Boris Rhein

Die Personen, die für die SPD die Koalition mit der Hessen-CDU aushandelten, sind nicht dieselben, die für die Partei als Minister ins Kabinett einziehen. Das könnte für Ministerpräsident Rhein zum Problem werden.

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Wen die SPD in die Landesregierung holen will

Boris Rhein im Parlament
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Das ist jetzt der Moment, in dem Boris Rhein ein mulmiges Gefühl beschleichen könnte. Und das liegt am Personal, das ihm die SPD für die ihr zustehenden Ministerposten präsentiert.

Da wäre Kaweh Mansoori, der das größte Ministerium bekommt: Wirtschaft, Verkehr, Energie, Wohnen und ländlicher Raum. Zudem wird er stellvertretender Ministerpräsident. Er ist der Vorsitzende des innerparteilich mächtigen Parteibezirks Hessen-Süd.

Mansoori ist Rechtsanwalt, hat aber den größten Teil seines Berufslebens in der Politik zugebracht, zuletzt als Bundestagsabgeordneter. Wenn von ihm die Rede ist, fallen Worte wie "blitzgescheit", "machtbewusst", "ehrgeizig", "links". Klar ist, dass er der starke Mann der SPD sein wird und im Frühjahr wohl auch nach dem Landesvorsitz seiner Partei greifen will.

Unbekannte Größe

Gewiss: An der Aushandlung des Koalitionsvertrags war Mansoori maßgeblich beteiligt. Ob der dem linken Flügel angehörende Sozialdemokrat Rheins "christlich-soziale" Ausrichtung aber aus Überzeugung mitträgt oder erst mal nur, damit die SPD wieder mitregieren kann, und später eine andere Agenda verfolgen wird, ist eine offene Frage. Das liegt auch daran, dass Mansoori für die meisten außerhalb der SPD und für den künftigen Koalitionspartner eine unbekannte Größe ist.

Nach der Macht-Arithmetik der SPD darf ein zweiter der drei Ministerposten ebenfalls von Hessen-Süd besetzt werden. Der linke Mann wird deshalb durch eine Frau vom rechten Parteiflügel ergänzt: Heike Hofmann, die künftig Ministerin für Arbeit und Soziales sein soll.

Die Juristin ist Landtagsabgeordnete und war zuletzt Vizepräsidentin des Parlaments. Als Nachfolgerin von Nancy Faeser, die noch SPD-Landeschefin ist, hätte sich Hofmann als innenpolitische Sprecherin der Fraktion und als deren Obfrau im Hanau-Untersuchungsausschuss profilieren können.

Mangelnde Selbsteinschätzung

Sie fiel Beobachtern aber mehr durch planlose Fragen, unklare Taktik und holprige Reden auf - und durch ein kurioses Video, das auf mangelnde Selbsteinschätzung schließen lassen könnte: Bei einem bizarren Auftritt auf dem Hessentag in Pfungstadt ließ sie sich in einem metallic-blauen VW Käfer-Cabriolet durch die Hessentag-Arena chauffieren: vorne ein Blumenbukett mit der Schärpe "Landtagsvizepräsidentin", auf dem Heck Hofmann mit blauem Hütchen, huldvoll winkend an der Tribüne vorbei. Dort sah eine konsternierte Landtagspräsidentin zu, wie ihre Stellvertreterin ihr die Schau zu stehlen versuchte.

Aber Hofmann ist eben auch die stellvertretende Vorsitzende des Bezirks Hessen-Süd und deshalb aus Parteisicht eine naheliegende Wahl als Arbeitsministerin - auch wenn sie mit dem Thema bislang wenig zu tun hatte.

Der dritte Ministerposten geht an den kleineren SPD-Parteibezirk Hessen-Nord. Mit dessen Vorsitzendem Timon Gremmels strebt ein weiterer Bundestagsabgeordneter in die Landesregierung. In Berlin war er Energieexperte der SPD, handelte maßgeblich das misslungene Heizungsgesetz aus.

Heikle Aufgaben

Jetzt soll Gremmels Minister für Wissenschaft und Kunst werden, wo andere heikle Aufgaben auf ihn warten. Er muss versuchen, die nach Antisemitismusvorwürfen und Führungsproblemen strauchelnde Kunstschau documenta zu retten. Und er wird gegenüber den der SPD nahestehenden Gewerkschaften immer wieder erklären müssen, warum das Land die privatisierte Uniklinik Gießen-Marburg nicht zurückkaufen wird.

Noch größere Zweifel am Gelingen der schwarz-roten Koalition wirft eine vierte Personalie auf: Günter Rudolph, der bisherige Fraktionschef der SPD im Landtag, ist nicht im Kabinett vertreten. Er gilt mit seinen 67 Jahren als zu alt. Anders als die drei anderen verfügt er auch nicht über einen einflussreichen Posten in der Partei - es ist aber die Partei, die die Minister vorschlägt, nicht die Fraktion.

Dass er nicht dabei ist, könnte zu einem Problem für die künftigen Koalitionspartner werden. Denn Rudolph, so hatte es Rhein sich gewiss gedacht, sollte Verlässlichkeit und Stabilität der SPD garantieren.

Vertrauensverhältnis als Basis

Es hat schließlich selbst bei den beteiligten Parteien viele überrascht, dass es zu Schwarz-Rot kommt. Jahrelang arbeitete die CDU gut mit den Grünen zusammen. Gerne wurde darauf verwiesen, wie geräuschlos das Bündnis funktionierte.

Eine Pandemie, die Folgen eines Kriegs in Europa, rechtsextremistische Mordanschläge oder auch geänderte Machtverhältnisse in Berlin - all das lässt sich nicht in Koalitionsverträgen einplanen. Solche Herausforderungen und Zerreißproben wurden unter Volker Bouffier dadurch gemeistert, dass der Regierungschef und sein Vize Tarek Al-Wazir ein belastbares Vertrauensverhältnis zueinander hatten.

Anders als in der Ampelregierung in Berlin versuchten beide nicht, sich auf Kosten des Koalitionspartners zu profilieren. Man gönnte sich auch gegenseitige Erfolge.

Die Verhandlungsgruppe aus Union und SPD

Ein solches persönliches Vertrauensverhältnis ist die Basis für eine gut funktionierende Koalition. Erst recht, wenn sich beide Partner jahrzehntelang spinnefeind waren und einer von beiden, die Hessen-SPD, nach heftigsten Lagerkämpfen erst in den zurückliegenden Jahren zur Ruhe gekommen ist. Unter maßgeblicher Beteiligung Rudolphs.

Fehlender Stabilitätsanker

Boris Rhein konnte bislang der Ansicht sein, er habe zur SPD eine Vertrauensbasis aufgebaut. Mit der Landesvorsitzenden Nancy Faeser und dem Fraktionsvorsitzenden Rudolph pflegte er jahrelang intensive Kontakte. Die drei haben ähnliche Vorstellungen von Politik. Rhein hat sie bei der Begründung für das Bündnis mit der SPD so zusammengefasst: "Wir wollen Politik machen, die die Mehrheit stärkt und die Minderheiten schützt."

Vielleicht hat er sich da verrechnet.

Dass Faeser ihren Posten als Bundesinnenministerin nicht für die Landespolitik aufgeben würde, wusste Rhein während der Koalitionsverhandlungen. Aber Rudolph hätte der Stabilitätsanker in der Koalition sein können, mit dem Rhein vertrauensvoll auftauchende Probleme und Krisen lösen hätte können.

Möglicher Machtkampf

Ein Regierungsamt hat ihm seine eigene Partei nun versagt. Auch, ob Rudolph als Fraktionschef Rhein eine Stütze sein kann, ist mehr als fraglich. Mit Tobias Eckert und Lisa Gnadl gibt es gleich zwei jüngere Abgeordnete, die ebenfalls Fraktionschef werden wollen. Es könnte am Dienstag zu einer Kampfkandidatur kommen, die auch ein Machtkampf der beiden Parteiflügel ist. Aus der Partei heißt es achselzuckend: Das ist allein Sache der Fraktion, wen sie zum Vorsitzenden macht.

Am Donnerstag will Boris Rhein zum zweiten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Danach wird er seine Minister ernennen und ihnen ihre Urkunden überreichen. Er steht dann einer SPD-Mannschaft gegenüber, die er kaum kennt. Und zu der es noch keine belastbare Vertrauensbasis gibt.

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