Neurostimulator gegen Unterleibsschmerzen Neuartige Behandlungsmethode aus Gießen bei Endometriose

Endometriose verursacht starke Schmerzen, kann unfruchtbar machen und ist unter Frauen weit verbreitet. Trotzdem gilt sie als bisher wenig beachtete Volkskrankheit. Im Endometriose-Zentrum Gießen gibt es einen Ansatz für schwer erkrankte Frauen.

Eine Frau hält sich unter Schmerzen den Bauch
Nach Schätzungen könnte jede zehnte Frau Endometriose haben Bild © Imago Images
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Jede Woche aufs Neue melden sich ein bis zwei Frauen am Endometriose-Zentrum der Uniklinik in Gießen. Sie kommen aus ganz Deutschland, aber auch aus anderen Ländern.

Chronische Schmerzen in Bauch und Becken, Blasenprobleme, Depressionen, oft auch unerfüllter Kinderwunsch. Immer wieder sitzen Betroffene vor Malgorzata Kolodziej - in Tränen aufgelöst, weil sie nach Jahren endlich jemand versteht.

Für viele sei das Thema schambehaftet, erzählt die Professorin und leitende Neurochirurgin am Uniklinikum Gießen. Endometriose – da denke man nun mal sofort an die Periode. "Das ist ein Tabuthema."

Neuartiger Ansatz aus Gießen

Dabei ist Endometriose eine Volkskrankheit und eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen überhaupt. Obwohl sie nach Schätzungen bis zu zehn Prozent aller Frauen betreffen könnte, gab es allerdings lange Zeit kaum Anlaufstellen dafür. Und auch die bisher bekannten Behandlungsansätze sind überschaubar. Doch das ändert sich zunehmend.

Frau mit Arztkittel
Neurochirurgin Malgorzata Kolodziej verfügt über eine seltene Weiterbildung in Neuropelveologie Bild © Marc Klug

Ein bisher weltweit einzigartiger Ansatz am Endometriose-Zentrum Gießen soll besonders Patientinnen Hoffnung machen, denen alle anderen Therapieansätze nicht helfen: Der Schmerz der Frauen wird dort mit elektrischen Impulsen über einen operativ eingesetzten Neurostimulator behandelt.

Eine erste Studie mit 22 Patientinnen zeigt: Die Schmerzen gingen bei allen deutlich zurück – einige konnten sogar hochdosierte Schmerzmittel komplett absetzen. Teilweise wurden sie vorher mit Opiaten behandelt.

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Volkskrankheit Endometriose

Bei Endometriose siedelt sich Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter im Bauchraum an, zum Beispiel an den Eierstöcken, am Darm oder an der Blase. Das Gewebe kann sich entzünden und zu Verwachsungen führen. Die Krankheit gilt zudem als eine häufige Ursache für unerfüllten Kinderwunsch. Trotzdem vergehen im Durchschnitt zwischen sieben und zehn Jahre bis zu einer Diagnose. Zu den Symptomen gehören:

  • starke, lang andauernde Periodenkrämpfe
  • Unterbauchschmerzen
  • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Wasserlassen, Stuhlgang
  • Unfruchtbarkeit
  • Erschöpfungszustände
  • Infektanfälligkeit
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Wie wird Endometriose behandelt?

Die Krankheit gilt als "Chamäleon der Gynäkologie": schwer zu diagnostizieren und zu behandeln. Oft vergehen Jahre bis zur Diagnose, für die es häufig eine operative Bauchspiegelung braucht. Zuletzt hatte ein neuer Endometriose-Speicheltest eines Gießener Unternehmens daher für Aufsehen gesorgt.

Eine Behandlung der Ursache selbst ist bisher nicht bekannt. Um die Symptome zu bekämpfen, empfehlen Frauenärzte bisher hauptsächlich drei Ansätze: Schmerzmittel, Hormone oder operative Entfernung von Verwachsungen und Endometriose-Herden.

Schlimm für viele Patientinnen: Als besonders effektiv gelten Hormonpräparate, die die Periode unterdrücken, allerdings dadurch auch verhütend wirken. Oft wird Endometriose aber erst dann erkannt, wenn ein Kinderwunsch unerfüllt bleibt.

OP birgt Risiken

Wenn alles andere nicht hilft, könnte die neuartige Behandlung in Gießen ein letzter Ausweg sein, erklärt Professor Ivo Meinhold-Heerlein, Direktor der Gynäkologie und Leiter des Gießener Endometriose-Zentrums.

Aber: Nicht jede Patientin komme in Frage. "Wir haben strenge Indikationen dafür, bis wir uns mit der Patientin zu dieser neuen Methode entschließen", betont er.

Denn die Operation berge Risiken. "Die Nebenwirkungen können bedeuten, dass eine Patientin gelähmt ist oder eine lebensgefährliche Blutung erleidet." Pro Monat seien es aktuell ein bis drei Frauen, die hier operiert werden.

Patientinnen können Schmerzlevel beherrschen

Neurochirurgin Malgorzata Kolodziej erklärt: In der Operation werden Elektroden präzise an den Nervensträngen im Beckenraum angelegt, die die Schmerzen verursachen. Dann implantieren die Ärzte ein kleines batteriebetriebenes Gerät, das über ein Handgerät von außen eingestellt werden kann.

Mann mit Arztkittel
Ivo Meinhold-Heerlein leitet das Gießener Endometriose-Zentrum Bild © Marc Klug

Dadurch können die Betroffenen den Schmerz selbst "beherrschen", erklärt sie. "Wenn die Patientinnen zum Beispiel durch körperliche Tätigkeit oder Sport gerade mehr Schmerzen verspüren, können sie die Stromstärke individuell variieren."

Gerät muss alle acht Jahre getauscht werden

Der große Vorteil sei, dass den Patientinnen dadurch eine verbesserte Lebensqualität ermöglicht werde. Als Nebeneffekt könnte die Behandlung auch die Chancen steigern, dass Patientinnen sich doch ihren Kinderwunsch erfüllen können. Zum Beispiel, wenn hochdosierte Medikamente abgesetzt werden können. Das sei aber derzeit noch nicht genau erforscht, so Kolodziej.

Die Methode verursache im Becken oder an den Nerven keine Schäden, das Gerät könne auch jederzeit wieder entfernt werden. Alle acht Jahre müsse der Neurostimulator allerdings ausgetauscht werden. Derzeit laufe am Klinikum eine neue Studie mit fünf weiteren Patientinnen, so die Ärzte.

Weltweit einzigartiger Ansatz

Die Methode, Endometriose auf diese Art in Zusammenarbeit von Gynäkologie und Neurochirurgie zu behandeln, ist laut Uniklinikum Gießen bisher weltweit einzigartig und erfordert viel Expertise. Ähnliche Ansätze würden derzeit nur noch an Kliniken in Palermo und Zürich verfolgt.

Malgorzata Kolodziej ist laut Klinikum bisher die einzige Neurochirurgin, die über eine Weiterbildung in Neuropelveologie verfügt. Dabei handelt es sich um eine noch junge medizinischen Fachrichtung, die sich speziell auf Verletzungen und Fehlfunktionen der Beckennerven fokussiert.

Die Ärzte aus Gießen hoffen, dass sich zukünftig noch mehr Kliniken mit der Krankheit beschäftigen – und dass Endometriose auch gesellschaftlich immer weiter aus der Tabuzone herauskommt.

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Sendung: hr4, 13.06.24, 11.40 Uhr

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Quelle: hessenschau.de