Bildkombination, links Holzfässer zur Garnelenzucht und rechts eine Garnele im Wasserbecken

Der Biologie-Professor Tom Wilke möchte die Garnelenzucht revolutionieren. Sein Forschungsteam in Gießen hat eine energie-effiziente Garnelenfarm gebaut und entwickelt ein nachhaltiges Futter für die Krebstiere. Gegessen werden dürfen die Tiere aber nicht.

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Garnelen sollen in Hessen gezüchtet werden

Forscher bei Zuchtbecken
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Die meisten Garnelen, die bei uns auf dem Teller landen, werden aus weit entfernten Ländern importiert. Zum Beispiel aus Zuchtanlagen in Südamerika oder Südostasien. "Dabei spielen Tierwohl und Nachhaltigkeit oft aber gar keine Rolle", sagt Tom Wilke, Professor für Tierökologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.

Unter anderem sei es dort gängige Praxis, dass den Garnelen ein Auge abgeschnitten wird, weil sie so schneller geschlechtsreif werden. In der EU ist das verboten, Tierschutz wird deutlich strenger kontrolliert.

Aber: Es gibt in Europa auch deutlich weniger Zuchtanlagen. Das möchte Wilke ändern. Sein Forschungsteam hat deshalb auf dem Uni-Campus in Gießen eine nachhaltige Garnelenfarm aufgebaut. "Wir entwickeln hier neues Wissen und neue Technik und zeigen damit allen Züchtern, wie man auch in Deutschland tropische Meerestiere produzieren kann." 

Für Garnelen muss das Wasser warm sein  

Die Krebstiere mit schwarzen Knopfaugen, geschwungenen Antennen und einem weiß-orangenen schimmernden Chitin-Panzer wurden aus einem bestimmten Grund gewählt: Sie sind so ziemlich die anspruchsvollsten Zuchttiere im Wasser. Garnelen sind nämlich krankheitsanfällig. Sie brauchen eine stabile Wassertemperatur von 28 Grad, eine spezielle Futtermischung und relativ viel Platz im Becken.  

Doktorandin Annalena Barth an ihrem Forschungsort - der Garnelenfarm, sie lächelt, trägt eine blaue Kurzarmbluse mit Muster, Brille, die Haare zum Zopf zurückgekämmt.

"Wenn wir es schaffen, Garnelen nachhaltig zu züchten, dann klappt das auch mit allen anderen Meerestieren", ist sich Annalena Barth sicher. Die Doktorandin möchte unter anderem erforschen, wie viele Garnelen auf einmal gehalten werden können. In einer Versuchsreihe hält sie zwei, drei und fünf Jungtiere in jeweils gleichgroßen Becken und vergleicht, wie gesund die Garnelen heranwachsen. 

Ein Beitrag aus Gießen "zur Verbesserung der Welt"

Insgesamt leben einige Tausend Garnelen auf dem Uni-Campus. Sie sind alle in Deutschland zur Welt gekommen. Entweder in Gießen selbst oder in der Zuchtanlage 'Suburban Sea Food' in der Nähe von Dresden. Neben dieser gibt es nur wenige andere Farmen für tropische Garnelen in Deutschland, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern.

"Wir sind mit der deutschen Garnelen-Community in einem regen Austausch. Wir wollen aber auch weltweit dazu beitragen, dass ein größeres Bewusstsein für Tierwohl bei Garnelen entsteht", erklärt Barth.  

Schon seit fünf Jahren planen und tüfteln die Biologen an ihrem Garnelen-Projekt. Das Bundesforschungsministerium fördert das mit insgesamt drei Millionen Euro. Nach dem Abschluss der Bauarbeiten wird am Donnerstag die Garnelenfarm offiziell eröffnet. Wilke freut sich, dass das Projekt damit endlich richtig losgeht: "Es ist toll, mit jungen Leuten Lösungen für globale Probleme zu entwickeln und hier einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu liefern." 

Energie-effiziente Zuchtanlage ist fertig 

Die Garnelenfarm in Gießen ist in ihrer Art weltweit einzigartig. Um die Energiekosten so gering wie möglich zu halten, hat sich das JLU-Forschungsteam zusammen mit Studierenden der Technischen Hochschule Mittelhessen eine sogenannte Haus-in-Haus-Lösung überlegt. "Wir kamen auf die Idee, ein Gebäude zu nutzen, indem wir eine Hülle reinbauen. So können wir die Wärme besser dämmen und auch die Salzluft zurückhalten und recyclen", erklärt Wilke.  

Gebäudeeingang zur Garnelenzucht

In dem zweistöckigen Bau aus Holz, mitten in einer größeren Halle, ist nur die modernste Technik verbaut: Hocheffiziente Wärmepumpen, Solaranlagen und Wasserfilter. Ähnlich wie bei einem 'Smart-Home' können diese Geräte je nach Bedarf an- und ausgeschaltet werden.

"Heizung und Strom tragen am meisten dazu bei, dass eine Garnelenproduktion in Europa so kostspielig ist. Wir wollen den CO2-Fußabruck senken, aber auch wirtschaftliche Lösungen anbieten", sagt Wilke.  

Werden deutsche Garnelen bald günstiger? 

Hier schwimmen die Garnelen nun in Fässern aus Douglasien-Holz. Im Vergleich zum weltweiten Industrie-Standard mit Kunststoff-Becken, kommt die Anlage in Gießen komplett ohne Mikroplastik aus.

Holzfässer für Garnelenzucht

Außerdem haben die Krebstiere hier durch die natürliche Schicht aus Bakterien auf dem Holz eine Art Schutzschild. Einen solchen Biofilm gibt es in industriellen Plastik-Becken nämlich nicht. Garnelen sind dort umso anfälliger für Krankheiten. 

Wenn andere Züchter dem Gießener Modell folgen, dann schätzt Wilke, dass Garnelen bald günstiger sind. "Aktuell zahlt man für Garnelen aus Deutschland zwischen 70 und 100 Euro pro Kilo. Nach unseren Berechnungen können wir aber am Ende unter 50 Euro pro Kilo bleiben." Das sei zwar immer noch nicht billig, so Wilke, "aber Garnelen sind ja auch ein Produkt, das nur einmal pro Monat oder einmal pro Woche auf dem Teller landet."  

Futter aus Insektenlarven soll Fischmehl-Produkte ersetzen

Nicht nur baulich ist sein Team auf der Zielgeraden: Schon im nächsten Jahr soll ein neues Garnelen-Futter fertig sein. Die bisherige Hauptzutat, Fischmehl, soll durch eine Alternative auf Insektenbasis ersetzt werden.

"Für jedes Kilo Garnelen, das produziert wird, müssen drei bis vier Kilo Fisch verfüttert werden", rechnet Barth vor. Sie kritisiert auch die Transportwege: "Das Pulver reist zweimal um den Planeten, ehe es überhaupt bei den Garnelen ankommt."  

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28 Grad und viel Platz - so fühlen sich Garnelen wohl

Zuchtgarnele im Wasserbecken
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Gerade mit Hinblick auf die weltweite Überfischung sei das nicht nachhaltig. In Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut verarbeiten die Biologen in Gießen stattdessen schwarze Soldatenfliegen zu Mehl.

"Der Vorteil ist, dass man Insekten sehr gut auf engstem Raum züchten kann", sagt Barth. Für Insekten könnten zudem Abfallprodukte aus der Landwirtschaft verwendet werden, die sonst im Müll landen würden, wie Apfeltrester oder Kakao-Schalen.  

Garnelen-Zucht soll überall nachhaltiger werden 

Wilke hofft, dass sich Insekten als Futtermittel durchsetzen, nicht nur in Europa, sondern auch in Entwicklungsländern.

Professor Thomas Wilke vor Holzbottichen in der Garnelenfarm der Uni Gießen, er trägt ein blaues Langarmhemd mit Muster, den Riemen einer Tasche quer vor der Brust.

Er arbeitet wegen eines anderen Projekts eng mit Partnern in Kolumbien zusammen und weiß: "Viele lokale Gemeinschaften könnten dort unabhängiger werden von der Preispolitik der Futtermittelproduzenten. Eine Insektenfarm kann jeder Landwirt problemlos betreiben." 

Einziger Wermutstropfen des Groß-Projekts: Die Garnelen aus Gießen dürfen nicht gegessen werden. Weil sie unter Laborbedingungen gehalten werden, erfüllen sie nicht alle Lebensmittelstandards.

Im Idealfall profitieren aber von diesen Forschungen auch ihre Artgenossen in den weltweiten Garnelenfarmen. Wilke unterstreicht: "Es sind Lebewesen und da gehört es dazu, sie respektvoll zu behandeln. Wir glauben, dass eine Garnele, die unter guten Bedingungen gehalten wurde, die wenig Stress hat, hinterher auch ein gutes Nahrungsmittel ist." 

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