Großes Zelt mit Metallwänden

Rund 100.000 Geflüchtete hat Hessen im vergangenen Jahr aufgenommen. Viele leben immer noch in Zelten und Turnhallen. Städte und Gemeinde können die Belastungen kaum noch stemmen. Vom Flüchtlingsgipfel am Mittwoch in Berlin erhoffen sie sich Unterstützung.

Camp am See - so wird der Ort umgangssprachlich genannt. Das klingt sehr viel schöner als es ist: Wer hier in Bensheim (Bergstraße) untergebracht ist, lebt wohl in einer der prekärsten Unterkünfte, die es momentan in Hessen gibt: Rund 600 Menschen leben hier in Zelten, zum Teil seit Monaten.

So auch die 16-jährige Farah Manner-Sadon. Sie ist seit seit sieben Monaten hier untergebracht, gemeinsam mit ihrer Schwester und ihren Eltern. "Wir schlafen schlecht", sagt die Irakerin. "Es ist immer laut im Zelt."

"Ich habe immer Angst, dass jemand reinkommt"

Auch ihre Mutter Iman Naif-Medi fühlt sich unwohl, sie sorgt sich vor allem um ihre Töchter: "Hier sind so viele junge Männer, diese Wohnkabinen sind alle offen - ich habe immer Angst, dass jemand reinkommt."

Als die Zeltstadt vergangenes Jahr errichtet wurde, sollte sie ursprünglich nur ein Provisorium sein. Der zuständige Dezernent im Kreis Bergstraße Matthias Schimpf (Grüne) sagt nun: "Es bereitet uns Bauchschmerzen, dass viele Menschen schon seit September hier sind."

Zelt von innen, Bauzäune mit schwarzen Planen

Aber wo sollen die Leute sonst hin? Man finde einfach keine Unterkünfte und Flächen mehr im Kreisgebiet, erklärt Schmipf. "Wir parken die Leute hier eigentlich nur."

Landesregierung: Viele Kommunen sind am Limit

Die Probleme mit der Unterbringung von Geflüchteten sind seit Monaten Dauerthema in Hessen – und die Situation wird offenbar nicht besser. Immer mehr Menschen fliehen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Hessen. Im vergangenen Jahr hat das Land rund 100.000 Menschen aufgenommen, die meisten aus der Ukraine. In letzter Zeit kommen außerdem besonders viele Menschen aus Afghanistan.

Wie stark das die Kommunen belastet, zeigt etwa eine aktuelle Umfrage des ARD-Magazins Report Mainz unter den bundesweit 400 kreisfreien Städten und Landkreisen: 17 Prozent derer, die geantwortet haben, gaben an, sie seien bereits über dem Limit.

Vom Flüchtlingsgipfel am Mittwoch in Berlin, bei dem sich Bund und Länder beraten wollen, erhoffen sich die Kreise und Kommunen deshalb mehr Unterstützung und bessere Regelungen.

Auch die Länder haben bereits ein gemeinsames Papier angekündigt: Sie fordern vom Bund mehr Geld zur Finanzierung der Flüchtlingshilfe. Die Hessische Landesregierung teilte vorab mit: "Die Zeit drängt. Viele Kommunen sind am Limit, auch finanziell." Schon jetzt habe das Land den Kommunen über 50 Millionen Euro vorgeschossen, die der Bund zugesagt, aber noch nicht ausgezahlt habe.

Städte und Gemeinden in Sorge

Besonders die Städte und Gemeinden schlagen derzeit Alarm. Denn: Sie stehen ganz am Ende einer langen Verteilungskette. Geflüchtete werden in Deutschland zunächst auf die Länder verteilt, dann auf die Landkreise und schließlich den Städten und Gemeinden zugewiesen.

Vielerorts gibt es seit Monaten Konflikte und Diskussionen um die Unterbringung. Es geht um Container, Zelte und Dorfgemeinschaftshäuser und natürlich um die große Frage: Was kommt danach? Wohnraum ist inzwischen fast überall knapp.

Der Main-Kinzig-Kreis reichte sogar in dieser Woche Klage gegen das Land ein, weil er das Verteilsystem in Hessen insgesamt für ungerecht hält.

Lahn-Dill-Kreis: Rathauschefs schreiben Brandbrief

Auch in den Kommunen des Lahn-Dill-Kreises sind die Probleme derzeit allgegenwärtig. Auch hier mussten hunderte Geflüchtete während des Winters über Monate in einem Festzelt leben, das erst Anfang dieser Woche wieder abgebaut wurde.

Alle 23 Rathauschefs des Landkreises hatten vor zwei Monaten einen gemeinsamen Brandbrief nach Berlin und Wiesbaden geschickt, in dem sie auf die Probleme bei der Flüchtlingsunterbringung vor Ort aufmerksam machten und mehr Unterstützung forderten.

Festzelt in Wetzlar, wo in diesem Winter Geflüchtete eine Unterkunft finden sollen

Die Antwort, die vor wenigen Tagen aus Berlin kam nennt Frank Inderthal (SPD), Bürgermeister der Stadt Solms und Sprecher des Zusammenschlusses, zwar ernüchternd. "Da wurden schöne Worte gefunden, um nichts auszudrücken", sagt er. Trotzdem hofft er weiter auf Hilfe aus Berlin - denn so wie jetzt könne es nicht weitergehen. Dabei gehe es um mehr als nur um finanzielle Unterstützung, sagt er.

 "Im Juli oder August haben wir keinen Platz mehr"

Der Bürgermeister glaubt: Wenn weiter so viele Menschen wie bisher dem Lahn-Dill-Kreis zugewiesen und auf die Gemeinden verteilt werden, werde man schon im Juli oder August keinen Platz mehr für die Menschen finden - selbst dann, wenn noch weitere Dorfgemeinschaftshäuser und Turnhallen zu Notunterkünften umgenutzt würden.

 "Wir wünschen uns, dass der Bund eigene Flächen zur Verfügung stellt, um Unterkünfte zu errichten, und dass das Land mehr Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung behält", meint Inderthal. Ansonsten sei in den Kommunen ein Zustand des Kontrollverlusts zu befürchten - und den Betroffenen drohe die Obdachlosigkeit.

Bergstraße: "Es sind einfach zu viele Menschen"

Auch im Kreis Bergstraße hofft man dringend auf Lösungen. Für Landrat Christian Engelhardt (CDU) liegen die Ansätze dafür auf der Hand: Seiner Ansicht nach brauche es vor allem eine bessere europäische Verteilung von Geflüchteten und eine Stärkung der EU-Außengrenzen, damit schon dort festgestellt werden könne, wer überhaupt eine Perspektive auf Asyl habe.

"Im Augenblick bleiben Menschen ohne Bleibeperspektive zum Teil jahrelang hier", kritisiert der Landrat. "Wenn die nicht kämen oder schneller wieder zurückgeführt würden, hätten wir es einfacher." Es sagt: Es seien momentan einfach zu viele Menschen, um sie anständig unterzubringen und integrieren zu können.

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