Außenansicht Gebäude Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen zur Datenanalyse bei der hessischen Polizei beanstandet: Die Vorgaben für den Einsatz der Software "HessenData" des US-Unternehmens Palantir sind in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig. Bis September muss eine Neuregelung her.

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Hessische Polizei-Software ist verfassungswidrig

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Um potenziellen Straftätern schneller auf die Spur zu kommen, setzt die hessische Polizei seit 2017 auf die Analyse-Software "HessenData" des US-amerikanischen Unternehmens Palantir.

Das Programm durchforstet Datenbanken, um Querverbindungen zu entdecken, die den Ermittlern sonst vielleicht nie auffallen würden. Das soll der Polizei helfen, potenziellen Tätern auf die Spur zu kommen, noch bevor sie eine Straftat begehen können.

Die Regelungen zu ihrem Einsatz in Hessen und Hamburg sind laut Bundesverfassungsgericht in ihrer derzeitigen Form allerdings verfassungswidrig. Das entschieden die Karlsruher Richter am Donnerstag. Der Einsatz der Software greife in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Richter: Software-Einsatz in zu vielen Fällen erlaubt

Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung sei aber möglich, sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. Der Einsatz sei grundsätzlich erlaubt. Durch die neue Technik würden "relevante Erkenntnisse erschlossen werden können, die auf andere, grundrechtsschonendere Weise nicht gleichermaßen zu gewinnen wären".

Die derzeitigen Regelungen ließen einen Einsatz der Software in zu vielen Fällen zu und müssten per Gesetz stark eingeschränkt werden. Das Land Hessen hat nun bis spätestens Ende September Zeit, die problematische Vorschrift neu zu regeln. Bis dahin bleibt sie mit deutlichen Einschränkungen in Kraft.

14.000 Abfragen jährlich

Das Urteil bezieht sich ausschließlich auf die Nutzung der Technik zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. In Hessen werden zunächst einmal nur Daten aus Polizeibeständen ausgewertet, insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Kinderpornografie.

Bei rund 14.000 Abfragen jährlich arbeiten landesweit mehr als 2.000 Polizistinnen und Polizisten mit dem System. Sie sind jeweils nur für ihren Zuständigkeitsbereich freigeschaltet.

In einer der Datenbanken sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst - oder jemand, der einmal einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht hat.

Anwälte, Aktivisten und Journalisten fürchten Missbrauch

Kritiker fürchten, auch Unbeteiligte könnten ins Visier der Ermittler geraten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Humanistische Union und der Verband der Internetwirtschaft hatten deshalb in Karlsruhe geklagt. Auch die Kasseler Friedensaktivistin Silvia Gingold und die Frankfurter Strafverteidigerin Seda Başay-Yıldız wehrten sich gegen den Einsatz der Polizei-Software.

Die GFF erklärte am Donnerstag, das Urteil habe "das Risiko deutlich reduziert, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger ins Visier der Polizei geraten", teilte der GFF-Prozessbevollmächtigte Bijan Moini mit.

Das Gericht habe strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. "Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat.

Landesregierung kündigt schnelle Umsetzung an

Innenministers Peter Beuth (CDU) bezeichnete das Urteil des Bundesverfassungsgerichts als "wichtiges Signal für die weitere Digitalisierung der Ermittlungsarbeit unserer Sicherheitsbehörden".

Es habe die "Notwendigkeit moderner Analysewerkeuge" grundsätzlich anerkannt und ermögliche ihren weiteren Einsatz, sagte er nach einer Mitteilung vom Donnerstag. Die Leitplanken des Bundesverfassungsgerichts würden dankbar aufgenommen und in der künftigen Ausgestaltung der gesetzlichen Normen eingearbeitet.

Robert Schäfer, Landespolizeipräsident von Hessen, wartet im Bundesverfassungsgericht auf den Beginn der Urteilsverkündung in Sachen "Automatisierte Datenauswertung durch die Polizei in Hessen und Hamburg"

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Eva Goldbach, kündigte an, man wolle den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts unverzüglich nachkommen.

Opposition kritisiert Schwarz-Grün

Die Oppositionsparteien begrüßten die Entscheidung des Gerichts - und kritisierten die schwarz-grüne Landesregierung heftig. Die SPD-Fraktion bezeichnete den Einsatz von "HessenData" in seiner derzeitigen Form als "neuerlichen Verfassungsbruch mit Ansage", die FDP sprach von einer "krachenden Niederlage für die Landesregierung".

Die Linke forderte Beuth auf, die Forderungen des Gerichts priorisiert umzusetzen. Sonst drohe ein weiterer Verlust des Vertrauens der Hessinnen und Hessen in den Rechtsstaat.

Für die AfD stellt die Rechtssprechung ein Rückschlag für die Polizei dar. In einer verfassungskonformen Ausarbeitung sei eine solche Software ein wertvolles Werkzeug für die Polizeiarbeit. Es dürfe nicht passieren, dass Datenschutz zu Täterschutz wird.

Gewerkschaft der Polizei: Software ist praktizierter Opferschutz

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) betonte noch einmal, wie wichtig die Software für die Polizeiarbeit sei. Sie könne nicht nur "die Zusammenarbeit zwischen Auswertern, Ermittlern und Operativkräften deutlich verbessern", sondern sei auch praktizierter Opferschutz, sagte GdP-Landeschef Jens Mohrherr.

Er forderte Innenminister Beuth auf, den rechtlichen Bedenken gegen die Software wirksam und zeitnah zu begegnen. Die Gesetze müssten für die Polizeibeschäftigten "anwendbar und durchsetzbar" sein.

Urteil betrifft auch andere Bundesländer

Indirekt hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere Bundesländer. Nordrhein-Westfalen setzt die Software ebenfalls bereits ein. Dagegen hatte die GFF im Herbst noch eine dritte Verfassungsbeschwerde eingereicht, diese war in dem Verfahren aber nicht mehr berücksichtigt worden.

Auch Bayern arbeitet an der Einführung - als Vorreiter für andere Länder und den Bund. Der Freistaat hat mit dem US-Unternehmen Palantir einen Rahmenvertrag geschlossen, damit alle anderen Polizeien dessen Programm ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen können.

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