Der neue Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer

"Falls dich in deiner Burg noch irgendwas erreicht …": Als neuer Juso-Bundesvorsitzender hat der Offenbacher Philipp Türmer gleich mal SPD-Kanzler Scholz ins soziale Gewissen geredet. Der 27-Jährige lebt Solidarität selbst vor.

Videobeitrag

Video

Neuer Juso-Bundesvorsitzender aus Offenbach

Der neue Juso-Vorsitzende beim Interview
Ende des Videobeitrags

Diesmal ist der Andrang besonders groß, und die Supermärkte haben eher wenig geliefert: Einmal pro Woche schiebt Philipp Türmer Freiwilligen-Dienst bei der karitativen Tafel in Heusenstamm. Dort hat der 27 Jahre alte Jura-Doktorand aus dem nahen Offenbach in der Corona-Krise den Lieferservice für Senioren mit aufgebaut. Sechs Stunden in der Woche hilft er beim Verteilen.

"Wenn man hier lebt, kommt man nicht umhin, damit konfrontiert zu werden, wie viele Menschen in unserer Gesellschaft auf der Verliererseite stehen", sagt der Beamtensohn zu seiner Offenbach-Erfahrung. Und dass man da zu hinterfragen beginne, wie gerecht eine Welt voller Armut sei, fügt Türmer hinzu.

Wenn der junge Mann demnächst mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen Kaffee trinkt, kann er die Frage gleich im persönlichen Gespräch weiterreichen.

Mit sozialer Frage bewaffnet

Das Treffen ist schon geplant. Denn Türmer und Scholz sind seit vergangenem Wochenende nicht mehr einfach nur Parteigenossen. Der Offenbacher wurde beim Bundeskongress des SPD-Nachwuchses zum neuen Juso-Vorsitzenden gewählt.

Bewaffnet mit der sozialen Frage, die den Juristen um- und antreibt, attackierte er Scholz bei der Gelegenheit schon mal öffentlichkeitswirksam: "Lieber Olaf, falls dich in deiner Burg, im Kanzleramt, noch irgendwas erreicht, falls du dich erinnerst, für wen du angetreten bist, dann ändere deinen Kurs!"

Türmers Auftritt war nicht nur persönlich konsequent. Dass ein Juso-Chef den alten Herren in der Parteispitze ordentlich Druck mit der Erinnerung an linke Ideale macht, gehört seit jeher zum Anforderungsprofil.

So ordnet auch der Parteinforscher Uwe Jun von der Universität Trier die neue Rolle Türmers ein. "Die Jusos sind immer auch der Stachel im Fleisch der Partei. Sie fordern mehr Umverteilung und mehr soziale Gerechtigkeit und das, was man als kulturell links versteht, wie Minderheitenrechte beispielsweise oder Klimagerechtigkeit."

Erprobtes Karriere-Sprungbrett

In einer Koalition, bei der auch die FDP beteiligt ist, wird Türmer wohl häufiger aus der Sorge heraus piksen müssen, Scholz und die Partei rückten zu weit in die Mitte. Der neue Juso-Chef will jedenfalls kein "weiterer selbst ernannter Pressesprecher der Ampel-Regierung" sein.

Karriereschädlich ist das erfahrungsgemäß nicht, im Gegenteil. Ob Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Ex-Parteichefin Andrea Nahles oder der aktuelle Generalsekretär Kevin Kühnert: Sie alle haben sich vor allem innerparteilich profiliert - zunächst im Parteinachwuchs. Der von Türmer kritisierte Scholz weiß das aus eigener Erfahrung: Er war in seinen Sturm-und-Drang-Jahren Vize-Bundesvorsitzender der Jusos.

"Wenn die ihn mir versauen ..."

Einblicke in die Partei und ihre Basis hatte Türmer schon einige. SPD-Mitglied ist er seit elf Jahren, seitdem engagiert sich der heute 27-Jährige bei den Jusos und in der Kommunalpolitik. Aber der Berliner Politik-Betrieb ist von anderem Kaliber.

"Er ist genau der Richtige, weil er alle Schichten versteht." Dieses Einser-Zeugnis für den neuen Job stellt ihm Christine Sparr aus. Die Geschäftsführerin der Offenbacher Tafel, die ihren Helfer ungern verliert, wie sie sagt, hat aber auch Angst um ihn: Wenn er mal nur nicht in der Bundeshauptstadt aufgerieben wird. "Wenn die in Berlin ihn mir versauen, kriegen sie Ärger mit mir", sagt Sparr.

Keine Angst vorm Rüffel

Die Sorge hat der neue Juso-Bundeschef selbst nicht. Er hat auch keine Angst vor einem Rüffel von Scholz beim ersten Kaffee. Mehr macht Türmer der bevorstehende Wegzug aus Offenbach zu schaffen.

Die Stadt glänze nicht unbedingt mit Schönheit und sei sehr arm, sagt er: "Aber der Zusammenhalt ist großartig." Türmer will möglichst oft zwischen Berlin und Offenbach pendeln.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen