Aus einer Hessenkarte, deren Fläche zur Hälfte grün und zur anderen Hälfte schwarz ist ragen zwei Figuren mit grünen und schwarzen Oberteilen, die miteinander vehement gestikulierend sprechen. Daneben und davor steht eine kleine Figur in den Farben des Wahlkreuzes, die der Szene zuschaut. Rechts oben ein Wahlkreuz

Die zweite Amtszeit der Koalition aus CDU und Grünen in Hessen neigt sich dem Ende zu. Kaum eine Vorgänger-Regierung ging durch so harte Zeiten. Ein Rückblick.

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Zeugniszeit: Bilanz der schwarz-grünen Zweckehe

Boris Rhein wird Ministerpräsident
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Opposition ist bekanntlich Mist. Aber vielleicht war der eine oder andere in den zurückliegenden fünf Jahren doch froh, nicht an der Macht zu sein. Eine Pandemie, verheerende rechtsextreme Anschläge, ein Krieg und die Folgen, Krankheit und ein Suizid im Kabinett: Selten zuvor war Regieren in Hessen eine solche Last.

Mit der Hessen-Wahl am 8. Oktober neigt sich die zweite Legislaturperiode unter einer schwarz-grünen Landesregierung dem Ende zu. Über ihr Wirken haben die Koalitionäre selbst und ihre Gegner längst sehr unterschiedliche Bilanzen gezogen. "Große Stabilität, am Ende aber wenig Fortschritt", lautet das gemischte Urteil des Kasseler Parteienforschers Wolfgang Schroeder.

Ein Rückblick auf eine Zeit voller Krisen, aber ohne Regierungskrise.

1. Eine-Stimme-Mehrheit ohne Wackler

Mitte Januar 2019 wird Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im Landtag wiedergewählt. Die CDU mit dem schlechtesten Wahlergebnis seit Jahrzehnten muss den gestärkten Grünen mit Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir vier statt bisher zwei Ministerien überlassen.

Mit nur einer Stimme Mehrheit ist es eng wie nie zuvor. Aber es hält. Die minimale Überzahl diszipliniert, das Vertrauen ist in der gemeinsamen Zeit seit 2014 gewachsen. Unheil, von keinem geahnt, wird das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken.

2. Vertragstreue trotz Differenzen

Grundsätzliche Differenzen zwischen CDU und Grünen gibt es reichlich. Konflikte bleiben trotzdem lange unter der Decke. Sie werden in abendlichen Koalitionsrunden in der Staatskanzlei ausgetragen, viel später erst auch über Twitter oder Pressemitteilungen.

Neben dem Willen zur Macht wirkt das Rezept, Kompetenzen klar aufzuteilen und den Koalitionsvertrag "Aufbruch im Wandel" abzuarbeiten. Er sieht unter anderem neue Stellen bei der Polizei vor, den Ausbau von Ganztagsschulen, mehr Professoren für Hochschulen und mehr sozialen Wohnungsbau.

Schwarz-Grün in Hessen

3. Chef mit Nehmerqualität

Kurz nach der Wiederwahl erkrankt Regierungschef Bouffier ernsthaft. Eine längere Pause für die Strahlentherapie gegen den Hautkrebs oder gar zur Erholung legt er nicht ein.

Selbst monatelang sichtlich angeschlagen, managt er ein Land im anhaltenden Krisenmodus und das schwarz-grüne Zweckbündnis.

4. Attentate und Untersuchungsausschüsse

Ein Rechtsextremist erschießt den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU), ein Rassist tötet neun Menschen aus Zuwandererfamilien in Hanau. In zwei Untersuchungsausschüssen gerät nicht nur Innenminister Peter Beuth (CDU) in den Fokus kritischer Fragen. Er kommt auch wegen rechter Umtriebe in der Polizei und der NSU-2.0-Affäre in Erklärungsnot.

Auch seine Amtsvorgänger Bouffier und Boris Rhein (CDU) müssen sich rechtfertigen. Doch ob es schwere Versäumnisse und Fehler bei Verfassungsschutz und Polizei gab, bleibt strittig. Rücktrittsforderungen prallen an Beuth ab.

5. Historischer Ausnahmezustand

Hessens Gesundheitsminister Klose beim Corona-Test im Landtag

Von Sars-CoV-2 konnte nichts im Koalitionsvertrag stehen. Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie und ihren Fragen von Leben und Tod schwebt die Regierung lange in nicht gekannter Ungewissheit. Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern, die Not von Lockdown-Geschädigten und Dauerkritik von vielen Seiten erhöhen den Stress.

Versäumnisse gerade im Gesundheitswesen und an Schulen treten zu Tage. Von Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) erwartet auch die CDU in dramatischer Lage mehr. Eine gigantische Impfkampagne wird denn auch vom Innenministerium aufgesetzt und läuft ziemlich reibungslos. Gigantische Wirtschaftshilfen fließen.

6. Tod eines Ministers

Ende März 2020, zu Beginn der Coronakrise, gibt der Ministerpräsident mit Tränen in den Augen den Suizid seines Finanzministers und designierten Nachfolgers Thomas Schäfer (CDU) bekannt: "Er war verzweifelt und ging von uns."

So wird die erste Kabinettsumbildung eine, die sich keiner gewünscht hätte.

Gedenken an Thomas Schäfer im Eingangsbereich des hessischen Finanzministeriums in Wiesbaden.

7. Regieren im Schulterschluss

Nicht alltägliche politische Notgemeinschaften werden gebildet, um Zeichen zu setzen: Im Corona-Ausnahmezustand stimmt die Opposition mit der Koalition einstimmig für ein milliardenschweres Sofortpaket. Der Pakt hält nicht lange, weil CDU und vor allem die Grünen ein von der Opposition abgelehntes Corona-Sondervermögen durchdrücken - aus Krediten gefüllt mit zwölf Milliarden Euro.

Später setzen CDU, Grüne, SPD und FDP trotzdem in einer ganz großen Koalition gemeinsame Eckpunkte eines Abwehrschirms gegen hohe Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs.

8. Stoppschild der Gerichte

Die Koalition bringt sich aber auch selbst in Bredouillen, die in Schlappen enden. Ohne Vorbild ist die Frequenz, in der Gerichte sich mit Entscheidungen der Regierung befassen - und sie mehrmals zurückpfeifen.

So erklärt der Hessische Staatsgerichtshof das Corona-Sondervermögen für verfassungswidrig. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof kippt die Besoldung der Landesbeamten. Und das Bundesverfassungsgericht verlangt Nachbesserungen beim Einsatz der Polizei-Software "Hessendata".

9. Krieg und Folgen

Unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 versichert die Landesregierung der Ukraine Unterstützung, vor allem bei der Flüchtlingshilfe. Ein Aktionsplan zur Bewältigung einer weiteren "gewaltigen Aufgabe" folgt.

Der Druck steigt, Unterkünfte für zehntausende Ukrainer, aber auch andere Flüchtlinge zu finden. Kritik aus Opposition und Kommunen an der Verteilungspraxis und der Finanzierung wird laut.

10. Generationenwechsel mit Amtsbonus

Nach zwei Dritteln der Wahlperiode endet die Bouffier-Ära: So kann Boris Rhein mit dem Ministerpräsidenten-Bonus in den Landtagswahlkampf ziehen.

In einem Ressort greift Rhein mit hochkarätiger Besetzung durch: Roman Poseck (CDU), bis dahin Staatsgerichtshof-Präsident, macht als Minister Tempo bei der Justizreform. Rhein setzt bei heiklen Krisen auf Treffen wie den Gasgipfel oder den Sozialgipfel, ist viel im Land unterwegs. "Heiße Luft" und "Grüßaugust", spotten Gegner.

11. Top-Thema Klimawandel

Waldbrandfläche im Taunus

Auch das ist historisch: Erstmals steht der Klimawandel im Zentrum der Regierungserklärung zum Antritt eines hessischen Ministerpräsidenten. Es ist mehr als eine Gegenleistung dafür, dass die Grünen beim Wechsel mitspielen. Denn Hitzewellen, Dürren und Starkregen zeigen Wirkung.

1,8 Milliarden Euro werden in einem Doppel-Etat für Klimaschutz eingeplant, das erste Klimagesetz des Landes wird beschlossen. Kritik bezieht die Koalition trotzdem - zum Beispiel, weil es mit dem Ausbau der Windenergie zu langsam vorangehe.

12. Zusammenhalt schwindet

Nach fast zehn gemeinsamen Jahren knirscht es unter Rheins Führung zunehmend im Regierungslager. Nicht nur im Hanau-Untersuchungsausschuss gehen die Grünen auf Distanz. Empört reagieren sie auf Attacken von CDU-Bundeschef Friedrich Merz und CDU-Hessen-Generalsekretär Manfred Pentz gegen die Bundes-Grünen in der Ampel-Regierung.

Für Spannungen sorgt, dass die Grünen die Union herausfordern. Vor der Landtagswahl greifen sie erstmals offiziell nach dem Posten des Ministerpräsidenten, auf den die CDU seit knapp 25 Jahren das Abo hat.

13. Rückzug von vier Ministern

Gleich vier Kabinettsmitglieder haben genug von der Politik. Europa-Ministerin Lucia Puttrich (CDU, 62 Jahre alt), Umweltministerin Priska Hinz (Grüne, 64), Innenminister Peter Beuth (CDU, 55) und Sozialminister Kai Klose (Grüne, 49) kündigen den Rückzug nach der Wahl an. Beuth und Klose sind weit vom Pensionsalter entfernt.

Die SPD sieht es als Symptom: Demnach "erodiert das schwarz-grüne Projekt". Für die Opposition gilt wie für Minister: Keiner draußen erwartet, dass sie von der Last des Regierens reden.

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