Viele Ukrainer fliehen mit ihren Haustieren nach Hessen. Besonders Sammelunterkünfte stellt das vor Herausforderungen, eigentlich sind sie dort sogar verboten. Um Mensch und Tier nicht trennen zu müssen, gibt es in Gießen jetzt eine Tierambulanz.

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Haustierambulanz in Erstaufnahme-Einrichtung

hessenschau vom 26.04.2022
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Es war purer Stress. Drei Tage Busfahrt liegen hinter Dimitri und Irina. Das Paar ist aus dem ukrainischen Odessa geflohen und jetzt in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (EAEH) in Gießen angekommen. Anstrengend war die Flucht aber auch für die kleine braune Hundedame Elli.

Dimitri und Irina haben ihren Hund ganz selbstverständlich aus dem Kriegsgebiet mitgenommen. "Der Hund ist ein Familienmitglied, der ist wie ein Teil unseres Herzens", sagt Irina. Es wäre für sie unvorstellbar gewesen, ohne Elli zu fliehen. "Immer mit Hund."

Tiere in Sammelunterkünften eigentlich verboten

Wohl nie zuvor sind derart viele Menschen in Begleitung ihrer Haustiere nach Deutschland geflohen. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber es dürften mittlerweile tausende sein. Inzwischen dürfen die Halter mit ihren Tieren auch ohne Papiere und Nachweis einer Tollwutimpfung die Grenze überqueren. Doch was kommt dann?

Besonders in Sammelunterkünften sorgen die vielen Hunde und Katzen bereits jetzt für Herausforderungen. In manchen Bundesländern werden sie in der Erstaufnahmeeinrichtung sogar direkt von ihren Haltern getrennt und in Tierheimen untergebracht. Auch in Gießen hat man nach eigenen Angaben noch nie erlebt, dass so viele Geflüchtete mit Tieren ankommen. Eigentlich sind sie auch in der EAEH verboten, werden jedoch derzeit geduldet - und in einer neuen Tierambulanz nun sogar versorgt.

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"Es wäre unvorstellbar gewesen, ohne unseren Hund zu fliehen"

Im Bildvordergrund hält ein Mann einen kleinen Hund im Arm und schaut in die Kamera. Im Bildhintergrund zwei Mitarbeiter:innen der Tierambulanz in der provisorisch eingerichteten Praxis.
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Tierärzte engagieren sich ehrenamtlich

Vor drei Wochen haben Tierärztinnen und -ärzte vom veterinärmedizinischen Fachbereich der Justus-Liebig-Universität die Tierambulanz an der EAEH ins Leben gerufen. Einmal am Tag findet seitdem in einem kleinen Behandlungsraum eine Sprechstunde statt, vor allem für die Halter und ihre Tiere, die neu in Gießen ankommen.

Tierarzt und Professor Michael Lierz erklärt: Die Vierbeiner werden durchgecheckt und registriert, aber auch rechtliche Vorgaben werden kontrolliert und eventuell nachgeholt, so wie etwa die Tollwutimpfung. Lierz erzählt: Die Idee sei relativ spontan entstanden, weil man in Gießen einerseits die Erstaufnahmeeinrichtung und andererseits mit dem veterinärmedizinischen Fachbereich auch die Expertise direkt vor Ort habe.

Jeden Tag - auch sonntags und an Feiertagen - ist die Ambulanz nun eine Stunde geöffnet. Pro Tag werden derzeit ein bis fünf Tiere untersucht. Die Behandlung ist für die Geflüchteten kostenlos. Die Mitarbeitenden engagieren sich ehrenamtlich, sie kommen von der Uni oder sind niedergelassene Tierärzte aus der Region.

"Die nehmen natürlich ihre Familie mit"

Dass die Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Haustiere mitbringen, kann Professor Lierz gut nachvollziehen. "Das sind ja Leute, die von einem auf den anderen Tag aus dem Leben gerissen werden – die nehmen natürlich ihre Familie mit." Und dazu gehörten für sie nun mal auch ihre Tiere, meint Lierz. Auch er würde in solch einer Lage alles versuchen, um seine Hunde mitzunehmen.

Er befürwortet sehr, dass die Tiere in der EAEH nicht von ihren Haltern getrennt werden, so Lierz. Es wäre seiner Ansicht nach problematisch, ohnehin schon traumatisierte Familien in solch einer Situation auch noch von ihren Haustieren zu trennen.

Im Bildvordergrund untersucht ein Arzt eine Katze, die auf einem Tisch sitzt. Daneben steht eine Tierarzthelferin. Im Bildhintergrund die provisorisch eingerichteten Praxis.

Manche Tiere müssen in Quarantäne

Weil es sich um Familienhaustiere handele, seien die allermeisten in gutem Pflegezustand, sagt Lierz. Dennoch könne es sein, dass einzelne Tiere nach der Untersuchung erst einmal eine Zeit lang isoliert werden müssen, insbesondere wenn ihnen der Tollwut-Schutz fehlt. In Absprache mit dem Veterinäramt sei dann bei Hunden eine sogenannte Leinenquarantäne möglich. "Die Tiere dürfen dann 21 Tage nicht von der Leine, aber können immerhin bei den Leuten bleiben." Auch Katzen müssen so lange von anderen Tieren isoliert werden.

Die Untersuchung der Hündin Elli zeigt: Trotz der stressigen Fahrt geht es ihr grundsätzlich gut. Allerdings fehlt auch ihr noch eine Impfung. Die wird direkt nachgeholt. "Sehr mutig und lieb", stellt der Tierarzt fest. Dimitri hält Elli danach weiter fest im Arm. "Jetzt wird alles gut", sagt Irina.

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