Defizit von über 36 Millionen Euro Löhnberg: Prüfbericht offenbart eklatante Mängel in der Haushaltsführung

Falsche Zahlen, fehlende Unterschriften, übergangene Aufsichtsgremien: Der Prüfbericht des ersten fehlenden Jahresabschlusses der Gemeinde Löhnberg liegt vor - und listet gravierende Versäumnisse im Rathaus auf.

Schild mit der Aufschrift Löhnberger Lilie
Kommt nicht aus den Schlagzeilen: die Gemeinde Löhnberg. Bild © Benjamin Müller (hr)

Im Mai dieses Jahres platzt die Bombe: Die Gemeinde Löhnberg im Landkreis Limburg-Weilburg ist teilweise zahlungsunfähig. Die Folgen für die Einwohner sind massiv: Ein Liquiditätskredit von vier Millionen Euro muss her, damit alle Rechnungen bezahlt werden können. Der muss bis Ende 2027 zurückgezahlt werden.   

Also heißt es sparen: Vereinsförderungen werden ebenso wie die Bewegungs- und Musikförderung in den Kitas und der Schule gestrichen, Kita-Gebühren werden eingeführt, die Friedhofsgebühren gehen hoch, und auch die Grundsteuer soll sich mehr als verdoppeln. 

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Aber nicht nur das: Löhnberg hat seit 2017 keine geprüften Jahresabschlüsse beim Regierungspräsidium (RP) Gießen abgegeben, das seit 2013 die Finanzaufsicht über die Gemeinde hat. Stattdessen wurden wohl falsche Zahlen gemeldet und über Jahre in einem kommunalen Meldesystem die Falschangabe getätigt, dass die geprüften Jahresabschlüsse vorliegen würden.   

Nun liegt der Prüfbericht des ersten fehlenden Jahresabschlusses für das Jahr 2017 vor. Der Bericht des Landkreises liegt auch dem hr vor. Er offenbart ein massives Defizit von damals schon 36,5 Millionen Euro (Stichtag 31. Dezember 2017). Und er offenbart eklatante Mängel in der Haushaltsführung.

hessenschau.de hat die wichtigsten Ergebnisse zusammengetragen.

"Das Wunder von Löhnberg" war eine finanzielle Luftnummer  

Im Februar 2019 stellte die Gemeinde verspätet einen unvollständigen Jahresabschluss auf. Dort war noch ein Überschuss von mehr als 900.000 Euro verzeichnet. Der vollständig aufgestellte Abschluss, der seit April 2024 geprüft wurde, weist dagegen ein Defizit von rund 40.000 Euro auf. Wie die Differenz von fast einer Million Euro zustande kommt und nicht bemerkt werden konnte, bleibt auch im Prüfbericht unklar.

Allerdings ist dies kein Einzelfall, wie eine interne Präsentation des Landkreises deutlich macht, die dem hr vorliegt. Hier ist zu sehen, dass Löhnberg von 2009 bis 2016 im Durchschnitt ein Defizit von rund 740.000 Euro im Jahr aufweist.  

Eine vorläufige Haushaltsanalyse, die ebenfalls im Zuge der Aufarbeitung vom Landkreis erstellt worden ist, rechnet damit, dass nach dem 2017er Abschluss auch fast alle weiteren Abschlüsse (außer 2018) mit einem deutlichen Minus zwischen Plan und Ergebnis abschließen werden - insgesamt mit einem Defizit von rund 5,5 Millionen Euro.

Gemeindevertreter und Verwaltung wurden übergangen  

Aus der 2017er Prüfung ist nun klar ersichtlich, was möglicherweise auch in anderen Jahren schief lief: Die Gemeindeführung hat Mehrausgaben getätigt, ohne die Genehmigung der entsprechenden Gremien einzuholen. Höher waren zum Beispiel die Kosten der Verwaltung, der sozialen Leistungen oder der Sportförderung.   

Über den Verlauf des Haushaltsjahres scheint die Gemeindevertretung nicht oder nicht vollständig unterrichtet worden zu sein, zumindest wurde dem Haushalt nach Angaben der Prüfer darüber kein Nachweis beigelegt. Nur so ist erklärbar, dass die Gemeindevertretung drei Wochen vor dem Bilanzstichtag am 31. Dezember 2017 einen Nachtragshaushalt ohne massive Anpassungen beschlossen hat.   

Gemeindevertreter hatten im Laufe der hr-Recherchen zu Löhnberg immer wieder betont, der Bürgermeister habe sie nicht oder falsch informiert. Der in den Ruhestand versetzte Bürgermeister Frank Schmidt (SPD) äußert sich weiterhin nicht. 

Vorschriften nicht eingehalten, die Aufsicht übergangen  

Es gibt Beispiele dafür, dass die Gemeindevertreter schon zuvor übergangen wurden: Laut Prüfern geht aus einer Rechnung hervor, dass Bürgermeister Schmidt und der Geschäftsführer der Löhnberger Energiegesellschaft 2011 einen Holz-Liefervertrag mit Hessenforst Weilburg über zehn Jahre unterschrieben haben. Die gesetzlich vorgeschriebene Unterschrift eines weiteren Mitglieds des Gemeindevorstands fehlt laut Bericht.  

Ein weiteres, aktuelles Beispiel: 2017 baute die Gemeinde einen neuen Aussichtsturm, obwohl lediglich eine Sanierung des bestehenden Turms geplant war. Ein Wirtschaftlichkeitsvergleich wurde zuvor offenbar nicht eingeholt. Und es gab kein Okay der Aufsichtsbehörde. Die Kosten lagen bei knapp 214.000 Euro statt der veranschlagten 195.000 Euro. Der Turm erhielt eine Landesförderung, trotzdem belief sich der Eigenanteil der Gemeinde auf rund 106.000 Euro.

Vermeintliche Bagatellen wie nicht erlaubte Barauszahlungen an ehrenamtliche Feuerwehrmitarbeiter in Höhe von je fünf Euro oder an eine Rockband sowie der Verkauf des iPhones des Bürgermeisters unter Wert reihen sich darin ein, dass Vorschriften nicht eingehalten wurden.  

Völlig unklar: Zweck der Löhnberger Immobilien GmbH & Co. KG  

Die Gemeinde gründete im Jahr 2016 eine Immobiliengesellschaft, obwohl schon eine Wohnungsbaugesellschaft vorhanden war. Im Haushalt lagen nach Angaben der Prüfer keine Nachweise über eine entsprechende und gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung der Kommunalaufsicht bei.   

Nachweise darüber, ob sich die Gemeindevertretung damit befasst hat oder die örtlichen Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern sowie Verbände eine Gelegenheit zur Stellungnahme bekamen, liegen ebenfalls nicht vor.  

Explizit entgegen einem Beschluss der Gemeindevertretung wurden zehn Immobilien, zum Beispiel eine kommunale Kita, nicht an die Wohnungsbaugesellschaft veräußert, sondern an die Immobiliengesellschaft übertragen. Trotz dieser Übertragung an die Privatgesellschaft übernahm die Gemeinde weiter Rechnungen für diese Objekte, wodurch ihr nach Angaben der Prüfer ein finanzieller Schaden in noch unklarer Höhe entstand. 

Haben die Aufsichtsbehörden nicht genau hingeschaut?  

Und die Rolle der Aufsichtsbehörden? Bereits im Kommunalbericht des Hessischen Rechnungshofs von 2019 heißt es zu Löhnberg: "Bitte nicht nachmachen!" Der Rechnungshof bezeichnete damals die Haushalte der Gemeinde von 2013 bis 2017 als instabil und auch künftig gefährdet. Löhnberg sei als konsolidierungsbedürftig einzustufen.   

Der Rechnungshof kritisierte schon hier auch die Jahresabschlüsse von Löhnberg. Diese seien unvollständig oder gar nicht aufgestellt worden, hieß es. Trotzdem seien die unvollständigen Abschlüsse vom Rechnungsprüfungsamt des Landkreises Limburg-Weilburg akzeptiert worden. Und das RP Gießen habe die Haushaltsgenehmigung für das Haushaltsjahr 2018 erteilt, obwohl dies nicht hätte passieren dürfen.

Auf hr-Anfrage betonte das RP Gießen, geprüfte Jahresabschlüsse seien keine Genehmigungsvoraussetzung für die Haushalte der Folgejahre. Dem RP seien die wichtigsten Kennzahlen gemeldet worden. Außerdem habe es im Kommunalen Meldesystem die Angabe gegeben, dass geprüfte Abschlüsse vorliegen würden. Man sei von der Richtigkeit der gemeldeten Zahlen und Angaben ausgegangen.  

Zudem sei es aufgrund der Umstellung des kommunalen Haushaltsrechts auf ein neues System zu einem erheblichen Rückstau bei der Aufstellung der Jahresabschlüsse und der Prüfungen gekommen. Prüfungsverzögerungen seien deswegen nicht ungewöhnlich.  

Generell habe das RP aufgrund von den Angaben gehandelt, die die Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte. Insofern sei die Aufsicht im Einklang mit den aufsichtsrechtlichen Vorgaben ausgeübt worden.  

Kommunalrechtler: Ermittlungen möglich  

Für den Kommunalrechtler Maximilian Roth könnte der Prüfbericht durchaus strafrechtliche Ermittlungen zur Folge haben. Die Rechtslage beim Thema Untreue in Kommunen sei aber kompliziert. Im Falle von Löhnberg habe die Gemeinde beispielsweise durch den Aussichtsturm durchaus eine Gegenleistung erhalten.  

Außerdem seien - sofern strafrechtliches Verhalten vorliege - auch disziplinarische Maßnahmen denkbar, die zu einer Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts des Bürgermeisters führen könnten. Allerdings würde ein Disziplinarverfahren ausgesetzt, wenn es in die gleiche Zeit wie ein Strafverfahren falle.

Prüfung des Jahresabschlusses 2018 folgt

Auf hr-Anfrage teilte der Staatsbeauftragte Bürgermeister, Heiko Stock, schriftlich mit, dass die Prüfung des Jahresabschlusses 2018 "weit fortgeschritten" sei: "Der Prüfauftrag an das Revisionsamt ist erteilt, und es wurden Prüftermine vereinbart, die Ende Januar 2025 beginnen sollen." Wann das Ergebnis vorliegen soll, schrieb Stock nicht.

Danach sind entsprechend die Prüfungen der folgenden Jahresabschlüsse an der Reihe. Über den genauen Fahrplan stimmt der Staatsbeauftragte Bürgermeister sich nach eigenen Angaben mit dem RP Gießen ab.

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Quelle: hessenschau.de