Die Aufklärung sexueller Übergriffe in Kitas ist eine hochsensible Angelegenheit. Wenn Verdachtsfälle in Frankfurt gemeldet werden, geht das zunächst an die Kita-Leitung und den Träger. Dann werden weitere Behörden eingeschaltet. Expertinnen kritisieren das Prüfverfahren.

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Erziehungswissenschaftlerin: "Prüfverfahren erinnern an Praxis in der katholischen Kirche"

Kinder in Kita
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Bei Eltern löst die Vorstellung, dass ihr Kind in einer Kita Opfer sexueller Übergriffe werden könnte, Ängste aus. "Natürlich ist jeder Fall einer zu viel", sagt die Frankfurter Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) dem hr zu den nun bekannt gewordenen Fällen. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt ermittelt derzeit wegen sexueller Übergriffe auf Kinder in sechs Verdachtsfällen gegen Kita-Mitarbeitende.

In Frankfurt ist das Stadtschulamt die zuständige Aufsichtsbehörde. Die Behörde würde sich die Fälle genau anschauen, um festzustellen, "was wir gegebenenfalls noch tun können, um prophylaktisch unterwegs zu sein, die Situation zu verbessern", so Weber.

Wann die Aufsichtsbehörden eingeschaltet werden

Vermuten Eltern oder Erzieherinnen, dass ein Kind in einer Kita Opfer sexueller Übergriffe durch Mitarbeiter wurde, prüfen zunächst die Kita-Leitung und der Träger, was dran sein könnte an der Vermutung. Kommt der Kita-Träger bei seiner Prüfung mit seinen eigenen Fachberatern zu dem Ergebnis, dass es keine belastbaren Hinweise gibt, wird der Fall eingestellt.

Erst wenn der Träger eine Gefährdung des Kindes sieht, muss laut Weber in einem zweiten Schritt das Stadtschulamt als kommunale Aufsichtsbehörde eingeschaltet werden. "Dann geht man in eine vertiefte Prüfung und es gibt auch eine Meldung an das Landesjugendamt." Den neun bekannten Fällen 2023 können also zahlreiche weitere vorausgegangen sein, die von den Trägern als unbegründet eingestuft wurden.

Es mangelt an unabhängigen Anlaufstellen

Die Aufklärung sexueller Übergriffe in Kitas ist eine hochsensible Angelegenheit. Allein schon die Äußerung der eigenen Vermutung und Beobachtungen gegenüber der Kita-Leitung kostet Eltern Überwindung. Aus Sicht von Erziehungswissenschaftlerin Ursula Enders mangelt es in Frankfurt an unabhängigen Anlaufstellen, an die sich Eltern in Fällen "einrichtungsbezogenen Missbrauchs" wenden können.

Sie ist Gründerin des in Nordrhein-Westfalen ansässigen Vereins "Zartbitter", der Eltern und andere Betroffene von sexuellem Missbrauch berät. Sofern keine von Kita und Träger unabhängigen Stellen eingeschaltet sind, würden Eltern nur ein Bruchteil ihrer Beobachtungen berichten.

"Prüfverfahren erinnern an Praxis in der katholischen Kirche"

"Eltern wissen genau, dass es keinen Sinn macht, dass eine Einrichtung gegen sich selbst ermittelt", sagt Enders. Doch aus ihrer Sicht mangelt es in Frankfurt an unabhängigen Beratungsstellen. Enders sieht darin einen Schwachpunkt. Es sei eine klassische Strategie Pädosexueller in Kitas, sich mit der Leitung anzufreunden.

Und wenn es einem Täter in einer Einrichtung bereits gelungen sei, Kinder zu missbrauchen, sei das häufig ein Hinweis auf andere Missstände in der Führung und dem Umgang mit Kindern in Kitas. "Dieses Prüfverfahren erinnert mich an die Praxis der katholischen Kirche, die intern den Schutz Beschuldigter darstellt, aber die Betroffenen nicht im Blick hat", sagt Enders im hr.

Landesjugendamt als oberste Aufsichtsbehörde

Das scheibchenweise Bekanntwerden von Fällen möglicher sexueller Übergriffe an Kindern in Frankfurter Kitas wirft ein Schlaglicht auf eine Behörde, die sonst kaum im Licht der Öffentlichkeit steht. Das Landesjugendamt hat als oberste Aufsichtsbehörde in Hessen den gesetzlichen Auftrag über den Schutz des Kindeswohls zu wachen.

„Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch ist eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Aufgaben überhaupt", sagte Sozialminister Kai Klose (Grüne) erst vor kurzem bei der Präsentation des Kinderschutzkonzeptes im Hessischen Landtag. Dem Landesjugendamt wurden seit Anfang des Jahres bereits neun Fälle aus Frankfurt gemeldet, während es im gesamten Vorjahr sieben Fälle waren. 

Zu wenig Personal für Kita-Überwachung

Gemessen an Kloses Worten ist der Personalansatz der in seinem Ministerium angesiedelte Landesjugendamt überschaubar. Auf 6,5 Planstellen kommen über 4.400 zu überwachende Kitas in Hessen.

Diese geringe Ausstattung der Aufsicht hat damit zu tun, dass Anfang des Jahrtausends die damalige CDU-geführte Landesregierung die Aufgaben der Jugendhilfe auf die Kommunen übertragen hat. Dafür finanziert das Land 80 Stellen in den Jugendämtern der 26 Kreise und kreisfreien Städte.

In der Praxis bedeute das aus Sicht von Maud Nordstern zu viel Nähe zwischen den kommunalen Akteuren, die kontrollieren und denen, die kontrolliert werden sollen. "Die Fachaufsicht über Einrichtungen gehört in ein unabhängiges, also überörtliches und zugleich multiprofessionelles Fachteam", so die Professorin für Jugendhilfe und Kinderschutz an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Es sei keine gute Idee, wenn einzelne Angestellte einer Kommune über wirtschaftlich mächtige Jugendhilfeträger mit hunderten Arbeitsplätzen in ihrer Stadt oder ihrem Landkreis wachen sollen. Dabei sei die Gefahr, dass die Aufseher das Interesse der Träger über das des Kindeswohls stellten, zu groß.

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