Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt über ein geplantes riesiges Rewe-Lager in der Wetterau. Dabei geht es auch um grundsätzliche Fragen: Wie viel Klagerecht haben Naturschützer? Und welche Ausnahmen vom Umweltschutz sind okay?

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Bundesverwaltungsgericht verhandelt über Logistikzentrum Wölfersheim

Geplantes Rewe-Logistikzentrum in Wölfersheim, Baggger auf einem Acker (Bildkombo)
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Mit Lebensmitteln hat beides auf die eine oder andere Art zu tun: ein Acker und ein Supermarkt-Konzern. Trotzdem tobt in Wölfersheim (Wetterau) seit Jahren ein erbitterter Streit darüber, was auf einer 30 Hektar großen und direkt an der A45 gelegenen Fläche in Zukunft passieren soll: weiterhin Landwirtschaft oder der Betrieb eines riesigen Logistikzentrums?

Wo bisher zum Beispiel Weizen und Kartoffeln wachsen, will die Supermarktkette Rewe eines von sieben bundesweit geplanten hochautomatisierten Logistikzentren bauen. Während sich manche in Wölfersheim dadurch bis zu 500 neue Arbeitsplätze und hohe Grund- und Gewerbesteuereinnahmen erhoffen, kämpfen andere mit aller Kraft dagegen: Naturschützer fürchten negative Folgen für die Tierwelt, eine Bürgerinitiative kritisiert die drohende Versiegelung von fruchtbarem Boden.

Seit Jahren beschäftigt der Konflikt die hessischen Gerichte. 2020 wurde aufgrund eines Eilantrags des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (BUND) ein vorläufiger Baustopp verhängt. Ein Argument war damals unter anderem das mögliche Vorkommen von Feldhamstern auf der Fläche. Nun hat der BUND vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage eingereicht, um das Logistikzentrum in Wölfersheim dauerhaft zu verhindern.

Ein Feldhamster in einer Ackerfurche.

Die Verhandlung startete am Dienstag, es könnte dabei über den konkreten Fall hinaus eine Grundsatzentscheidung für ähnlich gelagerte Fälle herauskommen. Die ursprünglich für Donnerstagvormittag angekündigte Entscheidung wurde allerdings kurzfristig verschoben – stattdessen wurde die mündliche Verhandlung neu eröffnet. Wie lange die weitere Verhandlung dauern wird, ist unklar.

Hintergrund der kurzfristigen Verzögerung ist ein erst am Dienstag gefallenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs bezüglich einer Klage der Deutschen Umwelthilfe. Obwohl der Wölfersheimer Rechtsstreit anders gelagert ist, geht es auch hier um das Klagerecht von Umweltorganisationen. Regierungspräsidium und BUND können nun aufgrund der geänderten Lage erneut Stellung beziehen.

Fläche ist landwirtschaftliches Vorranggebiet

Im Wölfersheimer Fall geht es konkret um sogenannte Zielabweichungen von Regionalplänen. Um die Nutzung und Bebauung von Flächen vor Ort zu steuern, erarbeiten Bundesländer aufwendige Pläne mit verbindlichen Vorgaben für die Flächenentwicklung im Land. Wenn in einer Kommune beispielsweise ein Neubaugebiet, eine Straße oder ein Windrad gebaut werden soll, muss dies mit dem vor Ort gültigen Regionalplan vereinbar sein. Regionalpläne sind die Verbindung zwischen dem, was die Landesregierung vorgibt, und dem, was vor Ort genehmigt und gebaut werden darf.

In den oft jahrelangen Planungsprozessen kommt es in der Praxis aber immer wieder zu Konflikten mit dem Regionalplan - so wie im Fall Wölfersheim: Die Fläche, auf der das Logistikzentrum gebaut werden soll, wird im Regionalplan Südhessen als landwirtschaftliches Vorranggebiet ausgewiesen. Sie ist damit von einer Bebauung ausgenommen - eigentlich.

"Zielabweichungen sind nur für kleinere Ausnahmen gedacht"

Wenn in solchen Fällen Entscheidungsträger vor Ort ein Projekt trotzdem umsetzen wollen, haben sie zwei Möglichkeiten: Entweder muss der Regionalplan geändert werden, was äußerst aufwendig ist und die Beteiligung von verschiedenen Interessengruppen und der Öffentlichkeit erfordert. Oder es kommt zu einem Zielabweichungsverfahren, das eine Art Ausnahmeerlaubnis vom Regionalplan ermöglicht. Dies war auch in Wölfersheim der Fall, als das Vorhaben 2017 fast einstimmig von der Gemeindevertretung beschlossen wurde.

Der BUND kritisiert, dass es sich bei solchen Abweichungsverfahren bisher um reine Verwaltungsentscheidungen handle: Das Verfahren sei nicht öffentlich, bislang gebe es kaum Klagemöglichkeiten dagegen. Zudem werde diese Art von Ausnahmeverfahren zunehmend die Regel.

Werner Neumann, der Vorsitzende des BUND in der Wetterau, sagte dem hr: "Zielabweichungen sind für kleinere Ausnahmen gedacht - nicht wie in diesem Fall, um eine 30 Hektar große Ackerfläche in ein Gewerbegebiet umzuwandeln."

Umweltschützer hoffen auf Grundsatzentscheidung

Die Bundesrichter sollen nun einerseits entscheiden, ob das Vorgehen in Wölfersheim rechtens war. Die Umweltschützer erhoffen sich gleichzeitig eine Grundsatzentscheidung, die Einfluss darauf haben könnte, inwieweit sie in Zukunft auch in anderen Fällen gerichtlich vorgehen können.

"Hat der BUND mit seiner Klage Erfolg, dann können Abweichungsentscheidungen von Regionalplänen gerichtlich kontrolliert werden", informiert die Naturschutzorganisation. Ein Erfolg im Fall Wölfersheim könnte sich beispielweise auch auf den Rechtsstreit um das geplante Baugebiet Ostfeld in Wiesbaden auswirken. Auch dort hat der BUND Klage erhoben, weil in Naturschutzbelangen eine Ausnahme vom Regionalplan erteilt wurde.

Bürgermeister setzt sich für Logistikzentrum ein

Mehr Vor- als Nachteile durch das Logistikzentrum sieht dagegen Eike See (SPD). Der Bürgermeister der Gemeinde Wölfersheim ist seit Jahren für den Bau des Logistikzentrums. 2021 betonte er im Gespräch mit dem hr die Bedeutung des Projekts für den Ort: Es sei absolut verständlich, dass ein solch großes Projekt auch kritisch betrachtet und gerichtlich hinterfragt werde. "Aber da die Vorteile des Projekts für die Menschen in der Gemeinde und in der ganzen Region überwiegen, wurde das Projekt von einer breiten, überparteilichen Mehrheit getragen", sagte See.

Der Rewe-Konzern selbst teilte im Mai zum geplanten neuen Standort mit: "Die Corona-Krise und auch die aktuelle Situation auf dem Weltmarkt haben uns als wichtigem Bestandteil der kritischen Infrastruktur Hessens die Grenzen unseres Netzwerks aufgezeigt", heißt es darin. Das Logistikzentrum Wölfersheim sei ein entscheidender Baustein zur Sicherstellung der Versorgung der Region mit Lebensmitteln.

Simulation einer Halle mit Parkplatz und Rewe-Aufschrift
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Lebensmittelkonzern Rewe

Rewe ist Deutschlands drittgrößte Supermarkt-Kette. Zur Rewe Group gehören Märkte wie Rewe, Billa oder Penny. Hinzu kommen unter anderem die Toom-Baumärkte, der Heimtierbedarf Zooroyal und die DER Touristik Group. Rewes "Region Mitte" umfasst neben Hessen Teile von Rheinland-Pfalz, Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Bisher gibt es in der Region etwa Logistikzentren in Rosbach (Wetterau) und Hungen (Gießen). Der Neubau in Wölfersheim ist Teil einer groß angekündigten Logistik-Offensive: Rewe investiert dafür nach eigenen Angaben rund einer Milliarde Euro und will sich noch weitere Flächen sichern.

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