Ein Plakat zur Kommunalwahl 2021 hängt zu Beginn einer Kampagne der Stadt Frankfurt an einer Litfaßsäule in der Innenstadt.

Die Kommunalwahl als reine Briefwahl: Das fordern einige Bürgermeister in der Corona-Pandemie. Warum die Briefwahl aber als Ausnahme gedacht ist, erklärt der Staatsrechtler Markus Ogorek im Interview.

Die Kommunalwahlen 2021 sind anders als sonst: Wegen der Corona-Pandemie mussten viele Bürgermeister neue, ausreichend große Wahllokale finden. Masken werden an Wahlhelfer verteilt, eigene Stifte dürfen mitgebracht werden. Angesichts dieses Aufwands hatten einige Bürgermeister gefordert, die Wahlen als reine Briefwahlen abzuhalten - wie 2020 in Bayern.

Der Rechtswissenschaftler Markus Ogorek erklärt im Interview, was in Bayern den Unterschied machte und warum die Briefwahl in Hessen diesmal so wichtig ist. Ogorek war bis 2020 Präsident der privaten EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Jetzt forscht und lehrt er am Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln.

Professor Markus Ogorek

hessenschau.de: Herr Ogorek, einige hessische Kommunen hatten es diesmal schwer, Wahlhelfer zu finden. Ältere Helfer aus den Risikogruppen fielen weg, bei jüngeren gibt es Ängste, Menschen könnten ohne Maske in die Wahllokale kommen - weggeschickt werden dürfen sie aber nicht.

Markus Ogorek: Maskenverweigerer dürfen in der Tat auch in Ausübung des Hausrechts nicht einfach von der Wahl ausgeschlossen werden, wie ein Erlass des Innenministeriums neuerlich unterstreicht. Aber: Gegenüber Maskenverweigerern kann durchaus ein Bußgeld verhängt werden, auch wenn dies keinen Ausschluss von der Wahl zufolge hat.

hessenschau.de: Das bedeutet, die Ordnungsämter müssen mehr Präsenz zeigen als sonst?

Ogorek: Richtig, wobei eine flächendeckende Kontrolle erhebliche Ressourcen binden würde. Die Wahlhelfer sind aber angehalten, Verstöße aktiv telefonisch bei dem jeweiligen Ordnungsamt zu melden. Nach einem solchen Anruf sind die Einsatzkräfte sicher schnell vor Ort.

hessenschau.de: Wichtig bleibt letztendlich also, dass die Wahlhelfer mit ausreichend Schutzmaterialien ausgestattet werden.

Ogorek: Ja, und die Landesregierung gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, um Wahlhelfer bestmöglich zu schützen: Dazu gehört, dass die Abstandsregeln beachtet werden und die Wahlräume entsprechend groß sowie gut durchlüftet sind.

Frankfurt will etwa auf Messehallen zurückgreifen. Wähler sind gehalten, eigene Stifte mitzubringen, um den Kontakt so gering wie möglich zu halten. Außerdem werden alle Wahlhelfer mit FFP2- und OP-Masken ausgestattet.

hessenschau.de: Einige Bürgermeister haben sich über den immensen Aufwand beschwert und gefordert, die Wahl als reine Briefwahl abzuhalten - ähnlich wie die Stichwahlen bei der Kommunalwahl in Bayern im März 2020. Das Innenministerium hat mit verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen argumentiert. Worin liegt der Unterschied?

Ogorek: Die Besonderheit in Bayern lag darin, dass zum damaligen Zeitpunkt Infektionsart und -wege des neuartigen Virus noch überhaupt nicht bekannt waren. Vielleicht erinnern Sie sich: Der Aufenthalt mehrerer Menschen in einem Raum galt damals noch als weitgehend unbedenklich, wenn bloß auf Händeschütteln verzichtet würde. Belastbare Hygienekonzepte konnten nach damaligem Wissen noch nicht erstellt werden.

Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die bayerische Entscheidung als Ausnahmefall anzusehen ist. Nach einem Jahr Corona und vielfältigen Erkenntnissen über das Virus sieht die Lage heute ganz anders aus.

hessenschau.de: Nun ist das Virus aber mutiert, weswegen auch Virologen besorgt sind. Hätte das keinen weiteren Ausnahmefall begründet?

Ogorek: Nein, denn die nun aufgetretenen Mutationen verbreiten sich nach aktuellem Kenntnisstand weiterhin auf den bekannten Wegen. Die mit ihnen einhergehenden erhöhten Risiken bieten aber Anlass, auf die konsequente Durchsetzung der Hygienekonzepte besonders zu achten.

hessenschau.de: Viele Menschen werden sicherlich auf die Briefwahl ausweichen. Welche Bedenken gibt es dagegen?

Ogorek: Gegen die Briefwahl gibt es eine Vielzahl verfassungsrechtlicher Bedenken. So ist zum Beispiel kaum nachvollziehbar, ob der Wähler seine Stimme unbeeinflusst und höchstpersönlich abgegeben hat, und ob er beobachtet worden ist.

Unter Juristen wird zudem darauf hingewiesen, dass Bürger, die bereits geraume Zeit vor der Urnenwahl ihre Stimme abgegeben haben, auf aktuelle Entwicklungen nicht mehr reagieren können. Wer sich kurz vor der Wahl noch umentscheiden möchte, hat hierzu keine Möglichkeit mehr.

hessenschau.de: Und doch ist die Briefwahl so wichtig in Zeiten von Corona.

Ogorek: In der Tat. Angesichts der dramatischen Infektionszahlen ist davon auszugehen, dass insbesondere viele ältere Menschen anderenfalls vor der Stimmabgabe zurückschrecken würden. Nicht ohne Grund ist die "Allgemeinheit", also eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, ein wichtiger Grundsatz.

Weil die Briefwahl hier einen wertvollen Beitrag leistet, kann aus rechtlicher Sicht hingenommen werden, wenn die Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl durch viele Stimmabgaben per Brief eingeschränkt werden.

hessenschau.de: Deswegen dürfen die Kommunen diesmal sogar für die Briefwahl werben. Ist das verfassungsrechtlich unbedenklich?

Ogorek: Als die Briefwahl eingeführt wurde, war sie als Ausnahme gedacht. Die Urnenwahl macht die repräsentative Demokratie in besonderer Weise erfahrbar. Auch wenn die Stimmabgabe per Brief heute nicht mehr besonders begründet werden muss, bleibt der Gang in das Wahllokal der gesetzlich vorgesehene Regelfall.

Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass die Gemeinden sich im Grundsatz in Zurückhaltung üben, was offensive Werbung für die Briefwahl anbelangt. Angesichts der Corona-Krise halte ich es allerdings für verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Kommunen stärker als bisher ihre Zurückhaltung an dieser Stelle aufgeben.

Eine hohe Wahlbeteiligung ist schließlich das Lebenselixier der Demokratie. Darauf sind wir auch bei Kommunalwahlen dringend angewiesen.

hessenschau.de: Kleine Parteien sind normalerweise auch besonders auf den Straßenwahlkampf angewiesen. Wie schätzen Sie es juristisch ein, dass dieser nicht stattfinden kann?

Ogorek: Tatsächlich fallen ganz zentrale, wichtige Elemente weg: Neben dem Straßenwahlkampf auch das Gespräch an der Haustür oder öffentliche Diskussionsrunden. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Chancengleichheit der Parteien unzulässig beeinträchtigt ist. Denn die Einschränkungen gelten ja nicht nur für die kleinen oder oppositionellen, sondern für alle Parteien gleichermaßen.

Umso wichtiger ist es, dass die Medien noch stärker als bisher die politischen Debatten im Vorfeld der Wahl begleiten und die Kandidaten einer breiten Öffentlichkeit vorstellen.

hessenschau.de: Stimmen Sie der Landesregierung zu, die immer wieder betont hat, die Bürgermeisterwahlen im November hätten gezeigt, dass in Pandemiezeiten "Wahlen mit Abstand" möglich seien?

Ogorek: Richtig ist: Bei den vergangenen Wahlen gab keine Masseninfektionen, die Hygienekonzepte waren offenbar wirksam. Allerdings muss man auch sagen, dass die Bürgermeisterwahlen nicht in allen Kommunen stattfanden.

Abgesehen davon haben wir heute die Situation, dass sich kleine, aber lautstarke Teile der Bevölkerung radikalisiert haben. Inzwischen kennt wohl so gut wie jeder Fälle notorischer Maskenverweigerung.

Hinzu kommen die beschriebenen Gefahren der Corona-Mutanten. Trotz allem bin ich fest davon überzeugt, dass ein hybrides Konzept, das die Urnenwahl als Grundsatz mit einer hohen Briefwahl-Beteiligung kombiniert, insgesamt die beste Lösung ist - und einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält.

Das Gespräch führte Sonja Fouraté.