2010 begann der Ausbau des eigenen Glasfasernetzes im Odenwaldkreis.

Binnen zehn Jahren schaffte es der Odenwald vom bundesweit gefeierten Glasfaser-Vorzeigekreis zur abgeschlagenen hessischen Internet-Schnecke. Eigene Fehler und schlechtes Timing ließen den Kreis zurückfallen. Jetzt will er wieder an die Spitze.

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Internet im Odenwaldkreis: einst Vorreiter, jetzt Schlusslicht

Bis 2030 soll der Odenwaldkreis flächendeckend mit Gigabit-Anschlüssen versorgt sein.
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Es ist gerade einmal ein gutes Jahrzehnt her, da schauten beim Thema Digitalisierung und Breitbandausbau viele mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid auf den Odenwald. Der ländlich geprägte Kreis in Südhessen hatte gerade als erster Flächenkreis in ganz Deutschland ein eigenes Glasfasernetz gebaut.

In Zeiten, als große Teile der Republik noch mit 1 Mbit/s unterwegs waren, raste der Odenwald mit seinem Breitbandnetz plötzlich mit bis zu 50 Mbit/s über die Datenautobahnen.

Bundesweit ganz vorne

"Wir waren die Pioniere", blickt Marius Schwabe, Geschäftsführer der kreiseigenen und unter anderem für digitale Themen zuständigen Odenwald-Regional-Gesellschaft (OREG), zurück. Der Presserummel rund um das Odenwälder Breitband-Projekt war groß, sogar ein bundesweiter Innovationspreis ging nach Südhessen. "Wir waren bundesweit, vielleicht sogar europaweit ganz vorne."

Doch die Euphorie ist verflogen, vom Glanz einstiger Zeiten ist kaum noch etwas übrig. Die neuesten Zahlen des hessischen Breitband-Büros sehen den Odenwald-Kreis hessenweit auf dem letzten Platz bei den Anschlüssen für Privathaushalte und in Gewerbegebieten - gemessen am mittlerweile gültigen 100 Mbit/s-Standard

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Letzter Platz in Hessen

Laut den aktuellen Zahlen des hessischen Breitbandbüros konnten im Odenwaldkreis im vierten Quartal 2022 nur 26 Prozent aller Privathaushalte mit 100 Mbit/s oder schneller im Internet surfen. Gewerbegebiete sind demnach zu 28 Prozent an mindestens 100 Mbit/s schnelles Internet angeschlossen. Damit liegt der Kreis abgeschlagen auf dem letzten Platz in Hessen, noch weit hinter dem Vorletzten Werra-Meißner-Kreis. Der hessische Durchschnitt liegt bei 90 Prozent für Privathaushalte und 88 Prozent in Gewerbegebieten.

Allerdings entsprechen die Zahlen für den Odenwaldkreis nicht den tatsächlichen Werten, da aufgrund wechselnder Zuständigkeiten nicht alle Zahlen aller Internetanbieter im Odenwaldkreis berücksichtigt wurden. Die Odenwald-Regional-Gesellschaft (OREG) schätzt vorsichtig, dass die tatsächlichen Werte bei 37 Prozent für die Privathaushalte und 34 Prozent in Gewerbegebieten liegen. Aber auch damit wäre der Odenwaldkreis noch immer abgeschlagen auf dem letzten Platz. Das Breitbandbüro will die Zahlen in Kürze aktualisieren.

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"Entscheidenden Fehler gemacht"

Was ist da passiert? Wie kann es sein, dass sich das einstige Vorzeigekind binnen nur eines Jahrzehnts zum Sorgenkind entwickelte? Bei der Planung und Umsetzung habe der Kreis "einen im Rückblick betrachtet entscheidenden Fehler gemacht", sagt Schwabe. "Der Kreis hat damals gesagt: 'Wenn wir schon so viel Geld in die Hand nehmen, soll uns das Netz auch gehören'."

Was zunächst logisch klingt, entpuppte sich schnell als Kostenfalle. Denn ein Glasfasernetz will nicht nur gebaut, es muss auch auf dem neuesten Stand gehalten werden. "Was damals nicht absehbar war, ist, wie schnell der Bedarf an schnellerem Internet steigt", erzählt Schwabe.

Vor allem durch den rasanten Anstieg von Streaming und Online-Gaming stieß das Netz viel schneller an seine Grenzen als gedacht. Statt für Jahrzehnte gerüstet zu sein, wie der Kreis bei der Inbetriebnahme des Glasfasernetzes 2012 dachte, war die Infrastruktur schon nach wenigen Jahren veraltet.

Mittlerweile sind Internetgeschwindigkeiten von 100 Mbit/s bis hin zu einem Gigabit (1.000 Mbit/s) weit verbreitet. Angesichts dieser Entwicklung sind die Datenautobahnen im Odenwald fast zu digitalen Feldwegen verkommen.

Um mit der Entwicklung Schritt halten zu können, hätte die Technik vor allem in den Verteilerkästen immer wieder angepasst werden müssen. Da das Netz aber dem Kreis gehörte und nur an die jeweiligen Internetanbieter verpachtet war, blieben die Kosten am Kreis hängen. Der Traum vom zukunftsfähigen und sich selbst finanzierenden Breitbandnetz im Odenwald währte nur äußerst kurz, die Kosten waren einfach zu hoch.

Gefangen im EU-Recht

Hinzu kam, dass der Odenwaldkreis sich mit seiner Eigeninitiative in eine vertrackte Lage gebracht hatte. Nicht lange nach dem Bau des Netzes im Odenwald setzten Bund und Land Fördertöpfe zum flächendeckenden Breitbandausbau auf. Doch der Odenwaldkreis, der bereits den rund 20 Millionen Euro teuren Bau des Netzes komplett ohne Fördergelder gestemmt hatte, ging leer aus.

Denn laut EU-Recht waren nur solche Regionen förderfähig, die noch keine entsprechende Infrastruktur vorweisen konnten. Man hatte im Odenwald also ein Breitbandnetz, das zu schnell war, um gefördert zu werden, aber zu langsam, um den Ansprüchen der Nutzerinnen und Nutzer gerecht zu werden.

"Der Odenwaldkreis hat sich durch seinen Mut und sein Engagement quasi selbst ins Abseits gestellt", sagt Bijan Kaffenberger, digitalpolitischer Sprecher der SPD in Hessen. Er kennt sich nach eigenen Angaben mit der Situation im Odenwald besonders gut aus.

Seiner Meinung nach sei der Odenwaldkreis seiner Zeit ein vielleicht zu großes Stück voraus gewesen. "Er hat Pionierarbeit geleistet und viele wichtige Erkenntnisse für den Breitbandausbau im ländlichen Bereich gesammelt, von denen andere Kreise und Kommunen profitieren konnten." Mit der Zeit seien diese Kreise und Kommunen mit Hilfe der Fördergelder von Bund und Land allesamt am einstigen Spitzenreiter vorbeigezogen.

Odenwaldkreis will wieder Vorreiter werden

Doch das Blatt könnte sich bald wieder wenden. Mitte vergangenen Jahres zog der Odenwaldkreis die Notbremse und verkaufte sein Netz für einen nicht näher bezifferten zweistelligen Millionenbetrag an den Internetanbieter Entega Medianet. "Wir sind mit einer schwarzen Null aus dem Abenteuer herausgegangen", sagt OREG-Geschäftsführer Schwabe.  

Das Kapitel Breitbandausbau soll damit im Odenwaldkreis aber nicht geschlossen werden. "Ganz im Gegenteil", so Schwabe. Der Kreis hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 "jedes Haus und jede Milchkanne" mit einem Gigabit-Anschluss zu versorgen, vielerorts rollen bereits die Bagger. Dort, wo sich die Anschlüsse für die Entega nicht rechnen, will der Kreis erneut selbst aktiv werden - aber mit einem deutlich geringeren finanziellen Risiko.

Diese Anschlüsse will der Kreis zusammen mit Partnern realisieren und selbst für die sogenannte "Wirtschaftlichkeitslücke" aufkommen – also für den Betrag, der zwischen Nutzen für den Anbieter und Kosten für den Anschluss liegen. Dafür kann der Kreis diesmal auf Fördergelder von Bund und Land zugreifen, sodass am Ende nur noch zehn Prozent der Kosten am Kreis hängen bleiben. Die Ausschreibung soll Ende des Jahres rausgehen.

Mut zahlt sich doch noch aus

An dieser Stelle zahle sich auch endlich der Mut und die damit über die Jahre gesammelten Erfahrungen aus. Vor allem die bereits etablierten Strukturen rund um die OREG seien nun von großem Vorteil, so Schwabe: "Während andere Kreise beim Gigabit-Ausbau noch ganz am Anfang stehen, sind wir schon viele Schritte weiter."

Der Odenwaldkreis sei deswegen der erste Kreis in Hessen gewesen, der einen Förderantrag gestellt habe. Aus den Glasfaser-Pionieren der Vergangenheit könnten also die Gigabit-Pioniere der Zukunft werden.

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