Mit Schildern und Plakaten erinnern Demonstranten vor dem Landgericht an den Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke.

Das Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts im Lübcke-Mordprozess hat ein breites Echo ausgelöst. Es ist nicht ungeteilt.

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Urteil: Lebenslange Haftstrafe für Stephan Ernst

Lübcke-Mord: Lebenslange Haftstrafe für Stephan Ernst
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Lebenslang wegen Mordes mit besonderer Schwere der Schuld für den rechtsextremen Hautangeklagten Stephan Ernst, Freispruch vom Vorwurf der Beihilfe für den Mitangeklagten Markus H.: Das Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts im Fall des Mordes am CDU-Politiker Walter Lübcke hat am Donnerstag (28.01.21) weit über Hessen hinaus große Beachtung gefunden.

Für viele der Kommentatoren ist die Bestrafung Ernsts grundsätzlich eine "angemessene Reaktion auf diese furchtbare Tat". So formulierte es Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Das Gericht habe "ein klares Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus" gesetzt. Wie andere auch würdigte Schuster noch einmal das mutige Eintreten Lübckes gegen Rechtsextreme, das er mit dem Leben bezahlt habe.

Laschets Hoffnung

Das Urteil könne der Familie Lübcke den Schmerz nicht nehmen, bringe ihr aber hoffentlich ein wenig Ruhe und Frieden, schrieb CDU-Bundeschef Armin Laschet auf der Homepage der Partei. Der Täter werde "für seine Tat von historischer Dimension zur Rechenschaft gezogen", befand Ines Claus, Chefin der CDU-Landtagsfraktion. Der Prozess habe dabei geholfen, die Tat und ihre Hintergründe aufzuklären.

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„Wir müssen die Demokratie auf allen Ebenen viel entschiedener schützen als bisher. “ Edgar Franke, Opferbauftragter der Bundesregierung Edgar Franke, Opferbauftragter der Bundesregierung
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Auf Unerledigtes lenkte unter anderem Edgar Franke (SPD) den Blick, Opferbeauftragter der Bundesregierung: Die politische Aufarbeitung des rechtsextrem motivierten Mordes müsse weitergehen. "Wir müssen die Demokratie auf allen Ebenen viel entschiedener schützen als bisher", sagte er. Das gelte besonders auch für den persönlichen Schutz von haupt- und ehrenamtlichen Kommunalpolitikern.

Versäumnisse beklagte auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Recker (parteilos), die 2015 bei einem Attentat von einem Rechtsextremisten lebensgefährlich verletzt worden war. Sie begrüßte das Urteil, denn es sei "ein feiger Mord" gewesen. Sie betonte: "Zu lange haben wir die Augen vor rechtsextremem Terror verschlossen."

Dass sich im Kampf gegen Rechts etwas tun müsse und auch tue, unterstrich der SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf Scholz in seiner Reaktion mit einem Hinweis auf ein Ende 2020 beschlossenes Maßnahmenpaket. "Wir haben rechten Terror in unserem Land. Es ist richtig, dass wir den Kampf gegen Rechts mit 1,1 Mrd. € stärken", twitterte er.

Baerbocks Frage nach dem Netzwerk

Nach dem Prozess bleibt auch laut der in Hessen mit der CDU regierenden Grünen "gemeinsame Aufgabe als Gesellschaft und Staat, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus entschieden zu bekämpfen", wie Landtagsfraktionschef Mathias Wagner schrieb. Spitzen der Bundespartei stellten wie die Vorsitzende Annalena Baerbock die Frage nach einem rechten Netzwerk, das hinter dem Mord und anderen Taten stecken könne. Und Cem Özdemir, Innenexperte der Grünen, twitterte noch bestimmter: "Das Urteil bestraft den Mörder & tut gut. Es zerschlägt aber noch keine Terrornetzwerke."

Über organisatorische Strukturen hinter der Tat will die Landtagsopposition im laufenden Lübcke-Untersuchungsausschuss ebenso Klarheit gewinnen wie in der Frage nach Versäumnissen der Sicherheitsbehörden. Sie hatten Ernst als "abgekühlten" Rechten nicht auf dem Radar gehabt. Da sei die Aufarbeitung erst am Anfang, betonte Günter Rudolph, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD. Der "Verdacht eines Staatsversagens" stehe auch nicht erst im Raum, seit der Anwalt der Familie Lübcke ihn im Prozess öffentlich ausgesprochen habe. Laut Rudolph hat der Prozess längst die Existenz eines ganzen rechten Netzwerkes offenbart.

Da der Mitangeklagte Markus H. mit einer Bewährungsstrafe davon kam, ist nach Ansicht der FDP im Landtag in seinem und in anderen Fällen erhöhte Vorsicht geboten. "Es darf nicht mehr passieren, dass solche Gefährder fälschlicherweise aus dem Blickfeld der Polizei beziehungsweise des Verfassungsschutzes geraten", sagte ihr innenpolitischer Sprecher Stefan Müller.

"Jedes geringere Strafmaß wäre der Bedeutung dieses politischen Mordes am Regierungspräsidenten Walter Lübcke nicht gerecht geworden" - so kommentierte AfD-Landtagsfraktionschef Robert Lambrou den seiner Meinung nach angemessenen Richterspruch.

Linke: Justiz ließ sich verhöhnen

"Recht und Gerechtigkeit klaffen meilenweit auseinander!“ – dieses Fazit zog dagegen Hermann Schaus, Obmann der Linken im Untersuchungsausschuss. Viele Widersprüche habe das Gericht nicht aufklären können. Der Mordversuch an einem Flüchtling, die Rolle von Markus H. beim Mord, Waffenhandel und Bildung einer terroristischen Vereinigung seien ungesühnt und zum Teil nicht einmal angeklagt worden.

Und nicht nur in diesem Punkt haben Ermittler und Justiz laut Schaus versagt: Wie das Gericht von den Verteidigern des Markus H. und ihrer "nationalsozialistischen Propaganda" verhöhnt worden sei, habe "eine kaum erträgliche Ohnmacht der Justiz und des Rechtsstaates gegenüber Neonazis" offenbart.

Beratungsstellen: "Fatale Botschaft"

Ähnlich negativ wie die Bewertung von Hermann Schaus fällt auch die des Dachverbands der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) aus. Auch seiner Meinung nach hat der Rechtsstaat in dem Prozess versagt, weil Ernst vom Vorwurf des Mordverversuchs freigesprochen wurde und sein Gesinnungsgenosse Markus H. als Waffenbeschaffer mit einer Bewährungsstrafe davonkam.

Damit sende das Urteil eine "fatale Botschaft" aus, lautete die Bewertung. Dem VBRG gehören nach eigenen Angaben 14 Beratungsstellen in 13 Bundesländern an.

Auch die Familie des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten hatte ihrem Sprecher zufolge enttäuscht auf das Urteil gegen den mitangeklagten Markus H. reagiert. Es sei anders als die der Beweislage entsprechende Verurteilung Ernsts "außerordentlich schmerzlich" und schwer zu verkraften. Es werde aber keine Gerichtsschelte von der Familie geben.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau kompakt, 28.01.2020, 16.45 Uhr