Foto eines Laptops, auf dessen Bildschirm die Plattform "Hessen-Data" zu sehen ist.

Top-Instrument für Ermittler oder Big-Data-Alptraum für Bürgerrechtler? Im Streit um die Polizei-Software "HessenData" hat das Bundesverfassungsgericht nun Nachbesserungen gefordert. Was das für die hessische Polizei bedeutet - und was Kritiker fürchten: Fragen und Antworten.

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Hessische Polizei-Software ist verfassungswidrig

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Verbrecher dingfest machen oder besser: Straftaten verhindern. Und das alles mit Hilfe einer Software. Das klingt super, birgt aber auch Risiken. Kritiker sind deshalb wegen der Polizei-Analysesoftware "HessenData" vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.

Am Donnerstag verkündeten die Karlsruher Richterinnen und Richter ihr Urteil. Die Regelungen zum Einsatz des Programms seien in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig, erklärten sie. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung sei aber möglich.

Neben Vertretern der Gesellschaft für Freiheitsrechte, der Humanistischen Union und des Verbandes der Internetwirtschaft wehren sich unter anderem die Kasseler Friedensaktivistin Silvia Gingold und die Frankfurter Strafverteidigerin Seda Başay-Yıldız gegen den Einsatz der Polizei-Software.

Worum es ihnen geht - und wer hinter der Software steckt: Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer und was hinter "HessenData" steckt

Der Softwareanbieter aus den USA mag den großen Auftritt und heißt "Palantir". Der Name ist entlehnt aus der fantastischen Welt von Tolkiens Fantasie-Epos "Herr der Ringe". Palantire sind darin magischen Glaskugeln, in denen man Dinge sieht, die andere nicht sehen. Genau das soll auch die "HessenData" genannte Analyse-Software von Palantir leisten.

Seit 2017 ist sie bei der hessischen Polizei in Betrieb. Die Idee: "HessenData" verknüpft unterschiedliche polizeiliche Datenbanken. Die Software entdeckt dabei Muster, die für ermittelnde Beamte nicht offensichtlich sind. Das geschieht per Mausklick in Sekundenschnelle - statt langem Aktenwühlen mit manuellem Abgleich. Es geht um die großen Delikte: Terrorismus, organisierte Kriminalität, Kindesmissbrauch.

Wie die Software der Polizei helfen soll

Wurden zwei Menschen schon einmal zusammen von der Polizei kontrolliert? Sind sie verwandt? Wohnen sie im selben Haus? Das System glaubt nicht an Zufälle. Ergebnisse aus unterschiedlichen Quellen ergeben nach der Analyse ein komplexes Profil von Verdächtigen. Die Verknüpfungen sollen der Polizei helfen, Straftäter schneller zu ermitteln. Oder sogar Straftaten zu verhindern.

Nach Angaben des von Peter Beuth (CDU) geführten hessischen Innenministeriums greift "HessenData" dafür automatisiert auf drei polizeiliche Datenbanken zu: das Auskunftssystem POLAS, das Vorgangsbearbeitungssystem ComVor und das Fallbearbeitungssystem CRIME-ST. Andere Quellen werden nach offiziellen Angaben nicht angezapft. Auch nicht Datenbanken anderer Bundesländer, des Bundes oder anderer Staaten.

Wie das Land die Arbeit mit "HessenData" organisiert hat

Analysten, Ermittler und Operativkräfte arbeiten nach Angaben des Innenministeriums in sieben Flächenpräsidien und beim Landeskriminalamt mit dem System. Damit das möglich ist, wurde in Hessen sogar das Gesetz geändert. 

In Paragraf 25a des hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung heißt es: "Die Polizeibehörden können in begründeten Einzelfällen gespeicherte personenbezogene Daten mittels einer automatisierten Anwendung zur Datenanalyse weiterverarbeiten zur vorbeugenden Bekämpfung von (…) Straftaten."

Wie die Befürworter "HessenData" verteidigen

Die Analyse-Software werde für moderne Ermittlungsarbeit im digitalen Zeitalter einfach gebraucht, lautet das Hauptargument. Schließlich seien die Kriminellen dem Staat oft mehrere Schritte voraus, gerade bei der Technik. Für die Sicherheitsbehörden war es demnach längst Zeit, digital aufzurüsten.

Aus dem hessischen Innenministerium heißt es: "HessenData" leiste seit 2018 einen wichtigen Beitrag zur Polizeiarbeit und habe beispielsweise dabei geholfen, einen Terroranschlag in Hessen zu verhindern. Außerdem werde das Tool nur auf schon vorhandene, polizeiliche Daten zugreifen. Es werde also Social-Media-Profile anders als oft behauptet nicht miteinbeziehen.

Warum die Kritiker den "gläsernen Bürger" befürchten

Die Gegner von "HessenData" sehen Grundrechte in Gefahr und warnen: Schnell könnten Unbeteiligte ins Visier der Ermittler geraten. Das wurde schon bei der mündlichen Verhandlung kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres deutlich.

Die Polizei dürfe nicht einfach Daten aus unterschiedlichen Quellen verknüpfen, warnt etwa die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) als eine der Beschwerdeführerinnen in Karlsruhe.
Der Staat müsse Daten von Bürgerinnen und Bürgern sparsam und sorgsam nutzen. Wer sich selbst nie etwas zu Schulden kommen ließ, könne dank "HessenData" trotzdem ins Fadenkreuz der Ermittler geraten. Mitglied im selben Fußballverein wie ein Verdächtiger zu sein, könne da schon ausreichen.

Was das Urteil bedeutet

Die Karlsruher Richterinnen und Richter haben dem Gesetzgeber mit ihrem Urteil aufgetragen nachzubessern. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung sei möglich, sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth. Das Land Hessen hat nun bis spätestens Ende September Zeit, die problematische Vorschrift neu zu regeln. Bis dahin bleibt sie mit deutlichen Einschränkungen in Kraft.

Denkbar ist zum Beispiel, dass im Gesetz die Fälle konkreter benannt werden müssen, bei denen "HessenData" zum Einsatz kommen darf. Und auch, dass Speicherfristen definiert werden.

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