am unteren Rand, klein abstrahiert der Oberkörper von Prinz Reuß, der mit gesenktem Kopf nach links zeigt.

Heinrich XIII. Prinz Reuß steht vor Gericht, weil er sich offenbar zurück ins Deutsche Reich putschen wollte. Ist der deutsche Adel undemokratisch? Und warum darf sich jemand Prinz nennen, wenn der Adel in Deutschland doch abgeschafft ist? Antworten vom Historiker Eckart Conze.

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Historiker Eckart Conze: "Es gibt in Deutschland seit 1919 keinen Adel mehr"

Ein Mann mit FFP2-Maske und Handschellen wird von mehreren Polizeibeamten aus einem Haus geführt.
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Als ein älterer Mann im Tweed-Sakko im Dezember 2022 von vermummten Spezialeinsatzkräften im Frankfurter Westend abgeführt wird, entsteht der Eindruck, es stünde nun eine Majestät unter Terrorverdacht. Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein Prinz ohne Land, der geplant haben soll, Politiker zu exekutieren, um sich dann selbst zum Staatsoberhaupt zu krönen und auf diesem Weg zurück ins Deutsche Reich zu putschen.

Das ging schief: Am Dienstag startet der Prozess vor dem Frankfurter Landgericht gegen Reuß und Mitstreiter seiner mutmaßlichen, rechtsextremen Terrorgruppe. Die Bild-Zeitung verlieh Reuß den Namen "Putsch-Prinz". Aber was bedeutet Adel überhaupt noch in einer Demokratie 2024? Das erklärt der Marburger Historiker und Adelsforscher Eckart Conze im Interview.

Das Gespräch führte Sonja Süß.

hessenschau.de: Ein Kollege von mir beschrieb den Terrorverdächtigen Reuß nach dessen Verhaftung mit dem Satz: "Ein 71-Jähriger, der sich immer noch 'Prinz' nennt, obwohl der Adel in Deutschland vor mehr als 100 Jahren abgeschafft wurde." Trifft es das, ist ein Titel wie Prinz im Jahr 2024 längst Schall und Rauch?

Eckart Conze: Es ist eben kein Titel mehr, sondern seit 1919 nur ein Teil des Namens. "Herr Prinz Reuß" ist nicht verkehrt, aber das ist kein Adelstitel. Der Adel ist abgeschafft in Deutschland und damit auch alle Adelstitel. Die sind nach dem Ersten Weltkrieg mit der Verfassung der Weimarer Republik zu Bestandteilen des Namens geworden: Deswegen heißt der Mann Heinrich Prinz Reuß – und nicht Prinz Heinrich Reuß.

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hessenschau.de: Das heißt also, der Zusatz Prinz birgt keine Privilegien mehr, die Sie oder ich nicht haben?

Conze: Es sei denn, man sieht den Namen als Privileg, der ja auf eine adelige Familie hindeutet. Aber es gibt nur noch die Träger adeliger Namen oder Angehörige des ehemaligen Adels. Das ist eine Folge der Demokratisierung 1919 mit dem Ende des Kaiserreichs und dem Beginn der Weimarer Republik. Trotzdem reden wir alle bis heute von Adel und tragen damit natürlich dazu bei, dass die Idee von Adel in unseren Köpfen und in unserer Gesellschaft weiter existiert. Auch die Medien müssen da selbstkritisch sein.

Die Boulevard-Presse etwa trägt dazu bei, dass sich die Vorstellung von Adel bis in die Gegenwart hält. Bestimmte adelige Traditionen oder Privilegien lassen sich aus der Geschichte des Adels erklären. Und dann gibt es die Gesellschaft selbst und die Medien, die dazu beitragen, dass der Adel immer noch als Adel wahrgenommen wird.

hessenschau.de: Das Oberhaupt der Familie Reuß distanzierte sich von Heinrich XIII. Reuß - auch mit dem Hinweis, er sei aus dem Familienverbund ausgetreten. "Nach heutigen Maßstäben" sei man nicht mal mehr verwandt. Wer bestimmt denn überhaupt, wer noch einen adeligen Namen tragen darf?

Conze: Wer einen adeligen Namen hat, darf diesen tragen. Wer zu einer Familie des historischen Adels gehört, versuchen diese Familien selbst zu bestimmen, die sich heute auch privatrechtlich in Familienverbänden zusammenschließen.

Wenn man es böse formulieren möchte: Das sind privatrechtliche Vereine wie viele andere auch. Da kann man ausgeschlossen werden, man kann Mitglied werden oder austreten. Der gemeinsame Bezugspunkt ist die Tradition und die Zugehörigkeit zu einer ehemaligen adeligen Familie.

hessenschau.de: Um öffentliche Gelder und Besitz geht es bei Streits um Immobilien und Ländereien, die im Osten enteignet wurden. Reuß wuchs in Büdingen auf, seine adelige Familie war aus Thüringen in den Westen geflüchtet. Seit Jahrzehnten streitet er sich mit dem Staat um ehemaligen Besitz seiner Familie in Thüringen. Das hat ihn offenbar auch gegen die Bundesrepublik aufgebracht. Was ist da passiert im Osten?

Conze: In der Sowjetischen Besatzungszone und in der späteren DDR ist der Adel nach 1945 enteignet worden. Das betraf zum einen Immobilien, Grundbesitz oder Gebäude, zum anderen aber auch Kunstgegenstände oder Mobiliar. Und da ist die Familie Reuß nicht die einzige, die seit vielen Jahren versucht, diesen damals enteigneten Besitz zurückzubekommen oder zumindest entschädigt zu werden.

Wir haben das ja in den letzten Jahren auch am Beispiel der Hohenzollern erlebt, die mit den Ländern Berlin und Brandenburg über Rückgabe- oder Entschädigungsansprüche streiten. Es gibt aber auch adelige Familien, die versucht haben, ihren ehemaligen Besitz im Osten zurückzukaufen. Die Gesetzeslage ist klar: Wenn eine Familie berechtigte Entschädigungsansprüche hat, wird sie die auch durchsetzen können.

hessenschau.de: In einem Vortrag vor dem Worldwebforum 2019 hat Reuß unter anderem behauptet, der Adel habe sehr gelitten nach dem Ende der Monarchie und werde seither diskriminiert. Muss man Mitleid haben? Wenn man sich anschaut, wer etwa in Hessen Wälder und Schlösser besitzt, scheinen einige doch ganz gut weggekommen zu sein.

Conze: Der ostdeutsche Adel ist nach 1945 anders behandelt worden als der im Westen. Der westdeutsche Adel hatte das historische Glück, dass es in den westdeutschen Besatzungszonen nicht zu flächendeckenden Enteignungen gekommen ist. In Ostdeutschland gab es die Vorstellung, dass der ostelbische Adel maßgeblichen Anteil hatte an dem Aufstieg und der Herrschaft der Nationalsozialisten.

Auch aus diesem Geschichtsbild – das ja nicht völlig falsch ist – speiste sich die Enteignungspolitik. Die wurde im Osten viel radikaler durchgeführt, als das in Westdeutschland der Fall war.

hessenschau.de: Reuß hängt noch einer anderen Idee an, die in der Reichsbürgerszene beliebt ist: Als seine Familie in Thüringen noch an der Macht war, habe der Fürst für Ordnung gesorgt, sich aufrichtig gekümmert, die Steuern seien niedrig gewesen, erzählt er. Der adelige Führer als Heilsbringer. Wie war denn das Leben für das Volk vor 1918 unter einem Fürsten?

Conze: Das ist die Glorifizierung und Weichzeichnung einer guten alten Welt. Schon im späten 19. Jahrhundert war diese Adelsherrschaft in Kleinststaaten wie denen in Thüringen legitimiert worden mit der patriarchalischen Fürsorge des Herrschers für seine Untertanen. Das ist natürlich eine Verklärung von undemokratischen Zuständen.

Von der guten alten Zeit wird oftmals geredet, aber gut waren die Zeiten nur für diejenigen, die von ihnen profitieren konnten: für diejenigen, die politisch, gesellschaftlich oder ökonomisch "oben" waren, darunter die adeligen Fürsten und ihre Familien. Dem Gros der Bevölkerung blieben demokratische Rechte lange verwehrt.

hessenschau.de: Gibt es denn aktuell antidemokratische, monarchistische Bestrebungen in Teilen des Adels?

Conze: Nein, die überwältigende Mehrheit des Adels in Deutschland ist nach 1945 in der Demokratie angekommen. Anders als in der Weimarer Republik, damals gehörte der Adel zu den Gegnern der Demokratie. Es wäre falsch, dem Adel heute solche Tendenzen zu unterstellen, dafür hatte der Adel nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik auch viel zu gute Existenzbedingungen: Der Adel hatte und hat gar keine Veranlassung, sich gegen die Demokratie zu wenden, die ihm doch auch die Pflege der eigenen Adeligkeit ermöglicht.

hessenschau.de: Weil der Adel auch noch zu den gesellschaftlichen Gewinnern oder zur Elite gehört? Bei Politikern, Unternehmern, aber auch Journalisten gibt es auffällig viele adelige Namen.

Conze: Adelige haben zumindest eine höhere Chance als andere gesellschaftliche Gruppen, solche Elitepositionen in unterschiedlichen Bereichen zu erlangen wie Diplomatie, Politik, Militär. Es mag auch sein, dass Angehörige des ehemaligen Adels von ihrem Namen profitieren – so ein Name ist symbolisches Kapital. Aber Eliten sind heute keine Geburtseliten mehr, und wer zur Elite gehört, wird auch nicht vom Adel bestimmt.

hessenschau.de: In der mutmaßlichen Terrorgruppe um Prinz Reuß schien es ganz logisch zu sein, dass Reuß als "Blaublüter" neues Staatsoberhaupt wird.

Conze: Es mag natürlich unter Rechtsradikalen Menschen geben, die bei ihrer Suche nach einem neuen "Führer" Angehörigen des ehemaligen Adels oder Trägern eines adeligen Namens eine besondere Aura und Autorität zuschreiben. Aber im Grunde ist Herr Prinz Reuß nichts anderes als die Galionsfigur einer rechtsradikalen Gruppierung, deren Umsturzpläne er offensichtlich teilte und unterstützte.

Zwar ist es interessant, dass hier ein Adliger beteiligt war, aber er steht eben nicht für den Adel im 21. Jahrhundert und scheint ein vollkommen aus der Zeit gefallenes und radikal undemokratisches Gesellschafts- und Politikverständnis zu haben. Adel hin oder her, es geht hier um politischen Rechtsradikalismus, der strafrechtlich verfolgt worden ist und gegen den es nun Prozesse gibt.

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Zur Person

Eckart Conze ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Uni Marburg. Er forscht unter anderem zum Bürgertum, Adel und Eliten im 20. Jahrhundert. Conze war Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission, die die NS-Geschichte des Auswärtigen Amtes erforschte. Er ist außerdem Mitglied in der Historischen Kommission für Hessen, im Wissenschaftlichen Beirat des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und Herausgeber des Jahrbuchs zur Liberalismus-Forschung.

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