Boris Rhein steht am Rednerpult. Hinter ihm an der Wand prangt der Slogan: "Auf in die gute neue Zeit"

Drei Wochen nach der Landtagswahl ist noch immer unklar, wer das Bundesland künftig regieren wird. Wahlsieger Boris Rhein und seine CDU können sich aussuchen, ob sie lieber mit den Grünen oder der SPD zusammenarbeiten möchten. Der Zeitplan für die Entscheidung steht mittlerweile - doch was spricht wofür?

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Koalition noch nicht in Sicht

Boris Rhein
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Nach der Landtagswahl am 8. Oktober ging es flott zur Sache. Schon wenige Tage später hatte die CDU als klare Wahlsiegerin zu ersten Sondierungsrunden eingeladen. Bald soll es in die nächste Stufe gehen: Am Dienstag teilte Ministerpräsident Boris Rhein mit, dass seine Partei zum Ende der kommenden Woche bekanntgeben wolle, mit wem sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen möchte.

Die Christdemokraten setzten sich bisher je drei Mal mit ihrem bisherigen Koalitionspartner von der Grünen sowie der SPD zusammen, um auszuloten, wo es eine Grundlage für gemeinsames Regieren geben könnte.

Auch mit der FDP redeten Ministerpräsident Boris Rhein und sein CDU-Verhandlungsteam. Die Freien Demokraten braucht man zwar nicht für eine Mehrheit. Trotzdem schade es ja nie, miteinander ins Gespräch zu kommen, hieß es. Die ersten Runden verliefen so dynamisch wie diskret: Nur wenig drang nach außen. Nur soviel dann am Dienstag: Die Gespräche seien "atmosphärisch positiv und inhaltlich konstruktiv" verlaufen, sagte Boris Rhein.

Warum war es zuletzt so ruhig?

Vor den Herbstferien endete die muntere Sondierungsdynamik. Man wollte sich zu einer "Reflexionswoche" zurückziehen, erklärte Ministerpräsident Rhein.

Und das war durchaus ernst gemeint: In der Woche der hessischen Schulferien war tatsächlich von den beteiligten Parteien gar nichts zu hören. Nach dem anstrengenden Wahlkampf sei Urlaub auch dringend nötig gewesen, sagten viele in der Wiesbadener Politik-Blase. Dinge sacken lassen, intern beraten.

Nun sind alle zurück, kommen am Dienstag zu Fraktionssitzungen in den Landtag. "Wir starten jetzt in die entscheidenden Tage", teilte Rhein am Dienstag mit. Von jetzt an werde man noch tiefer in die Inhalte einsteigen, um Schnittmengen auszuloten. Bis zum Ende der kommenden Woche wolle sich die CDU festlegen, mit wem es in die Koalitionsverhandlungen geht.

Was spricht für eine Fortsetzung von Schwarz-Grün?

Die Vergangenheit. Seit zehn Jahren regieren CDU und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam Hessen. Wenn es darum geht, die Koalition zu charakterisieren, kommt kaum eine Beschreibung ohne das Wort "geräuschlos" aus. In der Tat wurden Konflikte fast immer hinter verschlossenen Türen ausdiskutiert. Nach außen gab sich Schwarz-Grün stets geschlossen, keine einzige Abstimmung im Landtag ging schief.

Inzwischen kennen sich die Akteure seit vielen Jahren, haben stabile Beziehungen und eine Vertrauensbasis. In der Politik ist dieser Wert sehr hoch einzuschätzen. Ein verlässlicher Partner war der CDU bei nur einer Stimme Mehrheit der bisherigen Koalition immens wichtig. Doch dieses Vertrauen braucht es auch, wenn die Mehrheit im Parlament komfortabler ist.

Noch größer ist der Punkt "Vertrauen" einzuschätzen, wenn man an Krisen denkt, die in der Zukunft zu lösen sind. Wie schnell sie kommen und wie überraschend sie sein können, haben die vergangenen Jahre mit Migration, Pandemie und Krieg in Europa gezeigt. Sich schnell auf Neues einstellen zu können, fällt mit einem vertrauten Partner meist leichter.

Und was spricht dagegen?

Dass Schwarz-Grün über die Jahre so gut funktioniert hat, lag auch an der Achse Bouffier/Al-Wazir. Auf der einen Seite der deutlich ältere, damalige CDU-Vorsitzende Volker Bouffier. Für die Bevölkerung der Typ "Landesvater" und auch im Verhältnis zum deutlich jüngeren Tarek Al-Wazir eine Art Vaterfigur. Beide mit Durchsetzungskraft in ihre Fraktionen hinein.

Das hat sich nun geändert. Auch wenn Rhein und Al-Wazir bei öffentlichen Auftritten keinen Zweifel an einer harmonischen Beziehung aufkommen lassen wollen - im Wahlkampf wurde sich mitunter kräftig ans Schienbein getreten.

Dazu kommt: Tarek Al-Wazir gilt nicht mehr als so unumstritten wie früher. Bei seiner sechsten Spitzenkandidatur für die hessischen Grünen führte er die Partei zwar zum historisch zweitbesten Ergebnis. Dennoch hatten sich viele mehr erhofft als die 14,8 Prozent, die es am Ende wurden. Denn die bedeuten schließlich auch den Verlust von sieben Sitzen im Landtag.

Und - anders als bei der SPD - müsste sich Boris Rheins CDU bei einer Koalition mit den Grünen auf ein weiteres Wagnis einlassen: Nach dem Abschluss der Verhandlungen würden alle Grünen-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen.

Beim Vergleich der Wahlprogramme deutet sich zudem ein möglicher Konflikt im Bereich Landwirtschaft und Naturschutz an. Die CDU möchte die Landwirtschaft aus dem Umweltministerium herauslösen und ein neues Ressort für den ländlichen Raum integrieren.

Ein weiter Dauerkonflikt: Migration. Hier sind die Grünen für "Ordnung", die CDU will aber eher "Begrenzung". Zwar ist die Migrationspolitik erst mal kein landespolitisches Thema. Aber über den Bundesrat haben die Länder Einfluss auf die Bundespolitik. Und weil dort bei Abstimmungen jedes Land nur eine Stimme abgeben kann, muss man bei jedem Thema zu einer einheitlichen Haltung kommen. Bei der Migration könnte das mit der SPD leichter sein.

Was spricht für eine schwarz-rote Koalition?

Schwarz-Grün war das Projekt von Volker Bouffier. Ihm gelang es, die erste Koalition von CDU und Grünen in einem deutschen Flächenland zu schmieden. Boris Rhein könnte mit seinem eigenen Projekt in die Geschichtsbücher eingehen wollen. Und das wäre zum Beispiel, die Sozialdemokraten in ihrem ehemaligen Stammland Hessen nach fast 25 Jahren wieder in die Regierung zu holen. Dann allerdings als Juniorpartner.

Außerdem: Nach eben diesem Vierteljahrhundert ist der Drang der SPD groß, endlich wieder an die Macht zu kommen. Gelingt das nicht, droht der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Dass sich die SPD ausgerechnet in weiteren fünf Jahren Opposition erneuert, bezweifeln viele.

Genau diese Ausgangslage könnte dazu führen, dass die SPD "billiger zu haben" sein könnte als die Grünen - auch wenn das in Wiesbaden niemand laut sagen möchte. Aber beim Zuschnitt und der Verteilung von Ressorts könnte es der CDU mit den Sozialdemokraten leichter fallen, ihre Interessen durchzusetzen.

Inhaltlich gibt es mit der SPD größere Schnittmengen in den Bereichen Innere Sicherheit und Wirtschaft, beides für die CDU seit jeher wichtige Ressorts. Von den Grünen gab es da zuletzt viel Gegenwind, vor allem in Richtung des CDU-geführten Innenministeriums. Auch der Ausbau von Straßen dürfte der CDU mit der SPD leichter fallen als mit der Klimaschutzpartei Bündnis 90/Die Grünen.

Und was spricht dagegen?

Mit einem Wahlergebnis, das fast fünf Prozentpunkte unter dem von 2018 liegt, gilt die SPD als einer der großen Wahlverlierer. Der Wahlkampf war begleitet von zahlreichen größeren und kleineren Pannen. Ein missglücktes Video, bei dem CDU-Chef Boris Rhein in einer Reihe mit AfD-Rechtsaußen Björn Höcke gezeigt wurde, liegt vielen Christdemokraten bis heute schwer im Magen.

Noch dazu stellt sich bei der SPD die Frage nach dem Personal. Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die die Partei bei der Landtagswahl als Spitzenkandidatin anführte, hat immer wieder klargestellt, dass sie nicht für ein Amt in Wiesbaden zur Verfügung steht. Und beim Wahlsieger CDU hält man längst nicht jeden in der gestutzten SPD-Fraktion für ministrabel.

Während die Grünen beim Aspekt "Vertrauen" Punkte machen, liegt hier die Schwachstelle der SPD. Viele Christdemokraten halten die "Sozis" für bisweilen unberechenbar. Zuletzt wurde der Eindruck befeuert, als Jungsozialisten und der Frankfurter SPD-Chef den Rücktritt des Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Günter Rudolph, forderten. Ausgerechnet des Mannes, zu dem CDU-Chef Boris Rhein ein gutes Vertrauensverhältnis nachgesagt wird.

Inhaltlich sind Konfliktpunkte beim Thema Bildung zu erwarten. Während die CDU auf "Fördern und Fordern" setzt, hinterfragt die SPD Schulnoten grundsätzlich und will Kinder länger gemeinsam lernen lassen.

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