Geschäftsführer des Klinikums Darmstadt "Wir können mit weniger Krankenhäusern zurechtkommen"

Höhere Kosten und weniger Operationen während der Corona-Pandemie: Viele Krankenhäuser in Hessen sind in eine finanzielle Schieflage geraten. Clemens Maurer, kaufmännischer Geschäftsführer des Klinikums Darmstadt, fordert, kleinere Kliniken zu schließen.

Glasfront des Gebäudes 6 am Klinikum Darmstadt
Eine Fensterfront am Klinikum Darmstadt Bild © Petra Demant (hr)
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Corona – welche Lehren Krankenhäuser gezogen haben

hs
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Bund und Länder haben sich am Montag im Ringen um eine Krankenhausreform auf Eckpunkte verständigt. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium in Berlin mit. Im Sommer will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Krankenhausreform dann soweit fertig haben, dass sie im Herbst als Gesetz durch den Bundestag geht und ab dem 1. Januar 2024 in Kraft treten kann. Derweil geht vielen Kliniken das Geld aus, Schließungen drohen.

Auch das Klinikum Darmstadt macht Verluste. Es ist in der Region ein so genannter Maximalversorger: Das Krankenhaus ist für rund 1,2 Millionen Menschen in ganz Südhessen zuständig. Doch trotz der Größe der Klinik hinterlassen Inflation, gestiegene Energie- und Personalkosten und die gerade überstandene Corona-Pandemie auch am Klinikum Darmstadt 2023 ihre Spuren.

Im hessenschau.de-Interview erklärt Clemens Maurer, kaufmännischer Geschäftsführer des Klinikums Darmstadt, wo die Defizite entstehen und warum er fordert, dass kleinere Kliniken geschlossen werden sollten.

hessenschau.de: Warum ist das Klinikum in eine finanzielle Schieflage gekommen?

Clemens Maurer: Die Energiekosten! Aber auch die ganzen anderen Sachkosten sind überproportional gestiegen - also Verbandsmaterial, Verbrauchsmaterial auf den Stationen und im OP-Bereich. Das heißt, da müssen wir wesentlich mehr Geld ausgeben.

Dazu kommen die Tarifabschlüsse. Da schlagen zwar bei mir auch zwei Herzen in der Brust. Es ist einerseits gut und richtig für die Mitarbeitenden, dass sie einen Gehaltsaufschlag bekommen. Aber auf der anderen Seite ist dieser aktuell im Krankenhausbereich nicht refinanziert. Wir reden jetzt pauschal etwa von einer Steigerung des Tariflohns von zehn Prozent und haben aber nur eine Preissteigerung von 4,3 Prozent. Da entsteht ein richtiges Delta, das wir momentan nicht eigenständig schließen können.

Clemens Maurer, Kaufmännischer Geschäftsführer des Klinikums Darmstadt.
Clemens Maurer, Kaufmännischer Geschäftsführer des Klinikums Darmstadt. Bild © hr
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Klinikum Darmstadt in Zahlen

Das Klinikum Darmstadt ist für 1,2 Millionen Menschen in Südhessen zuständig, 3.350 Beschäftigte arbeiten dort. Es gibt knapp 1.000 Betten, 16 Operationssäle, sieben Kreißsäle und drei Intensivstationen. Knapp 50.000 Patienten wurden 2022 stationär und über 100.000 Patienten ambulant behandelt. Vor der onkologischen Behandlung krebskranker Patienten bis zur Betreuung von Frühchen werden alle medizinischen Bereiche dort abgedeckt.

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hessenschau.de: Was können Sie gegen die Schieflage tun?

Clemens Maurer: Die Krankenhäuser können momentan leider gar nichts tun. Wir können den Preis nicht verändern, den wir für unsere Leistung bekommen. Wir haben keinen Einfluss auf die Inflation. Wir haben keinen direkten Einfluss auf die Tariflöhne. Das heißt, wir brauchen momentan von extern Unterstützung - entweder durch die Trägerinnen und Träger oder durch Bund und Land. Das gilt, solange die Krankenhausreform noch nicht in Kraft ist.

hessenschau.de: Aber der Bund hat zuletzt doch 2,5 Milliarden Euro für die Krankenhäuser bereitgestellt.

Clemens Maurer: Einerseits sind wir dankbar für jedes Geld, was wir bekommen. Auf der anderen Seite muss man sagen: Es ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die deutsche Krankenhausgesellschaft hat ausgerechnet, dass das bis März ausgereicht hätte, um die Defizite der Krankenhäuser irgendwo auszugleichen. Aber rein praktisch fließen diese 2,5 Milliarden Euro erst Ende des Jahres.

Wir brauchen aber jetzt das Geld, nicht erst im September. Wir sind von der Liquidität her, dank unserer Trägerin, der Stadt Darmstadt, so gut ausgestattet, dass wir trotz der Verluste über die Runden kommen. Aber viele Krankenhäuser schaffen das nicht. Und dann geraten sie in die Insolvenz.

hessenschau.de: Was müsste man strukturell verbessern?

Clemens Maurer: Verschiedene Dinge: Wir haben ein Finanzierungssystem, das relativ träge ist. Die Inflation greift ganz schnell. Die Anpassung unserer Preise durch die sogenannte "Base-Rate" dagegen nicht. Das ist ein sehr, sehr träger Prozess und der hinkt technisch immer zwei Jahre hinterher. Den müsste man anpassen, damit das schneller funktioniert.

Das zweite ist, dass wir in den Krankenhäusern immer Vorhaltekosten haben, die über unsere Einnahmen durch die Fallpauschalen nicht bezahlt werden. Nehmen Sie das klassische Beispiel: zentrale Notaufnahme. Die muss 24 Stunden laufen - egal, ob ein Patient kommt oder hundert Patienten. Dort müssen innerhalb allerkürzester Zeit schwer verletzte Patienten versorgt werden.

Dafür braucht es dann unter Umständen fünf bis sieben Ärzte. Wenn zwei Tage lang aber kein Schwerverletzter kommt, muss ich trotzdem das Personal für die Notaufnahme und den Schockraum vollständig vorhalten. Ich kriege es aber nicht bezahlt. Das ist auch ein Grund, weshalb die Krankenhäuser Verluste machen. Das muss sich ändern.

hessenschau.de: Was ist denn mit den Investitionskosten der Länder?

Clemens Maurer: Wir haben ja die duale Krankenhausfinanzierung. Das heißt: Alle Investitionen der Krankenhäuser müssen eigentlich von den Ländern bezahlt werden. Das Land Hessen speziell hat zwar in den letzten Jahren ordentlich nachgelegt. Aber über die letzten 20 Jahre haben die Länder insgesamt einfach viel zu wenig in ihre Krankenhäuser investiert. Und es reicht nicht mehr aus, die Investitionen der Krankenhäuser vollständig über die Fördermittel der Länder zu finanzieren.

Nehmen Sie unsere Klinik: Wir haben neue Gebäude gebaut für 240 Millionen Euro. Da sind ungefähr 70, 75 Millionen Fördermittel des Landes reingeflossen. Der Rest ist über Kredite des Krankenhauses finanziert worden, weil eben die pauschalen Fördermittel dafür nicht ausreichend sind. Das ist ein Fehler im System.

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Kliniken in Hessen

In Hessen gibt es acht so genannte "Maximalversorger". Das sind Krankenhäuser, die mehr als 800 Betten haben, jeden Patienten aufnehmen müssen und über die Hauptfachabteilungen für Innere Medizin und Chirurgie sowie über mindestens zehn weitere Hauptfachabteilungen verfügen und denen besondere Aufgaben der Hochleistungsmedizin zugewiesen sind.

53 Kliniken in Hessen sind "mittelgroß", sie haben zwischen 200 bis 800 Betten.
71 Krankenhäuser in Hessen sind "klein", sie haben weniger als 200 Betten.

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hessenschau.de: Aber die duale Krankenhausfinanzierung gibt es doch schon seit 1972.

Clemens Maurer: Also, es hat in der Vergangenheit gut funktioniert. Weil die Krankenhäuser Gewinne gemacht haben und dann selbst aus ihren Gewinnen Investitionen getätigt haben. Die Eskalation ist letztendlich durch die Pandemie entstanden, weil die Fallzahlen der Patienten mit geplanten Operationen deutlich runtergegangen sind.

Viele Krankenhäuser sind dadurch in eine Verlustsituation gekommen und können eben nicht mehr investieren. Dadurch hat sich die Situation so richtig zugespitzt. Das ist das eine. Zweitens: Die meisten Krankenhäuser haben heute Gebäudestandards, die wirklich nicht mehr gehen. Das heißt, da muss man kräftig investieren. Oder nehmen Sie die Digitalisierung, die kostet richtig viel Geld.

hessenschau.de: Was ist denn mit der zweiten Säule der dualen Krankenhausfinanzierung: den Fallpauschalen, die über die Krankenkassen bezahlt werden?

Clemens Maurer: Das Fallpauschalensystem oder auch DIG-System finde ich erst mal grundsätzlich gut, weil es regelt, dass egal ob sie in München oder in Hamburg behandelt werden, die Strukturen gleich sein sollen. Auch die Vergütung soll gleich sein. Natürlich hat es bei manchen Spezialfällen dazu geführt, dass sich vielleicht Kliniken spezialisiert haben und sich die Rosinen etwas rausgepickt haben.

Das sind die viel diskutierten Hüften und Knie, die zu viel operiert werden. Das ist ein Fehlanreiz im System, den man korrigieren sollte. Aber grundsätzlich ist das Fallpauschalensystem richtig gut und sollte ja auch im Rahmen der Krankenhausreform grundsätzlich beibehalten werden. Es sollte nur eine Ergänzung dazu kommen, um Fallpauschalen und Vorhaltekosten zu finanzieren.

hessenschau.de: Also finden Sie die geplante Krankenhausreform gut?

Clemens Maurer: Man muss sich die Frage stellen: Warum brauchen wir die Krankenhausreform? Wir haben viel zu wenig Fachkräfte, um alle Krankenhäuser die wir heute haben, morgen noch zu betreiben. Da muss man ganz ehrlich sein. Da geht es nicht nur um Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte. Im Krankenhaus arbeiten ja auch ganz viele andere Fachkräfte, die auch immer weniger werden.

Wenn wir sicherstellen wollen, dass zum Beispiel so ein Haus wie unseres betriebsfähig ist, dann brauche ich ausreichend Fachkräfte. Die sind auf dem Markt grundsätzlich vorhanden. Sie sind aber schlecht verteilt, weil sie auf ganz viele Krankenhäuser verteilt sind. Da stellt sich die Frage: Brauche ich die Fachkräfte in jedem Krankenhaus oder muss ich bestimmte Fachkräfte vielleicht konzentrieren?

Nehmen Sie mal Radiologinnen und Radiologen. Die brauchen wir hier 24 Stunden, rund um die Uhr. Die sind aber auch an kleinen Krankenhäusern, wo sie vielleicht nur tagsüber gebraucht werden. Und wenn diese zugemacht werden, gibt es die Arbeitsplätze dort dann gar nicht mehr.

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Finanzierung von Krankenhäusern

Seit 1972 gibt es die duale Krankenhausfinanzierung, die besagt, dass 90 Prozent der Kosten eines Krankenhauses vom Bund gedeckt werden. Dazu gehören die Betriebskosten des Krankenhauses. Also: ärztliche Leistungen, Pflege aber auch Sachkosten wie Medikamente, Prothesen, Infrastruktur und Verwaltungskosten. Finanziert wird das alles über die Krankenkassen.

Die restlichen 10 Prozent sind Investitionen, für die die Bundesländer zuständig sind. Also vor allem: Gebäude und neue Geräte. Dafür bestimmen die Länder auch, wo Krankenhäuser gebaut werden.

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hessenschau.de: Das heißt, die Maximalversorger profitieren von der geplanten Reform, die dann womöglich auf Kosten der kleineren Krankenhäuser geht?

Clemens Maurer: Ja, ich weiß, da kommt immer gleich die kritische Diskussion über die vielen kleinen Krankenhäuser auf dem Land und die ländliche Versorgung auf. Wir müssen sehr stark differenzieren zwischen Ballungsgebieten und ländlicher Struktur. Ich glaube, wir können in den Ballungsgebieten mit weniger Krankenhäusern sehr gut zurechtzukommen.

Wir müssen uns, wenn es um das Schließen geht, nicht immer so stark auf die Krankenhäuser auf dem Land fokussieren: Schauen Sie in die Ballungsgebiete. Ich glaube, da können wir schon ganz viel bewegen. Nehmen Sie uns in Darmstadt. Da ist Frankfurt nicht weit. Wenn Sie in Frankfurt die Krankenhausstandorte zusammenzählen, da können Sie bestimmt einige schließen, ohne dass die Versorgung irgendwie verändert wird.

hessenschau.de: Was wünschen Sie sich?

Clemens Maurer: Die Krankenhausreform soll Klarheit für alle Beteiligten bringen, ob für die Mitarbeitenden selber oder die Krankenhäuser. In welche Richtung geht es? Denn wir haben dann viel zu tun, wenn die Krankenhausreform die Leitplanken gesetzt hat, weil dann die eigentliche Arbeit erst anfängt.

Wie strukturieren wir dann die Krankenhäuser um? Wir wünschen uns, dass der Bund oder das Land die Krankenhäuser massiv unterstützt, weil sie aus eigener Kraft keine Möglichkeiten haben, die Verluste aufzufangen. Das sollte solange gelten, bis die Krankenhausreform und damit auch das neue Finanzierungssystem greifen.

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Das Gespräch führte Dominik Nourney

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.7.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Katrin Kimpel/Susanne Mayer