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Hanau-Ausschuss: Polizist sagt zu Überbringung der Todesnachrichten aus

Graffiti, welches unter der Friedensbrücke in Frankfurt an die Opfer des rechten Terroranschlages von Hanau erinnert

Die Angehörigen der Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau erhielten erst am nächsten Morgen die Todesnachrichten. Im Untersuchungsausschuss des Landtags hat ein Polizist berichtet, wie es zu der Verzögerung kam.

Quälend lange Stunden der Ungewissheit mussten die Familien der Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau vor knapp drei Jahren in einer Sporthalle ausharren. Die Polizei hatte sie in der Anschlagsnacht dorthin gebracht. Erst am frühen Morgen des folgenden Tags, um kurz nach 6 Uhr, erhielten sie die Todesnachricht. Die Namensliste hatte schon um 5.15 Uhr vorgelegen. Warum kam es zu dieser Verzögerung?

Ein Polizist hat am Freitag im Untersuchungsausschuss des Landtags versucht, Antworten zu liefern. "Wir waren nicht sicher, wie wir vorgehen sollten", sagte er. Er war damals für die Information der Familien zuständig. Man hatte ihn dafür ausgesucht, weil er als "Einsatzleiter Sprecher" die größte Erfahrung bei der hessischen Polizei mitbringt und andere Beamte in dieser Aufgabe ausbildet.

Ein 43-jähriger Hanauer erschoss am 19. Februar 2020 neun Menschen aus rassistischen Motiven. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Ausschuss soll klären, ob es rund um die Tat zu einem Behördenversagen gekommen war. Überlebende und Angehörige der Anschlagsopfer kritisieren die Arbeit etwa der Polizei teils heftig.

Polizist: "Viele berechtigte Fragen"

Wie der Polizist am Freitag im Landtagsausschuss weiter ausführte, gab es ein weiteres Problem für die Überbringung der Todesnachricht: "Die Halle war dafür nicht geeignet." In der Sporthalle der Polizei wurden sonst Einsatzszenarien geübt. An den Wänden hingen Fadenkreuze, darauf Spuren von Farbmunition. Seine Sorge: Das könnte die Angehörigen traumatisieren.

Es habe in der Halle auch zu wenige Nebenräume gegeben, um alle Familien separat unterbringen und informieren zu können. "Eine Schule wäre besser gewesen mit verschieden großen Klassenräumen", sagte der Beamte. Zunächst habe sich die Polizei dazu entschlossen, die Familien hintereinander in einen Raum zu bringen, um sie über den Verlust ihres Angehörigen zu informieren.

Doch bei der ersten Familie habe der Vater des Ermordeten "viele berechtigte Fragen" gestellt, sagte der zuständige Polizist. "Das hat zu lange gedauert für die übrigen Familien, die schon unruhig wurden." So sei er zum Schluss gekommen, "dass eine schreckliche Nachricht nicht besser wird, wenn man sie hinauszögert".

Polizist: "Habe nach den richtigen Worten gesucht"

Daraufhin habe man die Angehörigen der weiteren Todesopfer gemeinsam informiert. Bevor der Polizist die Liste mit den Namen der Opfer verlas, hatte er sich nach eigener Aussage an die Familien gewandt: "Sie alle haben einen Angehörigen verloren, was sie zu einer Gemeinschaft macht." Dieser Satz sei bei der zentralen Trauerfeier auch in der Rede einer Angehörigen zitiert worden. Der Polizist deutete dies als Zeichen dafür, mit seiner Wortwahl damals richtig gelegen zu haben, wie er am Freitag sagte.

Er habe sich damals "die Wortwahl nicht einfach gemacht und nach den richtigen Worten gesucht", erklärte er im Ausschuss und fügte hinzu: "Es war der emotionalste Augenblick in meiner über 30-jährigen Tätigkeit."

Linke: Opferschutz hat zu geringen Stellenwert

Die Opposition im Landtag hält einen besseren Opferschutz und eine bessere Betreuung von Angehörigen in Hessen für überfällig. Es sei sehr ernüchternd, dass trotz langjähriger Erfahrungen mit rechtem Terror der Opferschutz einen offensichtlichen geringen Stellenwert habe, sagte Saadet Sönmez, Obfrau der Linksfraktion, am Freitag: "Das polizeiliche Betreuungszentrum für Angehörige in der Polizeistation Hanau II diente eher der Verwahrung als der tatsächlichen Betreuung von Angehörigen."

Dieser Kritik schloss sich die FDP-Fraktion an. "Nach Vorfällen wie dem rassistisch motivierten Anschlag von Hanau sollte sichergestellt werden, dass es für die Betreuung von Angehörigen ausreichend und angemessene Räume gibt", sagte deren Obmann Jörg-Uwe Hahn. Zudem müsse bei solchen Einsätzen die Konfession der Opfer in den Blick genommen werden. "In der Tatnacht waren drei Seelsorger christlicher Konfessionen anwesend, jedoch keine muslimischen Seelsorger. Das wäre aber wichtig gewesen."

SPD: Klare Organisation hat gefehlt

In diesem Punkt sieht auch Heike Hofmann von der SPD-Fraktion Verbesserungsbedarf. "Wenn erkennbar ist, dass muslimische Seelsorger oder Seelsorger anderer Konfessionen benötigt werden, müssen diese auch in solchen Einsätzen bedarfsgerecht eingesetzt werden", forderte Hofmann. Sie monierte außerdem, dass in der Anschlagsnacht eine klare Organisation der Opferschutzaufgabe sowie eine konkrete Aufgabenzuweisung gefehlt hätten. Den "sehr bemühten Beamten" sei keinerlei Vorwurf zu machen. "Sie konnten ihrer Aufgabe schlichtweg nicht gerecht werden", findet Hofmann.

Die Grünen wünschen sich insgesamt einen sensibleren Umgang mit den Opfern und Angehörigen. Vanessa Gronemann, Obfrau der Grünen, sagte: "Auch wenn die Infrastruktur für einen Opferschutz vorhanden ist, müssen die Organisation des Opferschutzes und der Umgang mit den Betroffenen derart eingeübt sein, dass ein empathischer, auf die Opferbelange ausgerichteter Umgang automatisiert angewendet werden kann."

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