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hr-Reporter: "Sorge, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist"

Logo der Volkshochschule vhs - davor ein Schriftenständer

Nach Beschwerden von Mitarbeitern der Frankfurter Volkshochschule ist eine Führungskraft abgesetzt worden. Ein anonymer Hinweisgeber spricht von Vetternwirtschaft innerhalb der SPD. Frankfurts Bildungsdezernentin Weber bestreitet eine Einflussnahme und hat den Whistleblower angezeigt.

Ein anonymer Hinweisgeber hat sich Anfang des Jahres an mehrere Fraktionen im Frankfurter Stadtparlament gewandt. Er mache sich große Sorgen um die Frankfurter Volkshochschule (VHS).

Die Bildungseinrichtung komme ihrer Aufgabe, Bildung für möglichst viele Menschen zu ermöglichen, immer weniger nach. Sein Vorwurf: Bei der Besetzung von Stellen gehe es weniger um Erfahrung und Kompetenz, sondern um persönliche oder verwandtschaftliche Beziehungen und Parteibuchnähe.

"Das Leitbild der Frankfurter Volkshochschule, sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden zu orientieren und deren Zufriedenheit als Maßstab der Arbeit zu nehmen, wich den privaten und politischen Bedürfnissen einiger weniger," so der anonyme Verfasser des Schreibens.

Zweifel an Kompetenzen

Der offensichtlich gut informierte Insider untermauert seine Hinweise mit einer Liste von Namen, Gehaltsstufen und Näheverhältnissen, die den Vorwurf der Vettern- und Parteienwirtschaft aufzeigen sollen. Angeführt wird die Liste von der im Juli 2022 ins Amt gekommenen Leiterin des Fachbereichs Sprachen bei der VHS Frankfurt.

"Aufgrund der sich zwischenzeitlich herausgestellten mangelnden sprachlichen und schriftlichen Deutschkenntnisse sowie teils fehlender Fachkenntnisse, stellt man sich innerhalb der VHS-Belegschaft mehr als nur die Frage, ob der Bewerbungsprozess samt Einstellungstest, in dem Umfang unabhängig und korrekt durchgeführt wurde, wie es entsprechende Vorgaben verlangen würden", heißt es in dem Schreiben.

Der Vorwurf weiter: Der Leiter der VHS habe die Besetzung mit ihr vorangetrieben. Laut der Liste wuchsen beide im selben Ort in Schweden auf.

Vorwurf: Bei Stellenvergabe bevorzugt

Neben der Fachbereichsleiterin nennt die anonyme Quelle knapp 20 Namen von Personen, die Teil verwandtschaftlicher Seilschaften und Netzwerke sein sollen und deshalb bei der Vergabe von Stellen möglicherweise bevorzugt würden.

Die AfD-Fraktion im Römer griff das anonyme Schreiben im Februar auf und wollte von Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) wissen, was an den Vorwürfen dran sei.

Weber wies den Vorwurf der Intransparenz bei der Stellenbesetzung zurück und kündigte an, prüfen zu lassen, ob die Regeln bei der Vergabe von Kursleiterjobs auf Honorarbasis eingehalten worden seien. Nicht überprüft wurden die in dem Schreiben genannten festen Arbeitsverhältnisse.

Fachbereichsleiterin ohne Betätigungsfeld

Dabei haben sich die Befürchtungen des Hinweisgebers über die Qualifikation der Leiterin des Fachbereichs Sprachen inzwischen offenbar als berechtigt erwiesen. Nach hr-Informationen wurde sie ihrer Aufgabe entbunden, nachdem Mitarbeiter sich immer wieder bei der VHS-Leitung und der Dezernentin über ihre mangelnde Führungsfähigkeit beschwert hatten.

Durch das Personal- und Organisationsamt sei daraufhin ein Prozess zur Konfliktbewältigung eingeleitet worden. Am Ende folgte jedoch die Abberufung. Nach hr-Informationen wurde die Probezeit der Führungskraft, trotz der sich früh abzeichnenden Probleme, nicht verlängert. So bleibt sie der VHS weiter erhalten.

Worin ihr zukünftiges Aufgabenfeld besteht, ist noch unklar. Die Leitung des Fachbereichs Sprachen ist derzeit unbesetzt und neu ausgeschrieben

VHS-Mitarbeiter mit SPD-Bezug

Doch der Hinweisgeber hatte auf mögliche Fälle von Vetternwirtschaft bei weiteren Stellen verwiesen. So soll etwa der stellvertretende Leiter eines Fachbereichs seine Tochter zunächst als Kursleiterin beauftragt haben. Inzwischen soll sie nach hr-Informationen eine feste Stelle in seinem Fachbereich bekommen haben.

In drei Fällen soll bei der Postenvergabe die Mitgliedschaft in Gremien der hessischen SPD eine Rolle spielen, so der Vorwurf.

Der Hinweisgeber nennt unter anderem eine ehemalige Referentin des abgewählten Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann und Sylvia Webers früheren Referenten als Profiteure. Feldmanns ehemalige Referentin Arijana Neumann bemühte sich 2018 erfolglos um ein Mandat im hessischen Landtag. Sie leitet seit 2020 den Fachbereich Arbeit und Beruf bei der VHS. Laut der Internetseite des SPD-Ortsvereins Frankfurt-Bornheim ist sie Beisitzerin im Vorstand der SPD Frankfurt und Hessen-Süd.

Webers ehemaliger persönlicher Referent Jan Pasternack ist im SPD-Landesvorstand und wechselte Ende 2021 auf die Stelle des Leiters des Fachbereiches Sozialer Zusammenhalt. Aktuell kandidiert er für die SPD im Frankfurter Nordwesten bei der Landtagswahl. Direkt in seinem Fachbereich angesiedelt ist eine Stelle, die die Vorsitzende des SPD-Ortsverbands Frankfurt-Sachsenhausen innehat.

Bestenauslese statt Vetternwirtschaft

Bildungsdezernentin Sylvia Weber bestreitet, dass bei diesen Stellenvergaben die Parteizugehörigkeit eine Rolle gespielt habe. Stellen würden bei der VHS nach dem Prinzip der Bestenauslese besetzt.

Die Führungskräfte hätten sich "in einem Assessment Center als die fachlich und persönlich bestqualifiziertesten Bewerber:innen durchgesetzt". Die Stellenauswahl sei jeweils von der Betriebskommission der VHS bestätigt worden.

Auf die Frage, warum die Leiterin des Fachbereichs Sprachen nach einem knappen Jahr ihren Posten räumen musste, antwortet Weber "aus Gründen des Personaldatenschutzes" nicht.

"Erfolgreich in Bewerbungsverfahren durchgesetzt"

Auch zu den anderen Näheverhältnissen in der VHS äußert sie sich nicht. Genau wie die vom hr angefragten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. In einer entsprechenden Rundmail, die dem hr vorliegt, werden alle Mitarbeiter und Mitarbeiter gebeten, "bei allen Presseanfragen - schriftlich oder mündlich - immer an die Betriebsleitung zu verweisen."

Nur Landtagskandidat Jan Pasternack antwortet selbst. "Für meine Stelle habe ich ein vom Personal- und Organisationsamt begleitetes Bewerbungsverfahren durchlaufen und konnte mich in diesem erfolgreich durchsetzen." Er verfüge über knapp zehn Jahre Berufserfahrung im Bereich Bildung/Erwachsenenbildung einschließlich Führungserfahrung, so Webers ehemaliger persönlicher Referent.

Bei seiner Tätigkeit im Dezernat habe er bis zu 14 Mitarbeiter geführt. Davor war er Mitarbeiter eines SPD-Landtagsabgeordneten. Dort habe er die Arbeit im Kulturpolitischen Ausschuss vorbereitet, insbesondere das Thema berufliche Bildung.

Vetternwirtschaft senkt die Leistungsbereitschaft

Norman Loeckel leitet die Arbeitsgruppe transparente Verwaltung bei Transparency Deutschland. Der Politikberater beschäftigt sich ehrenamtlich mit Nepotismus, also Vetternwirtschaft aus verwandtschaftlicher oder parteipolitischer Nähe.

Er hält die Abberufung der Fachbereichsleiterin für einen auffälligen Vorgang. "Sofern die Gründe für die Demissionierung bereits frühzeitig vorlagen und bekannt waren - also in der Probezeit - spricht dies für Probleme in der zuständigen Personalverwaltung", so Loeckel.

Nepotismus schwäche die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sowie das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und die Demokratie. "Sofern der Eindruck entsteht, dass Beziehung statt Leistung entscheidend ist, senkt das die Leistungsbereitschaft des Personals."

EU als Vorbild bei Stellenbesetzung

Die von Bildungsdezernentin Weber angeführte "Bestenauslese" als Grundlage der Stellenvergabe bei der VHS ließe sich rechtlich kaum widerlegen. Der einzige Weg sei eine Konkurrentenklage, erläutert Loeckel. In diesen Verfahren müssen unterlegene Bewerber nachweisen, dass die Stellenvergabe bereits vorher ausgemacht war. Diese langwierigen Prozesse mit ungewissem Ausgang würden von den übergangenen Mitarbeitern meist gescheut.

Um den Verdacht der Vetternwirtschaft erst gar nicht aufkommen zu lassen, empfiehlt Transparency Deutschland sich ein Vorbild an der EU zu nehmen.

Dort werden Stellenbesetzungen durch eine eigens dafür geschaffene unabhängige Behörde vorgenommen. Dabei werden anonymisierte Bestenlisten veröffentlicht, die für jeden einsehbar sind. Auf diese Weise ließen sich parteipolitische Einflussnahme oder Vorteilsgewährung innerhalb einer Behörde verhindern.

Frankfurt bekämpft "böswillige Denunziant:innen"

Auf hr-Anfrage bestätigt Sylvia Weber, dass der Magistrat den anonymen Hinweisgeber wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes angezeigt hat. Durch ihn seien sensible Informationen über Personen an die Öffentlichkeit gekommen.

Das erstaunt, da der Magistrat erst kürzlich das auf eine EU-Richtlinie zurückgehende Hinweisgeberschutzgesetz umgesetzt hat. Das soll Whistleblower vor Verfolgung schützen.

Doch unter Verweis auf eine entsprechende Pressemitteilung von diesem Sommer erklärt Personaldezernent Bastian Bergerhoff (Grüne), die Stadt unterscheide sehr genau zwischen zu schützenden Hinweisgebern und "böswilligen Denunziant:innen". Letztgenannte müssten mit einer Anzeige rechnen.

Doch laut Transparency-Mitglied Loeckel gibt es diese Unterscheidung in dem Gesetz überhaupt nicht. "Die eigenwillige Auslegung des Gesetzes durch die Stadt Frankfurt wird Whistleblower in Zukunft abschrecken."

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