An der Uni Gießen beraten Jura-Studenten Asylsuchende ehrenamtlich. Das verbindet Theorie und Praxis – und bietet Geflüchteten die Chance, überhaupt weiterzukommen im Asylverfahren.

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Landkreistag schlägt Alarm wegen Flüchtlingsunterbringung

Eine Frau mit Kopftuch wartet im Ankunftszentrum in Gießen
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Alles ist neu, die Umgebung, die Sprache, die Gesetze: Damit sich geflüchtete Menschen nach ihrer Ankunft in Hessen leichter zurechtfinden und einleben können, engagieren sich zahlreiche Menschen ehrenamtlich für sie. Erste Anlaufstelle für Asylbewerber ist die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen.

Die Hilfe und Beratung von Ehrenamtlichen sei "unerlässlich", sagt Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat: "Weil wir in Hessen viel zu wenige hauptamtliche Stellen haben, um den immensen Bedarf zu decken." Der bestehe weniger im sprachlichen Bereich, sondern insbesondere bei der Alltagsbewältigung, bei Behördengängen und im Asylverfahren.

Hilfe beim Weg durchs komplizierte Asylverfahren

Die Refugee Law Clinic (RLC) ist ein Angebot der Universität Gießen, das es seit rund 15 Jahren gibt. Die Einrichtung mit Schwerpunkt Flüchtlingsrecht wurde im Wintersemester 2007/2008 gegründet. Das Konzept: Angehende Juristen bieten Asylsuchenden eine kostenlose Rechtsberatung an und sammeln dabei praktische Erfahrung, zugleich engagieren sie sich ehrenamtlich.

Jürgen Bast, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht, sagt: "Die Studierenden sollen mit echten Menschen juristisch arbeiten können und ihnen auf dem Weg durch ein ausgesprochen kompliziertes Verwaltungsverfahren, nämlich das Asylverfahren, helfen." Klar sei: "Ohne Rechtsberatung würden es die Menschen nicht durch das komplizierte System schaffen." Die Refugee Law Clinic verstehe sich auch als Angebot, um Lücken im Beratungssystem zu schließen.

Studentin: "Stütze für Schutzsuchende sein"

Bast erläutert weiter: "Wir versuchen, in einem möglichst frühen Stadium tätig zu werden, um den Menschen eine allgemeine Orientierung zu geben, welche Schritte auf sie zukommen." Es gehe auch darum, den Geflüchteten zum Beispiel klar zu machen, an welcher Stelle im Verfahren es wichtig sei, vollständig Auskunft zu geben über das Schicksal, das ihnen in ihren Heimatländern widerfahren sei oder das ihnen drohe, sollten sie dorthin zurückkehren.

In einer regelmäßig stattfindenden Supervision werden gemeinsam mit Volljuristinnen und -juristen die aktuellen Fälle besprochen und Lösungsstrategien entwickelt. Bast betont: "Ich würde schon sagen, dass wir hier in Gießen ein fester Bestandteil der Beratungsinfrastruktur sind. Dass es substanzielle Lücken reißen würde, wenn wir die Arbeit einstellen würden."

Studentin Theresa Turgut bietet die RLC nach eigener Einschätzung die Chance, "bereits während meines Studiums aktiv Rechtsberatung zu geben und dadurch eine Stütze für Schutzsuchende zu sein". Student Mohamad Taissir Rashid macht die RLC Spaß, "weil man einerseits die Möglichkeit bekommt, seinen Mitmenschen zu helfen und andererseits in den Alltag der späteren Berufstätigkeit blicken kann".

Wöchentlicher Infoabend in der Erstaufnahme

Wöchentlich bieten die RLC-Mitglieder in Kooperation mit der Flüchtlingsberatungsstelle des Evangelischen Dekanats Gießen einen Infoabend zum Asylverfahren in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen an. Neben grundlegenden Hinweisen zum Asylverfahren und zur Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden Asylsuchende über ihre Rechte und Pflichten im Verfahren informiert.

Für ihr Projekt wurde die RLC 2010 mit dem Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre und 2014 mit dem Peter-Becker-Preis für Friedens- und Konfliktforschung ausgezeichnet. Die RLC wird finanziell von der Universität Gießen und durch Spenden getragen.

Fahrradwerkstätten, Nähstuben und Kunstprojekte

In und an der Erstaufnahmeeinrichtung sind mehrere Initiativen und Institutionen ehrenamtlich aktiv, die den Menschen Angebote machen. Diese seien vielfältig und niedrigschwellig, damit möglichst viele die Möglichkeit zur Teilnahme haben, teilte das für die Erstaufnahme zuständige Regierungspräsidium Gießen (RP) mit. Zu den Angeboten gehören Fahrradwerkstätten, Nähstuben, Musikprojekte, Sprachkurse, Sportangebote und Begegnungscafés. Organisiert werden diese laut RP unter anderem von Privatpersonen und Vereinen.

Auch die evangelische Kirche ist mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in der Erstaufnahmeeinrichtung aktiv. "Bei unserer Arbeit geht es überwiegend darum, Begegnungen zu schaffen", sagt Zena El-Jaaran, Projekt- und Ehrenamtskoordinatorin bei der Evangelischen Petrusgemeinde Gießen. Die Angebote seien nicht nur niedrigschwellig, sondern böten auch einen entspannten Rahmen. Die Menschen sollen durchatmen können.

Die Nachfrage ist der Koordinatorin zufolge sehr groß. Man schließe damit auch Lücken. Sie betont: "Ehrenamtliche Arbeit braucht noch viel mehr Support. Sie ist auch wichtig für die Demokratiebildung."

Landkreise: Belastungsgrenze bei Unterbringung erreicht

Bei der Flüchtlingsunterbringung haben die Kommunen nach Einschätzung des Deutschen Landkreistages ihre Belastungsgrenze "längst erreicht". "Die Zahl der in Notunterkünften, in Zelten oder Turnhallen Untergebrachten steigt weiter", sagte der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, am Mittwoch nach einer Sitzung in Kassel. Der Bund müsse deshalb den Zustrom begrenzen. Zudem sollten die Länder mehr Flüchtlinge in eigenen Einrichtungen unterbringen, um die Kommunen zu entlasten, forderte er. Neben der Unterbringung von Geflüchteten würden auch die Beschulung, die Kita-Betreuung und die Gesundheitsversorgung immer schwieriger.

In den Standorten der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge waren Mitte Dezember fast 5.500 Menschen untergebracht. Die Erstaufnahme des Landes war damit nach Angaben des RP Gießen zu rund 63 Prozent ausgelastet.

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