Betreuer Max Schmidt und Kind Nora lächeln sich bei einem Ohrenstark-Kurs an

In Hessen gibt es rund 1.700 hörbeeinträchtigte Kinder, die auf Regelschulen gehen. Oft sind sie dort die einzigen mit Hörgerät. Wie sie damit umgehen können, lernen sie beim Projekt "Ohrenstark". Dessen Finanzierung ist allerdings gefährdet.

In der kleinen Schulküche der Johannes-Vatter-Schule in Friedberg backen zwölf Kinder Plätzchen. Sie sind alle sechs bis sieben Jahre alt und das Mehl befindet sich nach wenigen Minuten längst nicht mehr nur im Teig oder auf dem Tisch, sondern auch auf den Nasenspitzen und Pullovern. Das ist auch bei Antonia der Fall, die gerade anfängt, Plätzchen auszustechen. Mit einer ungewöhnlichen Form: "Ich mache drei Ohren mit Hörgerät und ein paar Tannenbäume."

Die Kinder in den "Ohrenstark"-Kursen backen Ohrenplätzchen

Ohrenplätzchen also - "weil hier viele Kinder mit Hörgeräten sind", erklärt Antonia. Tatsächlich: Insgesamt rund 20 Kinder sind an diesem Samstag nach Friedberg gekommen, alle haben eine Hörbeeinträchtigung.

Für sie findet hier ein Kurs des Projekts "Ohrenstark" statt. Während die Jüngsten in der Schulküche durch die Ohrenplätzchen lernen sollen, dass das Hörgerät etwas Selbstverständliches sein kann, geht es bei den Acht- bis Neunjährigen schon theoretischer zu.

"Ich muss es erklären - immer und immer wieder"

Sie sitzen einen Stock höher in der Kuschelecke eines Klassenraums. Alle schauen Max Schmidt an, den 22-jährigen Betreuer. Er erzählt ihnen eine Geschichte und hält dazu die passenden Bilder hoch. Die Kinder sollen hier anhand von Beispielen lernen, wie sie im Alltag mit Fragen und Herausforderungen rund um ihre Hörbeeinträchtigung umgehen können.

Ein Mädchen mit einer markanten Brille, einem blauen Tuch auf dem Kopf und einem Halsband

Lisa Christmann geht in die 4. Klasse und gibt ein Beispiel: "Wenn ich mitten im Unterricht die Batterien von meinem Hörgerät wechseln muss, dann gucken immer alle. Und ich muss erklären, wie das funktioniert - immer und immer wieder."

Die Betreuer sind selbst hörbeeinträchtigt

Max Schmidt ist selbst hörbeeinträchtigt und weiß, was ein Kurs wie dieser den Schülerinnen und Schülern geben kann: "Es geht darum, dass sie sich vernetzen. Darüber hinaus ist es sehr wichtig, dass sie kommunizieren können, was sie nicht so gut hören, dass es ihnen gerade zu laut ist, oder dass sie vielleicht überhaupt erst Mitschülern und Lehrern von ihrer Schwerhörigkeit erzählen."

Ihm liege viel daran, den Kindern dieses Selbstbewusstsein zu vermitteln, so Schmidt, der in Heidelberg Sonderpädagogik mit Schwerpunkt Hören studiert. Der entscheidende Punkte sei, Erfahrungen und Tipps zu teilen: "Ich habe selbst erst mit 16 Jahren die Erfahrung gemacht, mich zu dem Thema auszutauschen. Es ist total schön, den Kindern hier die Möglichkeit zu geben, das früher zu tun."

Ein Kind trägt ein buntes Hörgerät

Kurse für verschiedene Altersgruppen

Eine Besonderheit des Projekts "Ohrenstark": Auch für die Eltern, die selbst oft keine Hörbeeinträchtigung haben, gibt es hier Kurse. Dafür ist Lisa Christmanns Vater Stefan sehr dankbar: "Auch wir Eltern müssen da einen guten Weg finden. Hier können wir Fragen zum Recht, zur Schule, zu Inklusions-Beratung oder zu Krankenkassen und Behörden besprechen."

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Kinder mit Hörbeeinträchtigung in Hessen

Laut dem Landeswohlfahrtsverband gibt es in Hessen etwa 2.000 Familien mit hörbeeinträchtigten Kindern. Von ihnen gehen rund 1.700 auf Regelschulen. Die anderen Kinder gehen meist auf Förderschulen.

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Das Projekt gibt es seit 2022. Die Organisatorin dahinter ist Nicole Schilling. Die 53-jährige Bad Nauheimerin hat ein Konzept entwickelt, das pro Jahr mehrere Kurse für verschiedene Altersgruppen vorsieht - von der ersten bis zur zehnten Klasse.

Finanzierung gefährdet

Nach zwei erfolgreichen Jahren hat "Ohrenstark" jetzt aber ein Problem: Bisher wurde das Projekt von der Horst-Haas-und-Irene-Haas-Scheuermann-Stiftung, dem Sozialministerium und dem Kultusministerium gefördert. Die Finanzierung für das Jahr 2024 ist aber noch nicht geklärt.

Es braucht insgesamt rund 90.000 Euro. Das Projekt falle bei vielen Fördertöpfen durch das Raster, Förderungen seien oft an sehr spezifische Bedingungen geknüpft, erklärt Nicole Schilling: "Für die Kinder mit Hörbeeinträchtigung könnte man vielleicht eine Förderung bekommen. Aber wir haben ja auch die Eltern-Trainings, und die Eltern haben meistens keine Beeinträchtigung. Es gibt immer einen Haken, warum wir durchfallen."

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„Dann kommen sie wieder und haben auf einmal bunte Hörgeräte oder welche mit Stickern drauf. Das ist wunderschön.“ Max Schmidt Max Schmidt
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Trotzdem sei sie guter Dinge, dass eine Lösung gefunden wird und die Kurse weitergehen. Das würde auch Betreuer Max freuen. Er sieht schon bei den jüngsten große Fortschritte - das Training scheint zu wirken: "Am Anfang wollen manche ihre Hörgeräte gar nicht zeigen. Und dann kommen sie wieder und haben auf einmal bunte Hörgeräte oder welche mit Stickern drauf. Das ist wunderschön."

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